Radikalisierter Konservatismus: „Denen geht der Reis“ (+ Podcast)

Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl
Natascha Strobl beantwortet für A&W "Die große Frage. | © Michael Mazohl
Fotos (C) Michael Mazohl

Inhalt

  1. Seite 1 - Welche Sprachbilder sich gegen wen richten
  2. Seite 2 - Gewollte Ungleichheit und der Leistungsmythos
  3. Seite 3 - Macht- und Herrschaftsverhältnisse
  4. Seite 4 - Feindbilder und legitimierte Ungerechtigkeiten
  5. Seite 5 - Von Trump bis Kurz
  6. Auf einer Seite lesen >
Gesellschaftliche Ungerechtigkeiten brauchen stets ein Bild, das diese Ungerechtigkeiten als gerecht erscheinen lässt, erklärt Politikwissenschafterin Natascha Strobl. Das kann die „soziale Hängematte“ sein oder das Bild vom Chips essenden Proll im grauslichen Unterleiberl.

Arbeit&Wirtschaft: Wenn du den Begriff „soziale Hängematte“ hörst, was löst das bei dir aus?

Zur Person

Natascha Strobl, geb. 1985, ist Politikwissenschafterin mit Fokus auf Rechtsextremismus und die „Neue Rechte“. Unter dem Hashtag #NatsAnalyse analysiert sie auf Twitter regelmäßig (rechte) Diskursstrategien. Unlängst erschien von ihr das Buch „Radikalisierter Konservatismus“ im Suhrkamp Verlag.

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Natascha Strobl: Zunächst löst das in mir ein Abwehrgefühl aus, weil ich weiß, was mit dem Begriff bezweckt wird. Da ist natürlich ein Bild, das man sofort vor Augen hat: Eine Hängematte ist gemütlich, da legt man sich in den Garten, da scheint einem die Sonne auf den Bauch, vielleicht hat man noch ein Getränk daneben und döst ein bisschen vor sich hin, die Vögel zwitschern. Schön so eine Hängematte. Und genau das ist das, was damit bezweckt wird: In mir löst das auch Abscheu aus, weil es zynisch ist für das, was es sagen will.

Und der Begriff „Finanzhai“?

Das ist natürlich auch so ein Bild: Ein Hai, ein gefährliches Tier, dem möchte man lieber nicht zu nahekommen. Unsere Generation ist sehr vom Weißen Hai geprägt: blutrünstig, tödlich. Das sind schon große Bilder, mit denen man da arbeitet, wo man auch aufpassen muss. Aber „Finanzhai“ schockiert mich weniger als der Begriff „soziale Hängematte“, weil es eben darauf ankommt: gehts nach oben oder gehts nach unten?

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Wieso sind solche Bilder in der Politik so häufig in Verwendung?

Weil wir auch in Bildern denken. Bilder sind ganz wichtig, auch um eine Sache begreiflich zu machen. Wir denken ja nicht in Zahlen oder in Fakten. Ein Tisch ist ja nicht nur ein Tisch, sondern er ist immer mit einer Erfahrung verbunden, mit einer Emotion. So funktioniert Sprache ganz generell, nicht nur in der Politik. Wenn man sich überlegt, wie wichtig über Jahrhunderte und Jahrtausende tradierte Erzählungen in unserer Gesellschaft sind, dann weiß man, wie wichtig Bilder sind. Dass die Politik sich das zu eigen macht, liegt auf der Hand. Es kommt nur immer darauf an, welche Bilder und gegen wen sie sich richten sollen, was sie bewirken sollen. Und natürlich kann man auch überemotionalisieren und kann nur mit Emotion arbeiten. Dann hat man Bilder, die mit der faktischen Realität relativ wenig zu tun haben. Genau dann kommt man in gefährliches Terrain.

Wenn man sich überlegt, wie wichtig über Jahrhunderte und Jahrtausende tradierte Erzählungen in unserer Gesellschaft sind, dann weiß man, wie wichtig Bilder sind. Dass die Politik sich das zu eigen macht, liegt auf der Hand.

Wieso müssen gewisse politische Handlungen mit solchen Bildern unterfüttert werden?

Eine demokratische Gesellschaft, die noch dazu eine sehr komplexe ist, funktioniert ja so, dass die Herrschenden, die Regierung, ein Einvernehmen herstellen muss zwischen sich und den Beherrschten. Die Regierung einfach machen lassen und nach fünf Jahren wird abgerechnet, ob‘s auch jeder und jedem gepasst hat – so funktioniert das nicht! Sondern wir wollen jeden Tag mitgenommen werden, wir wollen beteiligt sein an dem, was da passiert. Und so ein gesamtgesellschaftliches Einverständnis muss hergestellt werden. Das passiert – nicht nur – aber sehr viel über Sprache.

Bilder kann man nicht nur für Vergangenes, sondern auch in Vorbereitung verwenden: Sodass dann das, was die Regierung macht, nur noch der logische Vollzug von dem ist, was in der Gesellschaft ohnehin schon bejaht wird


Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl im Gespräch
„Ein konservatives Bild von Gesellschaft baut darauf auf, dass jede und jeder ihren Platz in der gesellschaftlichen Rangordnung hat und dort auch bleibt. Das heißt, dass es nicht Aufgabe einer Gemeinschaft ist, Gleichheit zwischen Beherrschten herzustellen.“

Gewollte Ungleichheit und der Leistungsmythos

Du hast unlängst ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Radikalisierter Konservatismus“. Darin heißt es, bei den Konservativen ist die Vorstellung von zentraler Bedeutung, „Ungleichheit sei für das Funktionieren einer Gesellschaft konstitutiv. Klare Hierarchien sichern die soziale Ordnung.“ Inwiefern profitieren die Herrschenden von dieser vermeintlich notwendigen Ungleichheit?

Ein konservatives Bild von Gesellschaft baut darauf auf, dass jede und jeder ihren Platz in der gesellschaftlichen Rangordnung hat und dort auch bleibt. Das heißt, dass es nicht Aufgabe einer Gemeinschaft ist, Gleichheit zwischen Beherrschten herzustellen. Das kann durch natürliche Ungleichheitsverhältnisse begründet sein, was uns vor allem bei Geschlechterverhältnissen begegnet. Das kann genauso durch „Gott“ begründet sein. In einer konservativen Gesellschaftsordnung heißt es: es gibt Ungleichheit – und die ist gut.

Viel bemüht unter Konservativen ist das Narrativ von der Eigenverantwortung und der Leistungsbereitschaft. Inwiefern nützt das den Herrschenden, was versprechen sie sich davon?

Wenn wir uns alle einfach nur anstrengen müssten, sich jede und jeder sehr bemüht und dann sehen wir mal, was am Ende rauskommt – das wäre eine schöne Idee. Aber in einer Gesellschaft, die geprägt ist von Machtverhältnissen, durch Antagonismen, die teilweise Jahrhunderte alt sind, Unterdrückungsverhältnisse, die sich in Vermögensverhältnissen oder im ungleichen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen wie Bildung materiell ausdrücken, kann das nicht der Fall sein.

In kapitalistischen Gesellschaften zeigt sich das ganz klar in Klassenverhältnissen, im Antagonismus von Arbeit und Kapital. Im existierenden Patriachat zeigt es sich in den Geschlechterverhältnissen. Es zeigt sich im Umgang mit Rassismus, im Umgang mit unserer kolonialen Vergangenheit. Diese Machtverhältnisse, die gibt es, die kann ich nicht negieren. Und da kann ich mich nicht individuell rausbefreien. Das mag der ein oder anderen mal gelingen, aber das ändert strukturell nichts.

Was hilfts den Herrschenden, wenn alles in Eigenverantwortung und individuell gelöst werden soll? Ganz klar: Die Verhältnisse bleiben so, wie sie sind.

Also: Was hilfts den Herrschenden, wenn alles in Eigenverantwortung und individuell gelöst werden soll? Ganz klar: Die Verhältnisse bleiben so, wie sie sind. Man verhindert eine Organisierung oder ein kollektives Zusammengehen von Leuten, die vielleicht mehr bewegen könnten. Dieser ganze Individualisierungsdiskurs soll genau das bewirken: Dass man zwar hin und wieder einzelne Personen feiern kann – aber die große Mehrheit bleibt da unten, wo sie hingehört, weil sie sich nicht genug angestrengt hat.


Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl im Gespräch
„Diese ganze Idee von Leistung zielt darauf ab, zu zeigen, dass die da unten auch verdient da unten sind: Die leisten ja nichts, die haben sich nicht angestrengt.“

Macht- und Herrschaftsverhältnisse

Das bedeutet, eine Gesellschaft, die von Machtverhältnissen durchzogen ist, soll als eine ‚natürliche‘ inszeniert werden?

Ja, und als eine gerechte! Wenn man nur wollte, könnte man sich ja anstrengen. Aber wenn ich nicht jeden Tag um vier Uhr aufstehe und 16 Stunden für meinen Erfolg hackle, dann will ich‘s vielleicht nicht genug – und dann bin ich verdientermaßen auch da unten und habe verdientermaßen auch keinen Erfolg. Weil in diesen Ratgeberbüchern steht ja, wenn ich um vier Uhr aufstehe und 16 Stunden hackle, dann kann ich in zehn Jahren Milliardär:in sein. Also diese ganze Idee von Leistung zielt darauf ab, zu zeigen, dass die da unten auch verdient da unten sind: Die leisten ja nichts, die haben sich nicht angestrengt.

Und eine Frauenquote brauchen wir dann nicht, weil‘s ja eh Frauen gibt, die’s ganz nach oben geschafft haben …

…und die eine solche Quote dann auch ablehnen. Wir haben dann immer diese drei Frauen im Rampenlicht, die es irgendwie geschafft haben. Aber erstens sind das Ausnahmen, die bei weitem nicht die Regel darstellen. Und zweitens muss man sich natürlich anschauen, wo die herkommen. Es spielen nie nur Geschlechterverhältnisse eine Rolle: Dadurch, dass es vermögende Frauen nach oben schaffen, hat sich strukturell nichts geändert.

Mit Blick auf diese diskursiven Strategien: Wieso schaffen es die Herrschenden im Vergleich zu den Beherrschten, gemeinsam ein koordiniertes strategisches Interesse zu artikulieren, um ihre Interessen durchzusetzen – und die Lohnabhängigen nicht? Oder anders: Wieso findet derzeit ein „Klassenkampf von oben“, aber keiner „von unten“ statt?

Klassenkampf ist ja da, ob man will oder nicht, ob man ihn nun sieht oder nicht. Dass sich Kapitalinteressen besser organisieren können, ist nicht verwunderlich. Aber das Interessante, was wir derzeit sehen: auf gut Wienerisch, „denen geht da Reis“. Wir hatten in den vergangenen Jahren derart viele Krisen, angefangen von der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, der Corona-Krise bis zur Klimakrise. Die haben schon auch Angst, denn manche Teile des Kapitals wissen schon, dass es schwierig wird. Auch unter einzelnen Kapitalfraktionen besteht ein Konkurrenzverhältnis. Wir sehen nicht nur Klassenkampf von oben gegen unten, sondern auch die Kämpfe innerhalb des Kapitals.

Manche Teile des Kapitals wissen schon, dass es schwierig wird. Auch unter einzelnen Kapitalfraktionen besteht ein Konkurrenzverhältnis. Wir sehen nicht nur Klassenkampf von oben gegen unten, sondern auch die Kämpfe innerhalb des Kapitals.

Und das bedeutet meistens nichts Gutes für die unten. Denn was will Kapital machen? Es will akkumuliert, es will mehr werden. Und wenn’s mit Demokratie geht, gut, wenn‘s nur ohne Demokratie geht, auch gut. Das hat die Geschichte bewiesen.

Wo sich Kapitalfraktionen einig sind, ist, dass nach unten keine Zugeständnisse gemacht werden. So funktioniert Klassenkampf. Das lässt sich auch nicht auflösen, das lässt sich nicht individuell auflösen, sondern das ist konstitutiv für das System, in dem wir leben, Stand jetzt der neoliberale Kapitalismus.


Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl im Gespräch
„Es reicht nicht, es den Arbeitslosen im Leben möglichst schwer zu machen und Leistungen zu streichen. Sondern man muss noch suggerieren, dass die eigentlich gar nicht arbeiten wollen.“

Feindbilder und legitimierte Ungerechtigkeiten

Welche Funktion erfüllt hierbei die Konstruktion bestimmter Feindbilder? Also beispielsweise die Linke, Migrant:innen, Feminist:innen oder eben „faule Arbeitslose“…

Die sind ganz, ganz wichtig. Wir haben zwei Ebenen, auf dem sich das Ganze abspielt. Wir haben die materielle Ebene: Was passiert ganz konkret mit Staatsvermögen, was passiert mit Steuergeld, wie schaut ein Sozialstaat und ein Gesundheitssystem aus, wie ist Arbeit organisiert? Und dann haben wir eine Kulturkampf-Ebene, wo es um die Konstruktion (sprachlicher) Feindbilder geht. Die hat schon früh die extreme Rechte für sich vereinnahmt, konservative Kräfte springen derzeit auf diesen Zug auf.

Wir haben eine Kulturkampf-Ebene, wo es um die Konstruktion (sprachlicher) Feindbilder geht. Die hat schon früh die extreme Rechte für sich vereinnahmt, konservative Kräfte springen derzeit auf diesen Zug auf.

Diese beiden Ebenen verlaufen nicht parallel, sondern gehen laufend ineinander. Das beste Beispiel sind Arbeitslose: Es reicht nicht, es den Arbeitslosen im Leben möglichst schwer zu machen und Leistungen zu streichen. Sondern man muss noch suggerieren, dass die eigentlich gar nicht arbeiten wollen. Wenn man das mit diesen Feindbildern rechtfertigt, schlucken es die Leute eher. Denn wer will für jene in die Presche springen, die jeden Tag bis elf Uhr schlafen? Das sind ja nun wirklich keine sympathischen Leute…

Der britische Journalist Owen Jones beschreibt das in seinem großartigen Buch, „Chavs: The Demonization of the Working Class“ (deutsch: „Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse“). Er beschreibt darin, wie Arbeitslose angeblich den ganzen Tag zu Hause sitzen, Reality-TV schauen, Chips essen und sich nicht bewegen, fett sind und nur in grauslichen Unterleiberln herumsitzen. Dieses Bild, das da gezeichnet wird, ist so stark, dass sich niemand mehr in der Gesellschaft für diese Menschen einsetzen will. Das sind dann nur noch die Witzfiguren am Rand der Gesellschaft, die’s ohnehin verdient haben. Das ist der Kulturkampf. Dass man ihnen das Geld wegnimmt: Das ist der Klassenkampf

Das bedeutet, materielle Umverteilung muss immer ideologisch ummantelt werden, um Ungerechtigkeiten zu legitimieren?

Weil es in unseren Gesellschaften nicht akzeptiert ist, zu sagen: „Wir hassen Arbeitslose!“

In einem Beitrag für moment.at schreibst du über Bäcker, die sich im hiesigen Boulevard beschweren, dass sie kein Personal finden. Ihrer Meinung nach liegt das an dem zu hohen Arbeitslosengeld. Ist das genau dieser „radikalisierte Konservatismus“, von dem du auch im Buch schreibst?

Die Leute, die sich da zu Wort melden, das ist das Kapital, das jetzt Ansprüche stellt. Das gerne weniger zahlen würde und am liebsten wohl nur 800 Euro zahlen möchte für 40 Stunden. Natürlich auch, weil sie die Krise spüren, das braucht man nicht wegdiskutieren. Die haben alle Probleme: Lockdowns, Lieferketten, sinkende Kaufkraft. Das ist ein ökonomischer Druck. Aber letztlich bekommen diese Kapitalfraktionen Gratis-PR über auflagenstarke Zeitungen, die Aufreger und Polarisierung suchen. Und so wird eine Kampagne gestartet, dass das Arbeitslosengeld gedrückt werden soll. Politisch wird das aufgegriffen oder funktioniert im Wechselspiel. Teilweise kommt dabei die „rohe Bürgerlichkeit“ zum Vorschein: ‚Die hackln ja alle nichts, die liegen ja alle faul rum, die wollen ja gar nicht arbeiten‘ … ‚Ich bezahle ja so gut und die Leute wollen trotzdem nicht‘…


Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl im Gespräch mit unserem Autor Johannes Greß.
Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl im Gespräch mit unserem Autor Johannes Greß.

Von Trump bis Kurz

Ein Punkt, der mir in deinem Buch fehlt, ist eine Antwort auf die Frage, woher der „radikalisierte Konservatismus“ kommt, worin die politischen und historischen Gründe dafür liegen.

Wir haben nach 1945 in einer Zeit des relativen Wohlstands gelebt. In einer Zeit, in der versucht worden ist, auszugleichen, zu harmonisieren, um die Gesellschaft zu befrieden. Daraus haben sich Parteien entwickelt, die bereit waren, diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Auch weil sie davon profitiert und Wahlen gewonnen haben. In den meisten Fällen in Europa war das eine konservative und eine sozialdemokratische Partei. Es war stets Konsens da, dass man nicht wirklich mit diesem System bricht. Aber dieser wohlfahrtsstaatliche Kapitalismus hat Risse bekommen, dieses Nachkriegssystem wird materiell und ideologisch nicht mehr lange halten. Das liegt zum einen in den schon vorher angesprochenen Krisen, aber auch an der polarisierenden Vermögensverteilung und weil die Leute einfach merken, auch wenn sie arbeiten gehen, geht es sich am Ende des Monats trotzdem nicht mehr aus.

Du ziehst im Buch sehr oft Vergleiche zwischen Donald Trump und Sebastian Kurz, zwei auf den ersten Blick doch sehr unterschiedliche Politiker und Charaktere. Wieso ähneln sich die beiden trotzdem?

Ich würde sie sogar als das exakte Gegenteil voneinander bezeichnen. Wir hatten hier diesen sehr impulsiven, älteren Typen, bei dem man das Gefühl hatte, er hat sich gar nicht unter Kontrolle. Und dann haben wir diesen sehr kalkulierten, überlegten und vorbereiteten Sebastian Kurz, der viel jünger ist. Aber sie haben sehr viel mehr Gemeinsamkeiten, als der erste Eindruck vielleicht hergibt. Diese harschen Attacken auf Institutionen des Rechtsstaats, auf Medien und auf den Sozialstaat – das sind Strategien, die sehr ähnlich sind. Das Ziel ist nicht die direkte Zerstörung des Staates, aber die Aushöhlung. Wir sehen das in Österreich bei den gezielten Attacken auf Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und in den USA, wo Trump den Supreme Court gezielt mit eigenen Leuten besetzte.

Das Ziel ist nicht die direkte Zerstörung des Staates, aber die Aushöhlung. Wir sehen das in Österreich bei den gezielten Attacken auf Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und in den USA, wo Trump den Supreme Court gezielt mit eigenen Leuten besetzte.

Genauso wichtig wie diese Aushöhlungsstrategien ist der permanente Regelbruch, seien es formelle Regeln wie Gesetze, aber vor allem informelle Regeln. Dass man permanent gegen Anstand, Moral und Etikette verstößt. Hier sehe ich viele Gemeinsamkeiten.

Spannend ist, dass Trump an die Macht kam, nachdem Barack Obama zuvor acht Jahre Präsident war, ein in linken und linksliberalen Kreisen doch sehr angesehener Mann…

Das sind genau die Fragen, die sich die Demokratische Partei bis heute nicht gestellt hat. Trump wird immer als „Unfall der Geschichte“ gesehen. Als eine Anomalie, die unangenehm ist, aber von der man gar nicht weiß, wo die denn herkommt. Ich denke, das ist eine gefährliche Annahme.

In den USA habe ich zwei Parteien, die alle ihre Geldgeber:innen haben und in der Hand von Kapital sind. Da geht es um Machterhalt, aber die Bevölkerung wird überhaupt nicht repräsentiert, weil es zum größten Teil Millionär:innen sind, die gewählt werden. Die beiden Parteien haben sich so weit angenähert, dass es eigentlich egal ist, ob die eine oder die andere an der Macht ist, weil Kriege führen sowieso beide und Health Care gibt es mit beiden nicht. Dann haben beide noch zig Skandale und Skandälchen hinten dranhängen, und so weiter.

Genau dieses Bild hat Hillary Clinton für viele repräsentiert. Das wurde von Trump ins Groteske verstärkt, der ja auch Millionär ist und zig Skandale hat. Aber er hat nicht so getan, als würde er da jetzt weiter mitmachen wollen, sondern er hat‘s geschafft, sich als der Rächer der Ungerechtigkeiten hinzustellen. Er hat eine Realität aufgezogen, die mit der realen Realität nicht mehr viel zu tun hat. Auf das waren die Vertreter:innen des Systems nicht eingestellt und haben auch nicht verstanden, was das mit ihnen zu tun hat. Bis heute nicht, kommt mir vor.

Inhalt

  1. Seite 1 - Welche Sprachbilder sich gegen wen richten
  2. Seite 2 - Gewollte Ungleichheit und der Leistungsmythos
  3. Seite 3 - Macht- und Herrschaftsverhältnisse
  4. Seite 4 - Feindbilder und legitimierte Ungerechtigkeiten
  5. Seite 5 - Von Trump bis Kurz
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Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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