Wer die Wahl hat …

Foto (C) ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
Im Jahr 1918 war es so weit: Österreichische Frauen erhielten das Wahlrecht. Hier zu sehen: die ersten Frauen im Parlament in Wien. Erste Frauen im österreichischen Parlament. Österreich. Photographie. 1919. - 19190101_PD2864

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  1. Seite 1 - Erkämpfung des allgemeinen Wahlrechtes
  2. Seite 2 - Mitbestimmung der Beschäftigten
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Das Wahlrecht wird seit über einem Jahrhundert Schritt für Schritt inklusiver. Defizite bestehen aber bis heute.
Im März 1894 ging eine Einladung zum sozialdemokratischen Parteitag auf den Postweg von Wien nach London. Ihr Empfänger war Friedrich Engels. Er hatte keine Zeit, sagte seine Teilnahme ab und sandte eine Grußbotschaft zurück an die Delegierten in Wien.

„Der diesjährige Parteitag hat besonders wichtige Aufgaben zu erfüllen. Es handelt sich in Österreich um die Erkämpfung des allgemeinen Wahlrechtes, jener Waffe, die in der Hand einer klassenbewußten Arbeiterschaft weiter trägt und sicherer trifft als das kleinkalibrige Magazinsgewehr in der Hand des gedrillten Soldaten“, schrieb Engels martialisch.

Keine direkte Wahl

In ganz Europa wurde damals von Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien für ein allgemeines Wahlrecht gestritten. Denn das gab es fast nirgends auf dem Kontinent. In der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie galt seit 1848 ein Kurien- und Zensuswahlrecht, bei dem die Abgeordneten über die Landtage gewählt wurden.

Direkt gewählt wurden die Mitglieder des Reichsrats erst ab 1873. Und zwar ausschließlich von Männern, die mehr als zehn Gulden Steuer entrichteten, bestimmten Berufsgruppen angehörten oder Bildungstitel erworben hatten. Das Wahlrecht schloss damit einen Großteil der Bevölkerung von den Wahlen aus – Frauen sogar völlig.

In Wien waren im Jahr 1880 gerade einmal 3,5 Prozent der Bevölkerung wahlberechtigt. „Der Kampf wird langwierig und heftig sein. Aber wenn die Arbeiter die politische Einsicht, die Geduld und Ausdauer, die Einmütigkeit und Disziplin beweisen, denen sie nun schon so viele schöne Erfolge verdanken, so kann der endliche Sieg ihnen nicht entgehen“, war sich Engels sicher.

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Erster Fortschritt

Geduld brauchten die österreichischen ArbeiterInnen tatsächlich noch, bis das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht eingeführt wurde. Der Parteitag von 1894 beschloss die Forderung nach einer fünften Wählerkurie für alle Männer ab dem 24. Lebensjahr; weitere Voraussetzungen waren: Sie mussten schreiben und lesen können, eine ständige Beschäftigung ausüben oder eine direkte Steuer bezahlen. Zwei Jahre später wurde diese fünfte Kurie tatsächlich geschaffen. Doch ein wirkliches, allgemeines Wahlrecht für Männer wurde erst 1907 eingeführt. Und bis auch Frauen an die Wahlurnen gelassen wurden, war eine ganze Revolution vonnöten.

Erst am 12. November 1918 erlangten Frauen in Österreich erstmalig das allgemeine und gleiche Wahlrecht. Ein paar Monate später, am 16. Februar 1919, fand schließlich die Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung statt – die erste freie Wahl der Republik. In der Verfassung vom März 1919 wurde die parlamentarische Demokratie mit direkten, freien, gleichen und geheimen Wahlen als Staatsform festgeschrieben. Für einen massiven Gewinn an Mitbestimmung sollte auch die Gründung der Arbeiterkammern im Jahr 1920 sorgen. Ferdinand Hanusch hatte jenes Gesetz in die Nationalversammlung eingebracht, das die Gründung der Kammer für Arbeiter- und Angestellte vorsah und am 26. Februar 1920 beschlossen wurde. Die Forderung nach einer fest verankerten Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter war nicht neu. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie erhoben – schließlich gab es seit 1849 auch Handelskammern, in denen die Unternehmer Pflichtmitglieder waren.

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Über den/die Autor:in

Thomas Stollenwerk

Thomas Stollenwerk stammt aus Deutschland, lebt seit über einem Jahrzehnt in Wien, ist studierter Politikwissenschaftler und arbeitet unter anderem als Redakteur des Magazins Biorama, als Buchautor und Wissenschafts-Kommunikator.

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