Mobilität und Kommunikation: Es geht um die Macht

Eine Frau sitzt an einem Telegrafen und tippt einen Morsecode. Symbolbild für sich wandelnde Technologie in Mobilität und Kommunikation.
Neue Technologien bedeuten immer neue Herausforderungen: Das galt auch für Gewerkschaften. | © AdobeStock/everettovrk
Revolutionen in der Mobilitäts- und Kommunikationstechnologie stellten Gewerkschaften von Anfang an vor besondere Herausforderungen – in doppelter Hinsicht: als Gefährdung von Machtinteressen und als sozialpolitische Pressuregroup.
Es begann schon früher, aber nach 1800 kam der Durchbruch: Der Austausch von Nachrichten und Informationen über Landesgrenzen und Kontinente hinweg wurde immer rasanter. Das „Dampfross“ und die Dampfschifffahrt revolutionierten den Transport von Menschen, Waren und Nachrichten von A nach B – selbst, wenn die Postkutsche in Österreich noch bis in die 1920er-Jahre hinein unterwegs war. Innovationen bei der ältesten der modernen Kommunikationstechnologien, dem Buchdruck, machten Zeitungen zur erschwinglichen Massenware, und die Erschließung der Elektrizität als Energiequelle schuf die Voraussetzung für Telegrafie, Telefon und Radio. Einschließlich der Weiterentwicklung bis hin zur Digitalisierung des 21. Jahrhunderts. Selbstverständlich blieben auch Gewerkschaften von diesen Entwicklungen nicht unbeeinflusst. Innovationen in den Bereichen Mobilität und Kommunikation stellten für sie stets eine Herausforderung dar: Entweder wurde ihre eigene Machtposition dadurch bedroht oder sie konnten die Technologien für ihre eigenen Interessen nutzen.

Ein Cover einer Zeitschrift ist zu sehen. Darauf sind Strommasten abgebildet, ein Sonnenuntergang, über dem eine Hand, die Elektrizitätsblitze hält und dahinter eine Stadt. Es ist die Aufschrift "Elektrizitätsarbeiter" zu sehen. Symbolbild für den Wandel von Technologie in Mobilität und Kommunikation.
Cover der Zeitschrift des Arbeiterbetriebsrats der Wiener E-Werke vom September 1925. | © Produktionsgewerkschaft PRO-GE

Die Staaten, die bis Ende des Ersten Weltkriegs bestanden, waren überwiegend Monarchien oder andere autoritäre Systeme, in denen sich „das Volk“ nach vielen Opfern und Rückschlägen erst mühsam ein Stück Demokratie erkämpfen musste. Beschäftigte im Bereich der neuen Technologien, zum Teil hinsichtlich ihrer Kompetenz durchaus mit den Arbeitenden im digitalen Sektor vergleichbar, waren daran immer wieder entscheidend beteiligt. So verzögerten Eisenbahner beispielsweise während der Revolution von 1848 mehrmals Truppentransporte, weil sie Zugang zu den Telegrafenapparaten in den Bahnhöfen hatten und sich unter ihnen auch Kollegen befanden, die mithilfe des Morsealphabets Nachrichten senden und lesen konnten. Und als sie mit ihren „Bummelstreiks“ 1905 und 1906 das Wirtschaftsleben im Reich des Kaisers Franz Joseph zweimal lahmlegten, ging es nicht allein um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, sondern auch um die Forderung nach einem demokratischen Wahlrecht.

Streiken? Verboten!

Den „Dienst nach Vorschrift“ wählten die Eisenbahner als Kampfinstrument, weil ihnen das Streiken und jede gewerkschaftliche Aktivität verboten waren, unabhängig davon, ob sie in einer privaten oder staatlichen Bahngesellschaft arbeiteten. Sozialdemokratische, christlich-soziale und deutschnationale Bedienstete organisierten sich ab 1894 trotzdem, und ihre Gewerkschaften setzten schon in der Monarchie Personalvertretungen durch. Das Telegrafen- und Telefonnetz war ab 1895 komplett verstaatlicht, die hier Beschäftigten, großteils Frauen, die kaum Aufstiegschancen hatten, galten als Staatsbedienstete.

Eine Briefmarke mit der Aufschrift "Gewerkschaft der Post- und Telegrafenbediensteten 1919-1969, Republik Österreich". Über einem Erdball schwebt ein Posthorn, durch dieses geht ein Elektrizitätsblitz. Symbolbild für den Wandel der Technologie in Mobilität und Kommunikation.
Gewerkschaft und Kommunikationstechnologie: Briefmarke zum 50-jährigen Gründungsjubiläum der Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten;
Entwurf: Victor Theodor Slama. | © AK Wien-IHSF/Archiv

Die ersten Einrichtungen der kabellosen Funktechnologie, aus denen in den 1920er-Jahren das Radio hervorging, dienten zunächst ausschließlich militärischen Zwecken und standen demgemäß unter Kontrolle des Militärs. Auch hier galt ein Koalitionsverbot, über das sich wiederum die Arbeitenden hinwegsetzten. Postillione, Telegrafen- und Telefonarbeiter:innen schlossen sich 1905 der Gewerkschaft Handel, Transport, Verkehr an, und einer der vielen Unterstützungsvereine des Postbereichs übernahm mit der Errichtung eines Streikfonds und dem Angebot von Rechtsschutz noch vor dem Ersten Weltkrieg eine echte gewerkschaftliche Funktion.

Politische Diskussionen für das „gemeine Volk“

Koalitions- und Streikverbote waren ein Instrument der politischen und gesellschaftlichen Machthaber:innen, um die Kommunikationsinfrastruktur unter Kontrolle zu halten, Zensur war ein anderes. Für Druckereiarbeiter:innen und Journalist:innen galt zwar wie für alle Beschäftigten in der Privatwirtschaft ab 1870 Koalitionsfreiheit, aber die Zensur machte ihnen bis zum Ende der Monarchie trotz der Lockerung mit dem Verfassungsbeschluss von 1867 immer wieder zu schaffen. Die Erfahrungen, die das Kaiserregime mit der Pressefreiheit während der Revolution von 1848 gemacht hatte, als unzählige Flugblätter und Zeitungen die politische Diskussion in das „gemeine Volk“ hineingetragen hatten, waren nicht vergessen. Erst die demokratische Republik sorgte ab 1918 für volle Pressefreiheit und Gewerkschaftsfreiheit für alle Arbeitnehmer:innen. Telegrafist:innen und Funker hatten in der revolutionären Friedensbewegung am Ende des Ersten Weltkriegs mit ihrem Zugriff auf die Kommunikationstechnologien eine führende Rolle gespielt und damit wesentlich zum Sturz der Monarchie beigetragen.

Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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