Mensch ärgert dich: Vorurteil, Nachteil, Gerichtsurteil

Diskriminierung Arbeitswelt Illustration
Illustration (C) Natalia Nowakowska
Das wird man doch noch sagen dürfen: Österreich hat ein Problem mit Diskriminierung – und damit hochgerechnet über 2,5 Mio. Menschen im Land. Es wird endlich Zeit, Schutz vor Diskriminierung breiter gesetzlich zu verankern.

Diskriminierung, das  ist österreichischer Alltag – in allen Lebensbereichen. Mit Kroatien, Luxemburg, der Slowakei, Italien und Rumänien zählt Österreich zu den traurigen Spitzenreitern in Europa, weit über dem EU-Durchschnitt.

Diskriminierung bedeutet, wenn Personen oder Gruppen aufgrund bestimmter Merkmale (z. B. Herkunft, Geschlechts, sexuelle Orientierung, Alter) schlechter behandelt oder benachteiligt werden.

Eine SORA-Studie im Auftrag der Arbeiterkammer untersuchte Diskriminierungserfahrungen in Österreich in den Bereichen Arbeit, Wohnen, medizinische Dienstleistungen und Ausbildung: 44 % der Befragten haben in den vergangenen 3 Jahren Diskriminierung erlebt.

Diskriminierungserfahrungen sind sehr unterschiedlich – dazu gehören Beleidigungen, Belästigungen, Gewalt sowie Schlechterstellungen unter anderem im Berufsleben, in der Schule, am Wohnungsmarkt oder im Rahmen von medizinischen Behandlungen. Konkret kann das bedeuten: Jemand anderer (mitunter auch weniger qualifiziert) bekommt den Job oder die Beförderung, SchülerInnen werden schlechter benotet, die Zusage für eine neue Wohnung bleibt aus.

Gleich und gleicher

Die Ergebnisse der Befragung machen deutlich, welche Gruppen besonders stark von Diskriminierung betroffen und von Gleichstellung weit entfernt sind. Wer sichtbar eine andere Herkunft hat, wird doppelt so oft diskriminiert als Menschen ohne Migrationshintergrund – nur etwas geringer ist das Verhältnis bei Muslimen und Christen, Menschen mit und ohne körperliche Beeinträchtigung, Homosexuellen und Heterosexuellen oder sozial weiter unten und weiter oben stehenden Personen.

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In dieser Statistik ist allerdings nicht berücksichtigt, welcher Diskriminierung die Personen ausgesetzt waren. Sie zeigt beispielsweise, wie groß der Teil der Frauen ist, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben – aber nicht, ob Frauen genau wegen ihres Geschlechts diskriminiert wurden, oder etwa aufgrund ihres Alters oder ihrer Religion.

Die Befragung zeigt nämlich noch größere Unterschiede, wenn diese subjektive Erfahrung betrachtet wird (dazu in der Grafik auf den Reiter “subjetive Einschätzung klicken), ob also Frauen wegen ihres Geschlechts diskriminiert wurden (14 % der Frauen, 1 % der Männer) oder Menschen muslimischen Glaubens wegen ihrer Religion (33 % der Muslime, 1 % der Christen). Mit fast 60 % weisen Menschen mit sichtbar anderer Herkunft den höchsten Wert auf.

TäterInnen sind häufig Menschen in Machtpositionen – z. B. Ärztinnen und Ärzte, MaklerInnen, VermieterInnen oder LehrerInnen.

Was die SORA-Studie zeigt: TäterInnen sind häufig Menschen in Machtpositionen – z. B. Ärztinnen und Ärzte, MaklerInnen, VermieterInnen oder LehrerInnen. Egal ob beabsichtigt oder auch unbeabsichtigt: Diskriminierung verstärkt diese Hierarchien, ob zwischen SchülerInnen und LehrerInnen oder zwischen MieterInnen und VermieterInnen.

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Schutz vor Diskriminierung nur im Arbeitsbereich

Aber ist Diskriminierung in Österreich nicht gesetzlich verboten? Jein. Ja in der Arbeitswelt, nein in eigentlich allen anderen Bereichen. Das Gleichbehandlungsgesetz regelt seit 1979 die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt.

Gleichbehandlungsgesetz

1979
Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt

2004
Erweiterung um die Gründe ethnische Zugehörigkeit, Religion, Alter und sexuelle Orientierung (Umsetzung aufgrund einer EU-Richtlinie)

2004
Verbot von Diskriminierung aufgrund der Ethnie auch außerhalb der Arbeitswelt

2006
Gleichbehandlungsgebot für Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt

2008
Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts außerhalb der Arbeitswelt

Das Gleichbehandlungsgebot besagt, dass niemand aufgrund von Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Weltanschauung, sexueller Orientierung oder Behinderung benachteiligt werden darf. Die soziale Stellung wird nicht als diskriminierendes Merkmal definiert, was allerdings unter anderem von der Arbeitkammer eingefordert wird.

Dieser umfassende Schutz gilt jedoch nur für Arbeitsverhältnisse und die Arbeitswelt, nicht für andere Lebensbereiche wir Bildung, Wohnen oder Gesundheit. 

11 Jahre Antidiskriminierung in der EU-Warteschleife

Bereits 2008 präsentierte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine EU-Antidiskriminierungsrichtline. Sie sieht vor, den  Schutz vor Diskriminierung vom Arbeitsplatz auf alle Lebensbereiche auszuweiten.

Die österreichische EU-Parlamentarierin Evelyn Regner (S&D, SPÖ) meldete sich dazu Ende Oktober in einem Redebeitrag an die finnische Ratspräsidentschaft: “Niemand soll aufgrund von Alter, Beeinträchtigung, sexueller Orientierung, Religion oder Geschlecht diskriminiert werden – auch außerhalb des Arbeitsplatzes nicht. Diskriminierung zuzulassen nur deswegen, weil der Kampf dagegen schwierig ist, wir Einstimmigkeit brauchen, dürfen wir nicht zulassen. Wir dürfen nicht aufgeben, das Richtige zu tun.”

Niemand soll aufgrund von Alter, Beeinträchtigung, sexueller Orientierung, Religion oder Geschlecht diskriminiert werden – auch außerhalb des Arbeitsplatzes nicht. Diskriminierung zuzulassen nur deswegen, weil der Kampf dagegen schwierig ist, wir Einstimmigkeit brauchen, dürfen wir nicht zulassen. Wir dürfen nicht aufgeben, das Richtige zu tun.

Evelyn Regner, EU-Parlamentarierin (S&D, SPÖ)

Die Beschlussfassung zur Richtlinie scheiterte bisher am Einstimmigkeitsprinzip. Setzt die finnische Ratspräsidentschaft die Antidiskriminierungsrichtlinie tatsächlich wieder auf die Agenda, werden die größten Widerstände von Deutschland, Polen und Ungarn erwartet. Polen und Ungarn stören sich besonders an der Berücksichtigung der sexuellen Orientierung im Vorschlag zur Richtlinie. Regner dazu: “Wir brauchen mehr Solidarität und mehr Respekt in Europa. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland, Polen und Ungarn ihre Blockade im Rat beenden.”

Regner appelliert weiter: “Bei der Antidiskriminierungsrichtlinie geht es um kein Minderheitenprogramm – das geht uns alle etwas an: Menschen bekommen keinen Mietvertrag, weil sie zu dunkel, zu schwul oder zu Frau sind.”

Antidiskriminierung in die Köpfe bringen

Mit der 11 Jahre überfälligen Ausweitung der gesetzlichen Regelungen ist es noch nicht getan. Schon die bestehenden, eingeschränkten gesetzlichen Regelungen kennen ein großer Teil der Betroffenen und TäterInnen nicht. Das verstärkt das Problem: Sind gesetzliche Regelungen nicht bekannt, verlieren sie ihre abschreckende und präventive Wirkung.

Sind gesetzliche Regelungen nicht bekannt, verlieren sie ihre abschreckende und präventive Wirkung

Da Diskriminierung zu einem sehr hohen Teil von Menschen in Machtpostionen (LehrerInnen, Ärztinnen und Ärzten, VermieterInnen, Vorgesetzten) ausgeht, müssen diesen Gruppen die Mechanismen und Auswirkungen von Diskriminierung deutlich gemacht werden. In sogenannten “Anti-Bias-Trainings” wird z. B. Führungspersonal ihr vorurteilsbehaftetes Handeln vor Augen geführt.

Was Betroffene jedenfalls brauchen, ist Hilfe und Unterstützung. Leider sind genau wie die gesetzlichen Regelungen auch die Angebote der Beratungsstellen wenig bekannt. Dabei können Beratungsstellen wie ZARA, HOSI oder BIZEPS nicht nur über die Möglichkeiten, sich zu wehren, aufklären, sondern auch zu Risiko und Aufwand rechtlicher Schritte beraten. Im Kampf gegen Diskriminierung wäre es daher ein wichtiger Schritt, diese Beratungsstellen in den besonders betroffenen Gruppen bekannter zu machen, und den Organisationen mehr Handlungsspielraum zu verschaffen.

Für rechtliche Schritte empfiehlt sich für Betroffene der Gang zur Gleichbehandlungsanwaltschaft. Diese bringt Anliegen zunächst nicht vor ein Gericht, sondern vor die Gleichbehandlungskommission.

Fest steht: Diskriminierung ist unrecht. Betroffene können und sollen sich dagegen zur Wehr setzen, und wer Diskriminierung beobachtet, darf nicht still bleiben.

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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