Gesundheitsbudget: Heilbar krank

Portrait von Eva Scherz. Sie ist Verhandlungsleiterin der GPA für den Bereich der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ). Gespräch über das Gesundheitsbudget.
„Wir merken, dass sich die familiären Strukturen ändern, sich die Menschen anfangen zu fragen, was passiert, wenn Pflegebetten gesperrt werden, wenn keine Betreuung verfügbar ist. Das sind keine Horrorszenarien, das ist Realität in Österreich“, so Eva Scherz von der GPA. | © Markus Zahradnik
Österreichs Gesundheitspolitik beschreitet den sogenannten „Kostendämpfungspfad“. In Zeiten hoher Inflation spitzt das eine Situation zu, die ohnehin schon längst eskaliert ist. So hat das Gesundheitsbudget keine Zukunft.
Die Rechnung ist ganz leicht: Das Sozialministerium erhält rund eine Milliarde Euro mehr als im Vorjahr. Johannes Rauch, der Sozial- und Gesundheitsminister, ist also Herr über 21,9 Milliarden Euro. Wäre das Budget eine KV-Verhandlung, hätte sich der Grünen-Politiker also mit einer Erhöhung um 4,8 Prozent begnügt – bei einer zweistelligen Inflation sowie in einem Politikfeld, das sich parallel zur Corona-Krise in einen Pflegenotstand manövriert hat. Wie Rauch mit diesem Budget aus der Krise kommen will, ist weitestgehend unklar.

Gesundheitsbudget: Nachhaltige Lösungen nicht finanzierbar

Der Pflege- und Sozialbereich ist noch mitten in der Herbstlohnrunde. Eine erste Einigung wurde in der vierten Verhandlungsrunde zwischen den Gewerkschaften GPA und vida sowie des Arbeitgeberverbands SWÖ für die 130.000 Beschäftigten des privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich in der Nacht von 16.11. auf 17.11. erzielt. Für alle Beschäftigten kommt eine Erhöhung der Gehälter um 8 Prozent, wobei die Gehälter monatlich um mindestens 175 Euro angehoben werden. Für die unterste Einkommensgruppe bedeutet das eine Gehaltserhöhung von 10,2 Prozent. Die weiteren KV-Verhandlungen sind noch am Laufen. Ein erster Warnstreik fand bei den KV-Verhandlungen für die Angestellten der Ordensspitäler in der vergangenen Woche statt.

Diese Einigung in der Sozialwirtschaft liegt über dem, was das Sozialministerium an Erhöhung bekommen hat. Dazu kommt die allgemeine Teuerung. Die zusätzliche Milliarde wird also nicht zu einem realen Zuwachs führen – eher im Gegenteil. Dabei bräuchte es im Sozial- und Gesundheitsbereich dringend eine Investitionsoffensive. Die Studie „MissCare Austria“ von der Karl Landsteiner Privatuniversität hat die aktuellen Auswirkungen fehlender Investitionen zusammengefasst. 84 Prozent der Beschäftigten lassen demnach notwendige Tätigkeiten weg, da ihnen die Zeit dafür fehlt. Die Studie ist übrigens repräsentativ für das heimische Pflegepersonal in Krankenhäusern.

Seniorin schaut in einem Pflegeheim Fernsehen. Symbolbild: Pflegeskandal in Salzburg
Nachhaltige Reformen in der Pflege oder im Gesundheitsbereich sind mit dem aktuellen Budget nicht zu finanzieren. | © Adobe Stock/Reddragonfly

Einerseits geht es dabei um emotionale Unterstützung (wird von 67,5 Prozent regelmäßig weggelassen) und Gespräche mit Patient:innen und Angehörigen (60,6 Prozent), andererseits aber auch um das zeitnahe Reagieren auf die Glocke der zu Pflegenden (39,2 Prozent) oder um die pünktliche Vergabe von Medikamenten (27,6 Prozent). Das alles führt in der Praxis zu neuen Problemen, denn bleiben diese Leistungen aus, kommt es zu Infektionen, Stürzen, Wundliegen und postoperativen Komplikationen, wie die Studie weiter ausführt. Bei der Behebung dieser Missstände ist Österreich noch nicht einmal bei der Bewusstseinsbildung angekommen, wie das aktuelle Budget des Sozialministeriums zeigt. In Dänemark beispielsweise sei der massive Personalmangel in der Pflege- und Gesundheitsbranche ein Thema gewesen, das den Wahlkampf beherrscht habe, erklärt Eva Scherz. Sie war KV-Verhandlungsleiterin der GPA für den Bereich der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ).

Hierzulande befände sich diese Debatte noch in den Kinderschuhen. „Wir merken, dass sich die familiären Strukturen ändern, sich die Menschen anfangen zu fragen, wohin das führt. Was passiert, wenn Pflegebetten gesperrt werden, wenn keine Betreuung verfügbar ist oder wenn eine Operation monatelang verschoben werden muss? Das sind keine Horrorszenarien, das ist Realität in Österreich“, führt Scherz aus. Die Studie „MissCare Austria“ liefert ein zahlenstarkes Fundament für die Aussage.

Kostendämpfungspfad für das Gesundheitsbudget

Geht es nach dem Gesundheitsbudget, ist diese Diskussion allerdings auch schon wieder beendet, bevor sie begonnen hat. Denn seit 2017 gibt es den sogenannten „Kostendämpfungspfad“ – ein zentraler Bestandteil der 15a-Verträge zur „Zielsteuerung Gesundheit“. Dahinter verbirgt sich die Vereinbarung, dass die Kosten im Gesundheitswesen jährlich nur um 3,2 Prozent steigen dürfen. Angesichts einer zweistelligen Inflation und der enormen Herausforderungen in diesem Bereich kommt das einer Kapitulation vor der Zukunft gleich. Scherz fasst diese Finanzplanung so zusammen: „Einerseits gibt es aufgrund der demografischen Entwicklung und der höheren Lebenserwartung immer mehr Menschen, die mehr Pflege brauchen. Andererseits gibt es im Gesundheitswesen technischen Fortschritt und immer bessere Diagnosemittel – all dem wird aber einfach nicht Rechnung getragen. Die finanziellen Ressourcen bleiben gleich.“

Erstaunlich ist, dass Österreich – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – die dritthöchsten Gesundheitsausgaben in der EU hat, wie die OECD vorrechnet. Immerhin 10,4 Prozent fließen in diesen Bereich, das Geld wird nur schlecht verteilt. „Die sozialen Ungleichheiten im Hinblick auf die Lebenserwartung sind erheblich“, diagnostiziert der Bericht. Männer, die heute 35 Jahre alt sind und über einen tertiären Bildungsabschluss verfügen, also ein Universitäts- bzw. Hochschulstudium absolviert haben, werden fünf Jahre länger leben als Männer mit geringer Bildung (ohne Sekundarschulabschluss). Bei den Frauen sind es drei Jahre.

Auch die Corona-Pandemie hat Österreich nur bedingt gut bewältigt. So sank die Lebenserwartung um 0,7 Jahre auf 81,3 Jahre. Das ist das Niveau von 2015. Das bereits erwähnte Dänemark konnte die Lebenserwartung sogar steigern – auf aktuell 81,6 Jahre. Spitzenreiter in der EU ist Norwegen mit 83,3 Jahren. Die OECD führt das – neben dem Corona-Virus – auf den hohen Tabak- und Alkoholkonsum zurück. Letzterer ist der zweithöchste innerhalb der EU. Vor allem unter Jugendlichen ist außerdem die Fettleibigkeit relativ hoch. All das sind Probleme, die sich mit Investitionen in Prävention und Aufklärung mindern ließen, so der Bericht weiter. Das wäre eine langfristige und nachhaltige Hilfe.

Gesundheitsbudget muss in Menschen investieren

Kurzfristig müssen jedoch handfestere Lösungen her. „Wenn man die Kolleg:innen fragt, was sie brauchen, dann ist die Antwort quer über alle Bereiche: mehr Kolleg:innen. Das ist aber etwas, das man als Gewerkschaft nicht in einen Kollektivvertrag schreiben kann“, klagt Scherz. In der Tat erklären sich auch die meisten Schwierigkeiten, die in der Studie „MissCare Austria“ aufgeführt werden, durch Personalmangel.

Das ist eine Abwärtsspirale. „Personalmangel führt zu schlechten Arbeitsbedingungen, und diese führen zu weiteren Kündigungen, auch deswegen, weil die Beschäftigten in der Sozial- und Gesundheitsbranche nur selten streiken. Denn sie können ja nicht einfach aufhören zu arbeiten, weil die Menschen, um die sie sich kümmern, im schlimmsten Fall sterben könnten. Ihre Form des Streiks ist die Kündigung“, wie Scherz erklärt. „Es gibt genug Kolleg:innen – die haben nur die Branche verlassen. Denen muss ein Angebot gemacht werden, um wieder zurückzukommen. Und den Kolleg:innen, die geblieben sind, muss man zeigen, dass man um sie bemüht ist.“

Der Sozial- und Gesundheitsbereich ist enorm personalintensiv. Das ist jedoch kein Problem, sondern die Lösung. Egal, welche Studie man heranzieht: Man sieht, dass jeder investierte Euro in diesem Bereich vielfach zurückkommt – in Form von Steuern, Konsum und Lohnnebenkosten. Von Investitionen in den Gesundheitsbereich profitiert also jede:r – es sei denn, die Politik wandelt auf dem Kostendämpfungspfad.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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