Rekordstreik in Deutschland beschäftigt sogar chinesische Botschaft

Dirk Schulze, IG Metall-Bezirksleiter für Berlin, Brandenburg und Sachsen, im Gespräch mit Streikenden vor dem Recyclingwerk von SRW Metalfloat.
Dirk Schulze, IG Metall-Bezirksleiter für Berlin, Brandenburg und Sachsen, im Gespräch mit Streikenden vor dem Recyclingwerk von SRW Metalfloat. | @ Jan Woitas/dpa/picturedesk.com
Im Recyclingunternehmen SRW Metalfloat haben am 8. November 2023 Teile der Belegschaft die Arbeit niedergelegt. Der längste Streik der deutschen Geschichte ist jetzt sogar in der chinesischen Botschaft angekommen.
Teile der Belegschaft von SRW Metalfloat befinden sich seit dem 8. November 2023 im Streik. Durch die Unterstützung der IG Metall ist die Arbeitsniederlegung zur längsten der deutschen Geschichte geworden. Den Beschäftigten geht es um bessere Arbeitsbedingungen und einen Tarifvertrag. Sie fordern außerdem Gespräche auf Augenhöhe mit dem chinesischen Investor. Deswegen empfing jüngst sogar die chinesische Botschaft die Vertreter:innen der Gewerkschaft und der Belegschaft. Aus Sicht des Unternehmens könnte der Streik längst beendet sein. Lediglich bei einer Forderung möchte keine Partei nachgeben.

Streik bei SRW Metalfloat: Darum geht es

Beim Streik von SRW Metalfloat geht es um wesentlich mehr als die klassischen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Die Inflation hat auch Deutschland zu schaffen gemacht und auch die Debatte um eine Absenkung der Arbeitszeit ist bei unserem Nachbarn genauso auf der Tagesordnung. Eine Lösung ist hier (auch für die Arbeitgeber:innen) Pflicht. Die Belegschaft des Recyclingunternehmens fordert:

  • Entgelterhöhung um 8 Prozent
  • Verpflichtende Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von 1.500 Euro
  • 38-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich

Von zentraler Bedeutung ist allerdings die vierte Forderung. Nämlich der Abschluss eines Tarifvertrags. SRW Metalfloat und deren Mutterkonzern Scholz Recycling weigern sich, einen abzuschließen. Die IG Metall wiederum will den Streik nicht beenden, bevor es einen gibt. Eine wichtige Rolle kommt in dieser Situation dem chinesischen Investor zu.

Der chinesische Investor hinter SRW Metalfloat

Das Recyclingunternehmen SRW Metalfloat gehört zur Scholz Recycling GmbH. Die erwirtschaftet pro Jahr etwa 1,6 Milliarden Euro. Etwa fünf Prozent davon stammen nach Angaben des Unternehmens von SRW Metalfloat. Im Jahr 2016 war der Mutterkonzern pleite. Die chinesische Chiho Environmental Gruppe übernahm das hochverschuldete Unternehmen für einen symbolischen Euro. Mehrheitsaktionär von Chiho ist die USUM Investment Group, die wiederum eine Tochterfirma der Loncin Group aus Chongqing ist.

Grundsätzlich haben chinesische Investor:innen in Deutschland einen ausgezeichneten Ruf – auch bei Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innen. Anders als ihre westlichen Kolleg:innen haben sie meist ein hohes Interesse daran, den Betrieb langfristig am Laufen zu halten. Sie wollen durch Übernahmen einen Fuß in den europäischen Markt bekommen, Know-how erhalten und in China Produkte mit dem Label „Made in Germany“ verkaufen. Häufig erweitern sie deswegen sogar die Produktion, statt Einsparungen vorzunehmen.

Üblich ist, dass chinesische Investor:innen ihre eigenen Geschäftsführer oder andere Führungspersönlichkeiten installieren. So auch bei der Scholz Recycling GmbH. Dort ist Yongming Qin Geschäftsführer. Gegen den erhebt die IG Metall allerdings schwere Vorwürfe.

Vorwürfe der IG Metall gegen den chinesischen Investor

Da der Streik in Deutschland eine gewisse Popularität gewann, traf sich am Donnerstag, 14. März 2024, Wu Ken, der chinesische Botschafter in Berlin, mit Vertreter:innen der Gewerkschaft IG Metall und der SRW Metalfloat. Dabei übergaben sie dem Politiker einen offenen Brief, in dem sie den Investor hart attackieren. In dem Brief heißt es unter anderem:

„Unsere berechtigten Anliegen arrogant zu ignorieren und Gesprächsangebote unserer IG Metall-Vertreter unbeantwortet zu lassen, obwohl dieses Verhalten im Widerspruch zum Verhaltenskodex des Unternehmens steht, schadet dem Ansehen chinesischer Gesellschafter in Deutschland. Es geht dabei um Verlässlichkeit bzw. Wortbrüchigkeit gegenüber Kunden, Lieferanten, Aktionären und Beschäftigten. Das Verhalten unseres Arbeitgebers ist untypisch für chinesische Investoren in Deutschland. So gibt es selten Probleme mit Mitbestimmung und Tarifverträgen. Das Agieren unseres chinesischen Arbeitgebers ist leider längst zum Schandfleck Deutsch-Chinesischer-Wirtschaftsbeziehungen geworden.“

Der Vorwurf lautet, dass es bis zum Sommer 2023 konstruktive Verhandlungen zwischen SRW Metalfloat und der Belegschaft gegeben habe. Dann soll der Mutterkonzern dem Geschäftsführer das Verhandlungsmandat entzogen haben. Schriftliche Anforderungen, die Verhandlungen fortzusetzen, seien ignoriert worden. Nach vier Warnstreiks kam es zu einer Urabstimmung, bei der 89 Prozent für einen unbefristeten Streik votiert haben.

Scholz Recycling wehrt sich gegen Vorwürfe

Bei Scholz Recycling sieht man die Situation anders. Grundsätzlich sei man bereit drei der vier Forderungen zu erfüllen. Für die Beschäftigten, die nicht streiken, sei das seit dem 1. Januar auch schon der Fall. Es gab eine Gehaltserhöhung um 200 Euro, was bei den betreffenden Personen eine Gehaltssteigerung von 7 bis 8,5 Prozent gleichkäme. Weihnachts- und Urlaubsgeld würde man in Höhe von 2.000 Euro freiwillig zahlen (statt der geforderten verpflichtenden 1.500 Euro). 80 Prozent der Belegschaft hätten außerdem schon eine 37,5-Stunden-Woche.

Nicht infrage kommt allerdings der Abschluss eines Tarifvertrags. Scholz Recycling dazu: „Sollten die streikenden Betriebsräte der SRW Metalfloat in ihrer Funktion als Betriebsräte wieder Gespräche mit der SRW-Geschäftsführung aufnehmen wollen, um über die anderen Forderungen abseits des Tarifvertrags zu verhandeln, steht das Unternehmen selbstverständlich jederzeit bereit.“

Doch an dieser Stelle wird es haarig. Denn in der Vergangenheit hat das Unternehmen die Löhne festgelegt und dann dem Betriebsrat zur Unterschrift vorgelegt. Beispielsweise, wenn eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auch eine Anhebung der gezahlten Löhne notwendig gemacht hat. Doch diese Praxis verstößt laut IG Metall gegen Paragraf 77 Absatz 3 des Betriebsverfassungsgesetzes. Demnach dürfen Arbeitsbedingungen, die üblicherweise in einem Tarifvertrag geregelt werden (z.B. das Entgelt), nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. „Das heißt, dass die bisherige Praxis keine Rechtsverbindlichkeit besaß. Für Verhandlungen auf Augenhöhe und mit dem nötigen gegenseitigen Respekt braucht es in Deutschland zwei Parteien: Arbeitgeber und Gewerkschaften“, schreibt die IG Metall in dem offenen Brief an den chinesischen Botschafter.

Tarifverträge in Deutschland

Für die Gewerkschaften in Deutschland sind Tarifverträge ein wichtiges Instrument, die Arbeitnehmer:innen zu unterstützen. Doch deren Verbreitung sinkt zunehmend. Im Jahr 1998 gab es für 76 Prozent der Beschäftigten in Deutschland eine Tarifbindung. Im Jahr 2022 regelten Tarifverträge für nur noch rund 41 Prozent der Arbeitnehmer:innen das Beschäftigungsverhältnis, so das Statistische Bundesamt. In Ostdeutschland – SRW Metalfloat sitzt im sächsischen Espenhain – ist die Tarifbindung mit 33 Prozent besonders gering.

Eine Gruppe Arbeiterinnen und Arbeioter mit Helm in einer Werkstatt legen die Hände übereinander. Symbolbild für den Tartifvertrag.
Tarifverträge verlieren in Deutschland zunehmend an Verbreitung. Die Gewerkschaften möchten den Trend umkehren. | © Adobestock/Summit Art Creations

Rekordstreik bei SRW Metalfloat

Im Streit um den Tarifvertrag stehen sich die Parteien unversöhnlich gegenüber. Ob der chinesische Botschaft Wu Ken hier vermittelnd eingreifen kann, ist fraglich. Tatsächlich waren auch schon viele prominente Politiker:innen vor Ort in Espenhain. Darunter Ricarda Lang (Grünen-Bundesvorsitzende) und die beiden SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil. Zu dem Thema äußern wollen sie sich allerdings nicht.

Die IG Metall wirft SRW Metalfloat schlechte Arbeitsbedingungen vor. Im Sommer sei es wegen zu schlechter Klimaanlage an der Sortieranlage zu heiß. Im Winter mangels effizienter Heizung zu kalt. „Wie momentan viele Familien sind auch wir von gestiegenen Preisen betroffen. Wir spüren die Krisenauswirkungen und uns fehlt die finanzielle Luft zum Atmen. Mit Löhnen knapp über dem Mindestlohn ist es uns nicht mehr möglich, unsere Mieten und Rechnungen zu bezahlen“, so die Gewerkschaft.

Scholz Recycling wiederum beklagt, dass die Gewerkschaft einen Keil durch die Belegschaft treiben würde. So liege derzeit eine Klage beim Amtsgericht Leipzig, mit der rund 50 Beschäftigte den Betriebsrat entmachten wollen, so ein Vertreter von Scholz Recycling. Das Unternehmen habe außerdem von einem Dreischicht- auf ein Zweischicht-System umgestellt. Denn von den 196 Beschäftigten seien nur etwa 90 im Streik. Ein Beweis dafür, dass genug Arbeitnehmer:innen zufrieden sind? Mitnichten, glaubt die Gewerkschaft. Vom Unternehmen gäbe es die Drohung, dass Beschäftigte, die einen befristeten Vertrag hätten, und sich am Streik beteiligen würden, schlicht keinen neuen Vertrag bekommen würde. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit sei hier ein Druckmittel.

Die längsten Streiks in Deutschland

Als die IG Metall am Donnerstag, 14. März 2024, den Brief an den chinesischen Botschafter übergeben hat, dauerte der Streik bei SRW Metalfloat bereits 128 Tage. Damit ist die Arbeitsniederlegung die längste in der deutschen Geschichte – zumindest mit gewerkschaftlicher Unterstützung. Eine Übersicht über die längsten Streiks in Deutschland:

  • 1984 – 117 Tage Streik im Druckgewerbe: Bei dem Streik von 100.000 Beschäftigten ging es um eine Vorruhestandregelung und die Gleichstellung von Frauen. Am Ende gab es zwei Prozent mehr Lohn.
  • 1984 – 52 Tage Streik der Metaller:innen und Drucker:innen: Für den Kampf um die 35-Stunden-Woche legten die Metaller:innen in Hessen und Baden-Württemberg sieben Wochen lang die Arbeit nieder. Die Drucker:innen sogar zwölf Wochen lang. Beide Branchen kriegen damals immerhin die 38,5-Stunden-Woche.
  • 2006 – 93 Tage Streik der Ärzt:innen: Der sogenannte „Ärztestreik“ begann mit einer Demo am 16. Mai 2006 und endete am 17. August 2006. Dazwischen gab es teils umfangreiche Arbeitsniederlegungen und Protestaktionen an Universitätskliniken und kommunalen Krankenhäusern und die Abschlüsse mehrerer neuer Tarifverträge.
  • 2006 – 113 Tage im öffentlichen Dienst: Der Plan, die Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden anzuheben, führte dazu, dass etwa 40.000 Beschäftigte für rund 16 Wochen die Arbeit niederlegten.
  • 1975 – 449 Tage im Zementwerk: Drohende Entlassungen brachten etwa 150 Beschäftigte dazu, das Zementwerk Seibel & Söhne in Nordrhein-Westfalen zu besetzen. Allerdings handelte es sich hierbei um einen Streik ohne Unterstützung der Gewerkschaft.

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Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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