Unmenschliche Arbeitsbedingungen: Studie zeigt Schattenseiten der Paketdienste

Ein Paketzusteller bei der Arbeit. Eine Studie deckt die unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Paketdienste auf.
| © HANS PUNZ / APA / picturedesk.com
Während die Branche Rekordumsätze schreibt, stehen die Arbeiter:innen von Paketdienstleistern unter enormen Druck. Eine Studie zeigt die teils unmenschlichen Bedingungen.
Wenn zur Weihnachtszeit Paketbot:innen von Tür zu Tür eilen, verbergen sich in ihren Paketen meist nicht nur Weihnachtsgeschenke, sondern auch Arbeitsbedingungen fernab jeglicher sozialrechtlichen Standards. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Es ist eine Pyramide – der Druck kommt von oben nach unten“ des Instituts für Soziologie der Universität Wien im Auftrag der Arbeiterkammer Wien. Sie zeigt die unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf, zu denen die überwiegend migrantischen Beschäftigten in der Paketzustellung und den Verteilerzentren arbeiten.

Zur Studie
Es ist eine Pyramide – der Druck kommt von oben nach unten. Fragmentierte Beschäftigung migrantischer Arbeitnehmer:innen in der Paketlogistik“. Für ihre Untersuchung führten die Soziolog:innen vom Institut für Soziologie der Universität Wien insgesamt 59 Interviews. 43 Interviews mit Arbeiter:innen in der Paketdienstbranche (in der Zustellung und in den Verteilerzentren), 14 mit Expert:innen (Arbeitsinspektorat, Finanzpolizei, Gesundheitskasse, Wirtschaftskammer, Gewerkschaft und Arbeiterkammer) und zwei Gruppeninterviews mit dem Management großer Logistikkonzerne. Teil der Studie waren unter anderem Amazon, Post AG, DPD, DHL und GLS. Studienautor:innen: Johanna Neuhauser, Anita Heindlmaier, Marvin Tauchner, Peppi Winter, Zsófia Koós

Paketdienste: Vergehen trotz Regulierung

Die Menge der in Österreich zugestellten Pakete hat sich seit 2015 von 158 Millionen auf 355 Millionen Pakete im Jahr 2022 mehr als verdoppelt. Zur Weihnachtszeit stellen die größten Unternehmen hierzulande teils mehr als eine Million Pakete täglich zu. „Es ist die am schnellsten wachsende Branche überhaupt“, sagte Co-Projektleiterin Johanna Neuhauser (Universität Wien) bei der Präsentation der Studie am Montag. Die Zahl der Beschäftigten in der Zustellung und den Verteilerzentren stagniert hingegen – ein starkes Indiz, dass die Arbeitsbelastung enorm steigt.

Ein Paketzusteller mit Sackkarre. Die Arbeitsbedingungen bei den Paketdiensten sind unmenschlich.
Paketdienste boomen, gerade zur Weihnachtszeit. Die Beschäftigten sind mit unmenschlichen Arbeitsbedingungen konfrontiert. | © ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com

Gleichzeitig sei eine „Ausweitung atypischer Beschäftigung“ zu beobachten, schreiben die Autor:innen in der Studie. Nur eine Minderheit der Arbeiter:innen in der Paketbranche ist regulär beschäftigt. Meist handelt es sich um Sub- und Subsubunternehmer-Konstruktionen oder Leiharbeit. Die Arbeitsbedingungen beschreiben die Studienautor:innen als äußerst prekär. So stünden Arbeiter:innen in den Verteilerzentren unter permanenten Kündigungsdruck, Zusteller:innen hätten oft keine Zeit auf die Toilette zu gehen oder zu essen. Ein Problem, das nicht neu ist. Gerade der „Weihnachtsterror“ bei den Paketdiensten ist seit Jahren bekannt.

Paketdienste schaffen „multiple Prekarität“

Die Paketbranche ist geprägt von einem außerordentlich hohen Anteil von Menschen ohne österreichische Staatsbürger:innenschaft. Die Studienautor:innen sprechen von „multipler Prekarität“. Neben den prekären Arbeitsbedingungen stehen die Betroffenen u. a. aufgrund ihres Aufenthaltsstatus, mangelndem Zugang zu Sozialleistungen, fehlender Sprach- und Rechtskenntnisse oder ihrer Wohnsituation unter Druck.

Arbeiter:innen in der Paketbranche schuften laut Studie unter „hohem Arbeits- und Zeitdruck“ und in „permanenter Unsicherheit“. Alternativen am österreichischen Arbeitsmarkt sind für die überwiegend migrantischen Arbeiter:innen rar. Dies trage zur „Disziplinierung“ und zur „Einschränkung von Handlungsmacht bei“. Folglich komme es „kaum zu Versuchen, durch kollektive Organisierung bessere Arbeitsbedingungen zu erstreiten“. Amazon ist für die Verhinderung von Gewerkschaften berühmt-berüchtigt.

Paketdienste: Arbeiter:innen als „schwächstes Glied“

Zusätzlich verschärft wird die Situation durch die Logik internationaler „Logistikwertschöpfungsketten“. Dort steht an der Spitze ein großer Logistikkonzern, welcher Aufträge an Sub-, Subsub- oder Leiharbeitsfirmen vergibt, die zueinander im Wettbewerb stehen. Die Arbeiter:innen stehen „als schwächstes Glied“ am Ende dieser Kette.

Neuhauser ist wichtig zu betonen, dass an den teils verheerenden Bedingungen primär nicht einzelne Anbieter oder Unternehmen, sondern „das System dahinter“ Schuld sei. „Je weiter Arbeiter:innen vom Hauptauftraggeber entfernt, desto prekärer ihre Beschäftigungssituation“. Dementsprechend lautet auch der, von einer Aussage eines Interviewten stammende, Studientitel: „Es ist eine Pyramide – der Druck kommt von oben nach unten.“

Gilt Erwerbsarbeit gemeinhin als wesentlicher Faktor zur Integration, könne sich die Gleichung „Erwerbsarbeit = Integration“ bei derart prekären Bedingungen ins Gegenteil verkehren und zur „Desintegration“ der Betroffenen führen. Die Studienautor:innen sprechen von einem „Teufelskreis von prekärer Beschäftigung mit geringem Einkommen und geringer Stabilität, Arbeitslosigkeit und geringer sozialer Absicherung“.

Braucht „deutlich mehr Anstrengungen“

„Die Ergebnisse der Studie decken sich mit den Erfahrungen aus den Beratungen, die wir in der Arbeiterkammer durchführen“, so Matthias Piffl-Stammberger, Leiter der Abteilung Rechtsschutz der AK Wien, bei der Ergebnispräsentation. Die Beschwerden aus der Branche der Kleintransportgewerbe sei im Vergleich „überproportional hoch“. Häufig gehe es um nicht bezahlte Löhne oder unbezahlte Überstunden. Piffl-Stammberger spricht von „keinen Einzelfällen“, sondern vom „Eindruck der systematischen Ausbeutung von Arbeitnehmer:innen“.

Silvia Hofbauer ist Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der AK Wien. Sie fordert „deutlich mehr Anstrengungen und eine gezielte Strategie“ gegen Lohn- und Sozialdumping in der Branche. Arbeitnehmer:innen sollten bereits vor Dienstantritt über ihre Rechte aufgeklärt werden. Zugewanderte müssten in Ausbildung und der Anerkennung ihrer Qualifikationen besser gefördert werden, so Hofbauer. Zentral sei zudem eine Haftung für Erstauftragnehmer, ergänzt Piffl-Stammberger. Die Verantwortung, korrekte Löhne zu zahlen, müsse bei den großen Logistikkonzernen liegen – bei jenen, die von dieser Arbeit profitieren.

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Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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