Wenn Paketzusteller:innen keinen Lohn kriegen: Tina Morgenroth im Interview

Tina Morgenroth im Porträt. Sie setzt sich für gute Arbeitsbedingungen für Paketzusteller:innen ein.
Schluss mit Subunternehmen: Tina Morgenroth von Faire Mobilität fordert gerechte Arbeitsbedingungen in der Paketbranche. | © Goldine Fotografie
Paketzusteller:innen sind für Gewerkschaften ein schwieriges Klientel. Im Interview spricht Tina Morgenroth über die deutsche Initiative Faire Mobilität und über Möglichkeiten, Migrant:innen in Arbeitskämpfe einzubinden.
Die Paketbranche gerät immer wieder in die Schlagzeilen: Erst im Dezember zeigte die Studie „Es ist eine Pyramide – der Druck kommt von oben nach unten“ die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen auf, unter denen migrantische Beschäftigte in der Paketzustellung arbeiten. Auch Tina Morgenroth kennt das Problem. Sie ist Koordinatorin von Faire Mobilität, einem Projekt, das Paketzusteller:innen aus mittel- und osteuropäischen Ländern über faire Arbeitsbedingungen in Deutschland aufklärt.

Zur Person
Tina Morgenroth arbeitet beim DGB-Bildungswerk Thüringen. Dort ist sie als Koordinatorin für das Projekt Faire Mobilität in Thüringen zuständig und setzt sich für die Rechte ausländischer Beschäftigter aus der EU ein. Sie ist Branchenkoordinatorin für Kurier- und Paketdienste am Beratungsstandort Erfurt.

Arbeit&Wirtschaft: Der Deutsche Bundesrat hat Ende Jänner ein Verbot von Subunternehmern in der Paketbranche gefordert. Was würde das für die Branche bedeuten?

Tina Morgenroth: Für die Branche würde das bedeuten, dass Menschen, die derzeit bei Subunternehmen oder Sub-Subunternehmen beschäftigt sind, dort nicht mehr beschäftigt sein könnten, sondern im besten Falle bei den Auftraggebern selbst. Gerade ist noch unklar, ob und wie der Vorschlag tatsächlich umgesetzt wird, aber es gibt zumindest unterschiedliche Akteure, die diese Forderungen stark machen.

Ein Paketzusteller hievt ein Paket aus einem Auto. Symbolbild für die schlechten Arbeitsbedingungen der Paketzusteller:innen.
Schwere Last: Paketzusteller:innen leiden oft unter schlechten Arbeitsbedingungen. | © MICHAEL BUHOLZER / Keystone / picturedesk.com

Welche konkreten Auswirkungen hätte das für die Beschäftigten?

Subunternehmer-Ketten sorgen immer für ein bestimmtes Maß an Intransparenz. Teilweise ist nicht klar, wer der Ansprechpartner oder der Arbeitgeber ist. Außerdem herrscht ein großer Konkurrenzdruck zwischen diesen Subunternehmen. Es kommt oft darauf an, wer die besseren Deals mit den Auftraggebern aushandelt oder die besseren mündlichen Zusagen hat. Ich sage bewusst „mündliche Zusagen“, denn auf dem Papier stehen in dieser Branche viele Sachen, aber das heißt nicht unbedingt, dass das auch eingehalten wird.

Die Hoffnung oder der Gedanke hinter der Forderung nach einem Subunternehmer-Verbot ist, dass es eine große Belegschaft gibt, die bei einem Arbeitgeber oder Auftraggeber tatsächlich angestellt ist. Das ermöglicht ganz andere Chancen der Mitbestimmung, da Menschen auch Betriebsräte gründen können. Somit können sie sich als Kollegium von 100, 200 oder 300 Menschen begreifen – und nicht nur 20 oder 30 Personen, die man vielleicht mal kurz auf dem Parkplatz gesehen hat, aber zu denen man im Grunde keinen Bezug hat.

Natürlich hat das auch den Vorteil, dass es ein Unternehmen gibt, das haftbar gemacht werden kann. Wenn Probleme auftauchen, gibt es einen Ansprechpartner. Ein häufiges Problem ist, dass sich Menschen darauf verlassen, dass es ihr Arbeitgeber gut mit ihnen meint, und wenn es ein Problem gibt, ist dieser plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Mit einem Verbot von Subunternehmen gibt es eine Ansprechperson, eine Personalabteilung, mit der man Dinge klären kann. Das ist für Betroffene oder Ratsuchende transparenter und einfacher.

Arbeitgeber schätzen Faire Mobilität eher weniger: „Wir haben auch mitbekommen, wie vom Arbeitgeber Druck erzeugt wird, den Flyer nicht anzunehmen.” | © Adobestock/Ronald Rampsch

Wie sieht die Arbeit von Faire Mobilität aus?

Faire Mobilität ist ein 2011 gegründetes, bundesweites Beratungsnetzwerk mit vielen Beratungsstandorten in ganz Deutschland, die zu arbeits- und sozialrechtlichen Themen informieren und unterstützen. Unser Auftrag ist, Menschen individuell zu unterstützen, aber auch vor Ort zu schauen, in welchen Branchen man gezielt Menschen mit muttersprachlichen Informationen versorgen kann. Für die Paketbranche bedeutet das konkret: Wir stehen vor den Betrieben oder auf den Parkplätzen, auf denen sich Menschen unterschiedlicher Subunternehmen treffen, und versuchen, ihnen zumindest unseren Flyer mit den Kontaktdaten in die Hand zu drücken. Wir sagen ihnen: Wenn es Probleme gibt, dann meldet euch! Wir sind eine anonyme, vertrauliche Anlaufstelle, gewerkschaftsnah und parteiisch für die Arbeitnehmenden.

Fallen diese Aktionen auf fruchtbaren Boden?

Ja, schon. Wir erleben es immer wieder, dass einige uns auch kennen, weil wir jedes Jahr oder an manchen Standorten mehrmals pro Jahr vor Ort sind. Es gibt unterschiedliche Reaktionen, manche hupen, bedanken sich, geben einfach einen Daumen hoch, viele berichten über Probleme. Wir haben auch mitbekommen, wie vom Arbeitgeber Druck erzeugt wird, den Flyer nicht anzunehmen. Die Fahrer halten dann nicht an, lassen das Fenster geschlossen, weil sie Angst vor Ärger haben. Aber grundsätzlich ist es eine positive Einstellung uns gegenüber. Oft melden sich Menschen direkt im Anschluss an solche Aktionen. Wir merken schon, dass die Aktionen Reaktionen nach sich ziehen.

Wenn Leute zu Ihnen in die Beratungsstellen kommen, was sind die zentralen Probleme und wie können Sie da weiterhelfen?

Menschen kontaktieren uns am häufigsten wegen einer Kündigung oder ausstehenden Bezahlungen. Wenn wir uns die Fälle dann näher angucken, stellen wir meist fest, dass die Probleme eigentlich tiefgreifender sind. Teilweise wurde Monate zuvor auch nur ein Teil des Lohns ausbezahlt, es wurden nicht alle Arbeitsstunden erfasst oder das Arbeitszeitgesetz wurde missachtet – was bei fast allen der Fall ist, meistens arbeiten sie mehr als acht oder zehn Stunden pro Tag.

Die Ratsuchenden kommen und benennen die Spitze des Eisbergs – und wir stellen fest: Huch, da gibt es ja noch viel mehr. Meist ist es ein Potpourri an Problemen. Wir versuchen dann zu unterstützen, beispielsweise indem wir raten, gegen eine Kündigung rechtlich vorzugehen oder helfen, eine Lohnklage einzubringen.

Häufig kommen die Leute erst, wenn es brennt. Sie erdulden viele Sachen, vielleicht auch wissend, dass es Rechtsbruch ist, aber sie haben im Vorhinein mündliche Zusagen gemacht und an die wollen sie sich halten. Erst wenn über längere Zeit kein Lohn kommt oder wenn man einfach rausgeschmissen wurde, dann melden sie sich bei uns.

Wieso braucht es Faire Mobilität eigentlich? Es gibt ja die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di …

Hmm, das könnte man sagen – wenn es bei ver.di oder generell bei deutschen Gewerkschaften Menschen gäbe, die mehrsprachig genug sind, um die Menschen in diesen Branchen anzusprechen und Kontakte aufzubauen. Aber die gibt es im Grunde nicht. Der zweite und viel wichtigere Punkt ist: Gewerkschaften machen in erster Linie Arbeit für Gewerkschaftsmitglieder. Leute, die nicht Mitglied sind, bekommen keine Beratung. Ich will das gar nicht kritisieren, aber das führt natürlich dazu, dass die Zielgruppe, die sich an uns wendet, bei deutschen Gewerkschaften durchs Raster rutscht. Für die gibt es kaum Ansprechpersonen und da braucht es im Grunde die Faire Mobilität oder Faire Integration. Wir haben eine Art Brückenfunktion, wir informieren über die Gewerkschaften, geben Informationen weiter, klären auf, leisten arbeitsrechtliche Beratung in den Muttersprachen.

& mehr erfahren

Faire Mobilität ist ein 2011 gestartetes gewerkschaftsnahes Projekt, das sich für gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen für Beschäftigte aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt durchsetzt. Faire Mobilität arbeitet an 13 Standorten in Deutschland.

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Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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