Was man sich sparen könnte

Sozialökonomische Betriebe ermöglichen es erwerbslosen Menschen, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Das AMS plante Kürzungen, ein Aufschrei brachte vorübergehende Lösungen. Aber wie geht's weiter?

In unmittelbarer Nähe der Innenstadt von Innsbruck liegt die Radwerkstatt Conrad. Diese Werkstatt, die dem Verein WAMS angehört, hat sich längst zu einer Institution für die Einwohner:innen entwickelt. In dem sozialökonomischen Betrieb geht es nicht nur um die Reparatur von Fahrrädern. Seit fast 25 Jahren unterstützt die Werkstatt Menschen, die lange Zeit arbeitslos sind und nur geringe Chancen auf eine Anstellung im regulären Arbeitsmarkt haben, wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren.

Sozialökonomische Betriebe: Für die Menschen

Neben der Radwerkstatt Conrad betreibt WAMS auch mehrere Second-Hand-Läden in Tirol und eine Altkleidersammlung. Hier bekommen Schallplatten, Bücher, Spielzeug, Kleider und vor allem erwerbslose Menschen eine zweite Chance, so etwa in Hall. „Wir haben in Hall zwei Standorte, die Sammelstelle und den Laden. Unsere Mitarbeiter:innen können hier breit gefächert Qualifikationen erwerben – im Lager, in der Logistik, der Sortierung und gleichzeitig im Verkauf mit Kassabedienung sowie bei der Kund:innenbetreuung“, erzählt Jasmine Alge. Sie ist Betriebsrätin und Sozialpädagogin bei WAMS. Für Langzeitbeschäftigungslose stehen 76 Transitarbeitsplätze zur Verfügung sowie weitere 26 Arbeitsplätze für Arbeitsuchende ab 55 Jahren.

Eine Schließung wäre für unsere Mitarbeiter:innen und für mich als Betriebsrätin ein Worst-Case-Szenario.

Jasmine Alge, Betriebsrätin bei WAMS

Soziale Zielsetzungen

„Sozialökonomische Betriebe in Österreich sind ein Teil der Arbeitsmarktpolitik und insbesondere für Menschen da, die es auf dem ersten Arbeitsmarkt schwer haben. Das sind vor allem Langzeitbeschäftigungslose und ältere Arbeitsuchende“, erklärt Simon Theurl. Er ist Referent in der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der Arbeiterkammer Wien. In den vergangenen Jahren ist es zunehmend wichtig geworden, auch Älteren einen Arbeitsplatz zu bieten. Wer mit 45 Jahren seinen Job verliert, findet schwerer einen neuen.

Portrait von Simon Theurl von der Arbeiterkammer Wien im Interview über sozialökonomische Betriebe.
„Auf dem ersten Arbeitsmarkt haben es vor allem Langzeitbeschäftigungslose und ältere Arbeitsuchende schwer“, sagt Simon Theurl von der AK Wien. | © Markus Zahradnik

Es gibt vielfältige Gründe, warum Menschen für längere Zeit nicht am Erwerbsleben teilnehmen können, sei es aufgrund fehlender Kinderbetreuung, durch die Pflege von Angehörigen oder bei gesundheitlichen oder psychischen Belastungen. Dabei kann Erwerbslosigkeit jede und jeden treffen – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft. Umso wichtiger sind dann sozialökonomische Betriebe, die in Form von Transitarbeitsplätzen bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt helfen.

Transitarbeitsplätze sind laut AMS-Richtlinie für sozialökonomische Betriebe auf eine Verweildauer von einem Jahr ausgelegt. Bei begründeten Einzelfällen kann die Dauer aber über das Jahr hinausgehen. Doch was ist nach diesem Jahr? Wie soll es dann weitergehen? Für solche Fragen gibt es bei WAMS eine Jobfinding-Phase. „Spätestens vier bis fünf Monate vor Ablauf des Transitarbeitsplatzjahres bieten wir eine gezielte Berufsorientierung sowie Jobcoachings an und vermitteln Praktikumsbetriebe“, sagt WAMS-Geschäftsführerin Christine Regensburger. Österreichweit waren im Jahr 2022 rund 24.500 Personen in Form eines einjährig begrenzten Transitarbeitsplatzes in einem sozialökonomischen Betrieb beschäftigt, wie Zahlen aus dem Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft belegen – eine Steigerung um elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Sozialökonomische Betriebe heben Selbstwertgefühl

Durchschnittlich bleiben Transitarbeitskräfte 114 Tage in einem sozialökonomischen Betrieb. Während dieser Zeit werden sie kontinuierlich betreut und in Schulungen auf ihre weitere berufliche Zukunft vorbereitet. „Durch Beschäftigung, Beratung und Qualifizierung dienen Transitarbeitsplätze als Auffangbecken und bieten einen Entwicklungsrahmen auf Zeit. Dabei ist es wichtig, dass Arbeitsuchende ihre Potenziale wiederentdecken und ihr gemindertes Selbstwertgefühl anheben“, so Melanie Spangler. Sie ist Geschäftsführerin von arbeit plus Tirol, einem österreichweiten Netzwerk von 200 sozialen Unternehmen mit knapp 500 Standorten von Burgenland bis Vorarlberg.

Portrait von Melanie Spanger von arbeit plus Tirol im Interview über Sozialökonomische Betriebe.
Melanie Spangler von arbeit plus Tirol wehrt sich mit allen Mitteln gegen den Spardruck bei sozialökonomischen Betrieben. Sie fordert indessen mehr Geld vom Bund. | © Markus Zahradnik

Das Spezielle bei den sozialökonomischen Betrieben ist das On-the-Job-Training. „Menschen können in der Arbeit das Arbeiten ‚erlernen‘ und neue Qualifikationen erwerben. Außerdem werden durch diese Betriebe positive ökonomische Effekte ausgelöst: So erhöhen sie zum Beispiel die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt“, erklärt der Arbeitsmarktexperte Simon Theurl.

Denn gerade Langzeitarbeitslosigkeit ist besonders hartnäckig. Dank sozialer Beschäftigungsinitiativen fassen einige auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß. Rund ein Drittel bis die Hälfte der sogenannten Transitarbeitskräfte schafft den Umstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Das ist zwar ein wichtiges Ziel, aber es geht um mehr: „Wenn jemand nach dem Jahr bei uns den Umstieg in den ersten Arbeitsmarkt schafft, dann freut uns das sehr, doch wir messen Erfolg nicht nur an der Vermittlungsquote. Die Erfolgspalette geht für mich deutlich weiter. Zum Beispiel sind die persönliche gesundheitliche Stabilisierung, eine finanzielle Absicherung oder eine fachliche Qualifizierung nach diesem Jahr bei uns ebenfalls sehr wichtig“, meint die Betriebsrätin Jasmine Alge aus dem Second-Hand-Laden in Hall.

Drastischer Kahlschlag

Im Spätsommer erreichte eine Hiobsbotschaft sozialökonomische Betriebe: Zahlreiche Initiativen aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik wurden über einschneidende Kürzungen in ihrem Budget für 2024 informiert. Der Grund: Das Finanzministerium stellt zu wenig Geld zur Verfügung, langfristig sind drastische Kürzungen im Förderbudget des AMS vorgesehen und damit in der Finanzierung sozialökonomischer Betriebe. Dabei bedürfte es nicht zuletzt aufgrund der hohen Inflation einer Erhöhung der Fördermittel. Das Ausmaß der geplanten Einschnitte lässt sich noch nicht abschätzen. Fest steht aber: Soziale Beschäftigungsinitiativen können ihre Angebote nicht weiter ausbauen, und manche Betriebe könnten vor dem Aus stehen. Für WAMS und viele andere ist das ein Existenzproblem.

Wenn soziale Unternehmen ihre Betriebe im Bereich Re-Use, Upcycling und Recycling schließen müssen, gefährdet das nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch den Klimaschutz.

Melanie Spangler, arbeit plus Tirol

Welle der Solidarität

Der Verein WAMS sah sich bereits gezwungen, die Radwerkstatt Conrad und den Second-Hand-Laden in Hall zu schließen. Als die Nachricht der drohenden Schließungen bekannt wurde, formierte sich schnell eine Welle der Solidarität. Neben einer Unterschriftenliste wurde auch eine Solidaritätsdemo vor dem Fahrradgeschäft abgehalten. „Für die Mitarbeiter:innen war die Ankündigung einer möglichen Betriebsschließung zuerst ein großer Schock. Auf allen Ebenen gab es Unverständnis für Budgetkürzungen beim AMS. Unsere Mitarbeiter:innen waren aber doppelt belastet, da sie im Laden oft aufgebrachten Kund:innen erklären mussten, weshalb das Geschäft möglicherweise schließen muss“, erklärt Betriebsrätin Jasmine Alge die schwierige Situation. Von der Bevölkerung gab und gibt es jedoch viel positive Resonanz und Unterstützung.

WAMS-Geschäftsführerin Christina Regensburger befürchtet einen steigenden Bedarf an Transitarbeitsplätzen in Tirol. | © Markus Zahradnik

Geringe Arbeitslosigkeit täuscht

Gerechtfertigt werden Einschnitte auch mit einer guten Lage auf dem Arbeitsmarkt. „Schaut man auf die aktuellen Arbeitsmarktzahlen, dann zeigt sich auf den ersten Blick ein erfreuliches Bild: Tirol startet mit Vollbeschäftigung in den Herbst! Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 3,3 Prozent (Stand 30. 9. 2023), und die Langzeitbeschäftigungslosigkeit ist seit dem Höchststand im Mai 2021 von 5.054 auf 1.579 Personen gesunken“, sagt Melanie Spangler von arbeit plus Tirol. Doch nur weil es momentan eine niedrige Beschäftigungslosenquote gibt, bedeutet dies nicht, dass das auch in absehbarer Zukunft so bleibt. „Die Dynamiken in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt weisen immer stärker in Richtung Verschlechterung, wie WIFO-Prognosen zeigen. In manchen Branchen, wie etwa dem Baugewerbe, sind die ersten Anzeichen des Abschwungs bereits spürbar“, relativiert Spangler die guten Zahlen. Sozialökonomische Betriebe stehen zudem in der Kritik, teuer zu sein. Wer so argumentiert, missachtet jedoch den Umstand, dass Arbeitslosigkeit den Staat teurer kommt als Investitionen in Beschäftigung.

Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sind nicht leicht einzuschätzen. Wie viele Transitarbeitsplätze in den kommenden Monaten und Jahren beim Verein WAMS benötigt werden, ist unklar. „Das hängt viel mit wirtschaftlichen und globalen Fragen zusammen. Ich gehe allerdings davon aus, dass der Bedarf an Arbeitsplätzen steigen wird“, sagt WAMS-Geschäftsführerin Christine Regensburger. arbeit plus forderte den Bund daher auf, von Kürzungen aufgrund der vermeintlich „positiven Arbeitsmarktsituation“ abzusehen und weitere Gelder zur Verfügung zu stellen, damit jene Menschen weiterhin die Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen können, die sie für eine berufliche (Wieder-)Eingliederung benötigen.

Was nun?

Vorerst konnte die Schließung der Fahrradwerkstatt Conrad in Innsbruck sowie des Second-Hand-Ladens und der Sammelstelle in Hall für das Jahr 2024 abgewendet werden. Durch eine Überbrückungsfinanzierung wird der Fortbestand zumindest für das kommende Jahr gesichert. Dass im letzten Moment ein „Schulterschluss“ zwischen dem AMS, dem Land Tirol sowie den Städten Innsbruck und Hall gelungen ist, ließ alle Beteiligten kurz aufatmen. Doch wie geht es weiter? Sollte es zu einer Schließung mit Jahresende 2024 kommen, dann hätte das viele negative Auswirkungen. „Für unsere Mitarbeiter:innen und für mich als Betriebsrätin wäre das ein Worst-Case-Szenario“, schildert Jasmine Alge ihre Gefühlslage. „Wenn soziale Unternehmen ihre Betriebe im Bereich Re-Use, Upcycling und Recycling schließen müssen, gefährdet das nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch den Klimaschutz. Denn Nachhaltigkeit und der Übergang zur Kreislaufwirtschaft werden von unseren Betrieben seit fast 40 Jahren bedient“, sagt Melanie Spangler von arbeit plus Tirol. Fest steht: Kürzungen im Förderbudget von heute erzeugen die Erwerbslosigkeit von morgen. Daher gilt es, sozialökonomische Betriebe zu stärken, statt das Korsett enger zu schnüren.

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Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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