Wie Gewerkschaften um Lösungen ringen

Ein Interviewfoto von Barbara Teiber. Die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA im Portrait.
Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA im Interview. | © Michael Mazohl

Inhalt

  1. Seite 1 - Die Gewerkschaften im Auge des Sturms
  2. Seite 2 - Lösungen in der Krise
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Krisen über Krisen. Die Probleme scheinen überwältigend. Im Interview erklärt Barbara Teiber, die Vorsitzende der GPA, an welchen Lösungen die Gewerkschaften gerade arbeiten.
Als Vorsitzende der Gewerkschaft GPA ist Barbara Teiber gerade im Auge des Sturms. Die Inflation steigt stetig. Das Ersparte, sofern nach der Pandemie noch welches vorhanden war, geht zur Neige. Die Zinsen, etwa für Kredite, steigen und die hohen Energie- und Strompreise werden erst richtig zu Beginn des kommenden Jahres spürbar.  Für viele Menschen wird es zum Ende des Monats hin immer enger. Im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft geht Teiber auf die Punkte ein, die jetzt angepackt werden müssen.

Zur Person
Barbara Teiber, Jahrgang 1977, ist Vorsitzende der Gewerkschaft GPA. Die Wienerin hat einen Master of Arts in Political Management und arbeitet seit dem Jahr 2001 bei der GPA. So war sie unter anderem Frauensekretärin, politische Sekretärin des Vorsitzenden und Leiterin der Bundesfrauenabteilung. Seit dem Jahr 2018 ist sie Bundesvorsitzende.
Arbeit&Wirtschaft: Wohin geht die Reise in Österreich wirtschaftlich? Was brauchen die Menschen aktuell am dringendsten?

Teiber: Aktuell kann noch niemand abschätzen, wie lange es mit der Rekordinflation noch weitergehen wird. Daher braucht es endlich Maßnahmen, welche die Rekordteuerung wirklich nachhaltig dämpfen, damit die Menschen wieder eine Perspektive bieten, mit ihrem Einkommen auszukommen. Es gibt von der Regierung ja maximal Einmalzahlungen, aber nichts, was nachhaltig ist und die Inflation tatsächlich dämpft. Insofern gehen unsere Vorschläge seitens des ÖGB in die Richtung Energiepreisdeckel und Senkung der Mehrwehrtsteuer auf Nahrungsmittel, weil das den Menschen hilft, aber eben selbst auch die Inflation dämpft, was so dringend notwendig wäre.

Zusätzlich durchleben wir eine große Vertrauenskrise in die Politik und gerade aktuell auch in einzelne Vertreter:innen von Medien. Das Vertrauen in Institutionen schwindet zunehmend. Gewerkschaften und Arbeiterkammern gehören zu den wenigen Ausnahmen. Viele Menschen fühlen sich ohnmächtig und werden aggressiver. Gleichzeitig bedingt das eine andere Sorge, und zwar, dass der Ruf nach einem starken Mann wieder lauter wird. Sieht man sich an, welche Entwicklung die FPÖ laut den letzten Umfragen nimmt, so ist diese Sorge durchaus berechtigt. Jedoch hat genau dieser Ruf nach einem starken Mann die Gesellschaft immer ins Verderben geführt. Daher wäre eine Trendwende weg von Message Control, Korruption und einer Politik nur für die Superreichen ganz wichtig für die Stabilität unserer Gesellschaft. Damit es wieder in eine bessere Richtung geht.

Und die wirtschaftliche Entwicklung?

Teiber: Es ist einfach viel Unsicherheit da. Positiv ist nach wie vor, dass sich trotz Ansagen, dass die Wirtschaft einbrechen würde, sich der Arbeitsmarkt weiter gut entwickelt. Die Arbeitslosigkeit geht zurück. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist überall groß. Doch ich befürchte, dass der Krieg und die Inflation dazu führen werden, dass das Wirtschaftswachstum zurückgehen wird. Gleichzeitig steigen die Zinsen und das wird dazu führen, dass viele, die sich Immobilienkredite genommen haben, vor Existenzproblemen stehen werden. Das betrifft auch öffentliche Haushalte, wenn dadurch die Zinsrückzahlungen größer werden.

Daher werden wir als Gewerkschaften noch einmal verstärkt darum kämpfen, dass das Geld von dort geholt wird, wo enorm viel davon vorhanden ist und nicht versucht wird, die Budgetlöcher mit irgendwelchen Reformen zu stopfen, die auf dem Rücken der Mehrheit der Menschen ausgetragen werden. Denn es gibt ja unglaublich Reiche in unserer Gesellschaft, die immer reicher werden und einen viel zu geringen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten.

Vor diesem Hintergrund, wie klingt das für Sie, wenn seitens der Unternehmensvertreter, speziell der Industriellenvereinigung, die Aufforderung kommt, dass sich Leistung wieder lohnen müsse?

Stichwort Industriellenvereinigung. Man ist schon mehr als verärgert, dass während der Corona-Krise und jetzt Milliardenpakete geschnürt wurden, zu Summen, die man kaum begreifen kann, und gleichzeitig profitieren die gleichen Unternehmen etwa durch die Senkung der Körperschaftssteuer jetzt noch einmal. Und gerade die rufen wie arm sie sind. Das ist wie eine Verhöhnung der breiten Masse und der Arbeitnehmer:innen.

Was „Leistung muss sich lohnen“ betrifft:  Ja, das sehen wir genauso. Nur verstehen wir ganz etwas anderes darunter. Nämlich, dass sich Arbeit lohnen muss. Jedoch ist es genau unser Steuersystem, das unglaublich leistungsfeindlich ist. Denn die Steuereinnahmen werden zu 80% von Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen entrichtet. Für leistungsfreies Einkommen, wie Schenkungen und Erbschaften zahlt man jedoch keinen Cent an Steuern. In Wahrheit wäre es eine leistungsfreundliche Aktion, dass man genau dieses leistungsfreie Einkommen besteuert und dafür Arbeit entlastet. Natürlich können unter den Entlasteten dann auch Selbständige sein, aber sicher nicht die Superreichen, die sich auch hinter der Industriellenvereinigung verstecken und gegen Millionärssteuern wettern.

Ein weiterer Begriff, der in der Diskussion und medial häufig unreflektiert verwendet wird: die Leistungsträger:innen. Wer sind aus deiner Sicht Leistungsträger:innen?

Leistungsträger:innen sind die Masse der Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen Die, die sozusagen für die Allgemeinheit und somit für die Gesellschaft einen Beitrag leisten, sowie all jene, die unbezahlte Arbeit wie Care-Arbeit leisten. Natürlich muss man sagen, dass nicht jeder die gleiche Leistung erbringen kann. Dafür leben wir glücklicherweise in einer solidarischen Gesellschaft, wo wir aufeinander schauen. Wo etwa Kranke nicht zurückgelassen werden. Daher ist es immer wieder unverständlich, warum es nicht eine viel breitere Front derjenigen gibt, die Einkommen aus Arbeit entlasten und leistungsfreies Einkommen belasten wollen.

Man gewinnt den Eindruck, dass es ich gerade rund um diesen Leistungsbegriff bei den aktuellen Lohn- und Kollektivvertragsverhandlungen spießt. Was sind die Knackpunkte?

Als GPA verhandeln wir in sehr vielen unterschiedlichen Branchen, vom Handel über IT bis hin zur Sozialwirtschaft und die Bierbrauer. Grundsätzlich führen wir die Verhandlung ja immer auch mit dem Blick auf Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen, etwa den Arbeitszeiten. Aber heuer – in Zeiten der Rekordteuerung – geht es definitiv ums Geld. Also um die Höhe der Abschlüsse. Es ist daher wichtig in allen Bereichen über der rollierenden Inflation abzuschließen und alle Avancen der Arbeitgeber abzuwehren, was eine Abgeltung durch Einmalzahlungen betrifft. Denn die Preise werden hoch bleiben und das macht nachhaltige Abschlüsse umso wichtiger. Wie es das Wort bereits ausdrückt, die Einmalzahlung bekommt man einmal und dann verpufft sie. Die Inflation bleibt.

Interviewfoto von Barbara Teiber
„Mittelfristig kämpfen wir für eine weitere Arbeitszeitverkürzung“, erklärt Barbara Teiber im Interview. | © Michael Mazohl
Im Nachgang der Verhandlungen der Metaller wurde gesagt, sie seien Schwerstarbeit gewesen. Inwiefern?

Ja, es war diesmal für das Verhandlungsteam eine große Herausforderung. Einerseits ist die Inflation hoch und ein  Wirtschaftseinbruch wird in Aussicht gestellt. Andererseits wollten die Arbeitgeber die Spielregeln der KV-Verhandlungen verändern, etwa was die herangezogene Inflationsrate oder Einmalzahlungen betrifft. Das war stärker spürbar als in den Verhandlungen der Jahre davor.

Gleichzeitig stehen viele Branchen vor einem extremen Personalmangel, explizit auch in den Gesundheits- und Pflegeberufen. Was bedeutet das bei den KV- Verhandlungen? Wo muss neben der Priorität auf das Gehalt noch hingeschaut werden?

Mittelfristig kämpfen wir für eine weitere Arbeitszeitverkürzung. Ein zentrales Element ist jedoch auch die Arbeitszeitqualität. Denn was mir auffällt ist, dass immer mehr Arbeitnehmer:innen in Bereichen wo es um Dienstpläne geht, wie im Gesundheits- und Sozialbereich oder im Handel, sprichwörtlichen den Hut draufhauen, weil sie keine Planungssicherheit in ihrem Leben mehr haben. Sie müssen immer wieder kurzfristig zu Diensten einspringen.

Daher braucht es neben dem Verteuern eines solchen Einspringens, einen Personalpuffer. Und es muss der Beruf für junge Menschen, also Berufseinsteiger:innen, attraktiviert werden. Denn sonst passiert es, dass noch mehr Leute die betroffenen Branchen verlassen, und die Spirale sich immer weiter nach unten dreht.  Zusätzlich nehme ich bei jungen Arbeitnehmer:innen ganz generell den Wunsch war, dass ihnen Vorgesetzte wirklich mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen. Dass man ernstgenommen wird. Sie sind durchaus selbstbewusst und das ist auch gut so.

Umso wichtiger wäre es also, wenn die seitens der Politik getätigten Reformansagen auch tatsächlich umgesetzt werden. Dass gehandelt wird, aber nicht auf den letzten Drücker. So ist etwa bei der im Frühjahr angekündigten Pflegereform noch immer sehr viel unklar. Das verunsichert die Beschäftigten weiter. Noch mehr Verunsicherte, brauchen wir gerade jetzt am wenigsten. Kurz gesagt: Wir wünschen uns mehr Seriosität, mehr Priorisierung, mehr Geschwindigkeit, damit die Dinge, die angekündigt werden, auch gescheit auf den Boden gebracht werden.

Wenn man sich das Budget für diese Bereiche ansieht. Wie nachhaltig werden die Maßnahmen aus der Finanzierungsperspektive sein? Kommt mehr Seriosität herein?

Es gibt jetzt einmal mehr Geld, aber es ist zu wenig. Besonders dramatisch ist das aus unserer Sicht bei der Elementarpädagogik, wo nur Mogelpackungen auf den Tisch gelegt werden, wie etwa die von Minister Polaschek angekündigte Kindergartenmilliarde. Denn wenn der Minister in diesem Bereich die Ausgaben der nächsten 20 Jahre zusammenrechnet, um auf eine Milliarde zu kommen, dann kann man das nicht mehr ernst nehmen. Gerade in diesem Bereich fehlt viel Geld, um nicht nur den Kindergartenbereich auszubauen, sondern ihn auch dauerhaft zu finanzieren und abzusichern.

Es finden immer wieder Betriebsversammlungen statt. Wie ist bei diesen die generelle Stimmung?

Der Zuspruch der Beschäftigten ist ein großer. Es gibt eine hohe Erwartungshaltung, aber auch die Bereitschaft bei gewerkschaftlichen Aktionen mitzumachen. Und das stärkt uns natürlich bei den Kollektivvertragsverhandlungen den Rücken. Je mehr Mitglieder und Unterstützer wir haben, desto stärker können wir in den Verhandlungen auftreten. Denn bei den Verhandlungen geht es ja nicht um den Austausch von guten Argumenten, sondern um die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften. Dafür ist eine gute gewerkschaftliche Organisierung ganz zentral.

Im Gespräch mit Betriebrät:innen aus dem Gesundheitsbereich wird ihrerseits immer wieder die Frage gestellt, wie viel Wert eigentlich der Gesellschaft und der Politik die Arbeit am Menschen noch ist. Aus ihrer Sicht ist sie der Gesellschaft momentan nicht besonders viel wert. Wie sehen Sie das?

Sie haben recht. Ich glaube nur, dass wir als Gewerkschaftsbewegung und die Kolleg:innen vor Ort, in den letzten Jahren schon viel dazu beigetragen haben, dass der Öffentlichkeit bewusster geworden ist, wie viel Wert die Arbeit im Gesundheits- und Sozialbereich hat. Besonders mit Corona hat sich im Gesundheits- und Sozialbereich sowie im Handel so etwas wie ein neues Selbstbewusstsein etabliert. Und wir haben in der breiten Bevölkerung mehr Zustimmung denn je dafür, dass die Kolleg:innen, die in diesen Branchen arbeiten, höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen verdient haben. Aus meiner Sicht ist das eine gute Basis, um die auch Politik für diesen Weg zu gewinnen.

Die GPA vertritt auch jene Branche, die Nachrichten nicht nur macht, sondern in der letzten Zeit selbst die mediale Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat – die Journalist:innen. Sie haben in einer Aussendung die Einstellung der Wiener Zeitung, stark kritisiert und als schweren Fehler bezeichnet. Weshalb?

Wir haben in Österreich leider schon ein sehr beschränktes Angebot an Qualitätsmedien. Zusätzlich noch mit der offensichtlichen Verhaberung von Medienvertreter:innen und der Politik, ist jedes Qualitätsmedium, das verschwindet ein Schaden für die Pluralität und die Demokratie. Denn Meinungsfreiheit muss ja irgendwo stattfinden. Wir sehen, dass es in der Wiener Zeitung noch eine Redaktion gibt, wo Recherche möglich ist. In anderen Medien ist in den Redaktionen so viel eingespart worden, dass etwa Recherchenrechecks für Journalist:innen zeitlich kaum noch möglich sind. Insofern ist es tragisch, dass die Republik die älteste Tageszeitung der Welt aufgibt, obwohl ja noch immer einiges an Geld fließt. Man hätte mit diesem Geld auch Konzepte entwickeln können, die den Weiterbestand des Printmediums ermöglicht hätten.

Dann sind wir wieder beim Ausgangspunkt, der Demokratie. Wohin entwickelt sich Österreich? Kein guter Zeitpunkt, jetzt eine Zeitung zu schließen.

Dafür ist immer ein schlechter Zeitpunkt. Es gäbe so viel Wichtiges zu berichten. Alleine wenn wir uns die zunehmende Zahl an Fake News ansehen, mit denen die Bevölkerung konfrontiert ist. In einer Zeit, in der vermehrt unrecherchierte Geschichten herumschwirren, Meinungsmache betrieben und bewusst gesteuert wird sowie einzelne Medien von Superreichen besessen werden, die letztendlich auch ihre eigenen Interessen damit verfolgen, ist es natürlich eine doppelte Tragödie, wenn ein Medium wie die Wiener Zeitung eingestellt werden soll.  Vor allem dann, wenn der Eigentümer die Republik ist und die schwarzgrüne Regierung die Pläne von schwarzblau einfach fortschreibt. Ja, das ist bedenklich.

Danke für das Gespräch.

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