Frauen und Prekäre zuerst!

Illustration (C) Miriam Mone
Nach dem ersten Corona-Lockdown folgte nun der zweite – aber die Bedürfnisse gerade von Menschen in systemrelevanten Berufen werden weiter beharrlich ignoriert. Wieso die Krise Frauen und prekär Beschäftigte besonders hart trifft. Ein Kommentar von Autorin Veronika Bohrn Mena.
Nur rund zwei Monate nachdem ich mit den Interviews zu meinem Buch „Leistungsklasse – Wie Frauen uns unerkannt und unbedankt durch alle Krisen tragen“ begonnen habe, wurde der erste Lockdown ausgerufen. Aus einem Buch, das sich mit der ungleichen Verteilung von Zeit und Geld beschäftigen sollte, ist so auch ein Dokument der Krise geworden, das meine Gesprächspartnerinnen von Februar bis Ende August 2020 begleitet hat. Was sich in diesen Monaten abgespielt hat, wäre nur wenige Wochen zuvor noch unvorstellbar gewesen. Welche Auswirkungen die Betriebsschließungen und strengen Ausgehvorschriften am Arbeitsmarkt nach sich ziehen würden, war es dagegen nicht.

Die Regierung hat im Krisenmanagement völlig versagt, denn sie hat keinen Schutz und keine Kompensationen für diejenigen bereitgestellt, die diese am dringendsten benötigt hätten.

Die Regierung hat im Krisenmanagement völlig versagt, denn sie hat keinen Schutz und keine Kompensationen für diejenigen bereitgestellt, die diese am dringendsten benötigt hätten. Sie hat nicht an das Brot für die Hungrigen gedacht, sondern stattdessen den Satten noch eine fette Nachspeise serviert. Nun hätte man Nachsicht für Fehler zeigen können, die in der so unerwarteten größten Krise der Zweiten Republik im Frühjahr gemacht wurden. Doch just am Tag des Erscheinens von „Leistungsklasse“ hatte der zweite harte Lockdown begonnen. Und anstatt es besser zu machen, kommt die Regierung ihrer Verantwortung wieder nicht nach. Ob aus Absicht oder Unfähigkeit sei dahingestellt, die Zeit der Umverteilung hat jedenfalls begonnen – allerdings nicht von oben nach unten, wie es im Interesse der vielen wäre, sondern ganz im Gegenteil: von unten nach oben.

Getroffen auf mehreren Ebenen

So fiel schon die Bilanz der Auswirkungen des ersten Lockdowns für Frauen bitter aus. Wie sich inzwischen bis in alle Ecken rumgesprochen hat: Sie wurden von der Corona-Krise wesentlich härter getroffen als Männer – und das gleich mehrfach. Sie haben seit Beginn der Krise öfter ihre Arbeit verloren, obwohl sie gleichzeitig überdurchschnittlich häufig in systemrelevanten Branchen beschäftigt waren und dort ihre körperliche und psychische Gesundheit für uns alle riskieren mussten. Auch ihre finanzielle Lage hat sich in ganz Europa noch weitaus negativer entwickelt als jene von Männern. Zudem mussten sie während des Shutdowns den Hauptteil der unbezahlten Familienarbeiten und des Home-Schoolings übernehmen, ihre alten und kranken Angehörigen versorgen und im Alltag auch noch ihre Männer entlasten, damit diese wiederum ungestört im Homeoffice arbeiten konnten.

Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, waren sie auch noch steigender häuslicher Gewalt ausgesetzt. Dazu kam es vor allem deshalb, weil die Mehrheit der erwerbstätigen Frauen schon vor Corona atypisch beschäftigt war und Unternehmen in Krisen vor allem bemüht sind, ihre sogenannte „Kernbelegschaft“ zu schützen. Dementsprechend verteilen sich auch die Last und das Leid im Zusammenhang mit den aktuellen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt bei Weitem nicht auf alle gleichmäßig.

BUCHTIPP

Wie Frauen uns unbedankt und unerkannt durch alle Krisen tragen. Buchtipp

Leistungsklasse – Wie Frauen uns unerkannt und unbedankt durch alle Krisen tragen. Von Veronika Bohrn Mena. Erschienen im ÖGB-Verlag.

Wer zuvor schon prekär beschäftigt, armutsgefährdet oder anderweitig in einer unsicheren Branche tätig war, wurde viel schlimmer erwischt. Die Betroffenen sind junge Erwerbstätige, weil es in Krisenzeiten meist heißt: Wer zuletzt kam, geht zuerst – Menschen mit Migrationshintergrund, die oft schon aufgrund ihres Namens ohnehin ständiger Diskriminierung unterliegen, Arbeiter*innen mit Tätigkeiten, die als leichter ersetzbar gelten, sowie atypisch Beschäftigte mit unsicheren Arbeitsverträgen. In all diesen Gruppen stellen Frauen die Mehrheit. Dazu kommt noch das riesige Feld der unbezahlten Arbeit, das im alltäglichen Diskurs fälschlicherweise nur selten in Beziehung zur Erwerbsarbeit gesetzt wird, wodurch Wechselbeziehungen und Zusammenhänge viel zu oft unbeleuchtet und unbehandelt bleiben.

Die Regierung macht es sich leicht und geht davon aus, dass die Kinderbetreuung, Home-Schooling, die Pflege der Älteren und die Versorgung von Angehörigen trotz halb geöffneter Schulen und Kindergärten nebenbei schon irgendwie mitlaufen kann. Das verdeutlicht auch ihre Geringschätzung gegenüber diesen so extrem wichtigen Berufen, der Arbeit am und mit Menschen, die doch so stark weiblich geprägt ist. Nur dank der selbstlos engagierten Mütter, Frauen und Töchter funktioniert das scheinbar auch – weil die nämlich ihre eigenen Bedürfnisse ignorieren, weit über ihre Grenzen hinausgehen und immer weiter schuften bis zur völligen Erschöpfung.

Sie werden weiter ignoriert

Dass dieses sich ständig drehende Rad an Arbeit und Überforderung sowohl für die Kinder als auch deren Mütter eine Zumutung ist, wird auf politischer Ebene weiter stur ignoriert – all den Erfahrungen und Erhebungen zum Trotz, die schon nach der kurzen Zeit im Frühjahr die extreme Mehrfachbelastung aufzeigten. Inzwischen gibt es nicht einmal mehr ein Klatschen für die Heldinnen der Krise. Auch die vor einem halben Jahr noch als „unverschuldet“ arbeitslos geworden Bezeichneten werden in den ständigen Pressekonferenzen nicht einmal mehr bedauert. Das Arbeitslosengeld wird nicht erhöht, einen Corona-Tausender für Systemrelevante gibt es nicht, und die Normalarbeitszeit wird trotz ihres ohnehin evidenten starken Rückgangs nicht den Gegebenheiten angepasst.

Was die Beschäftigten und Arbeitssuchenden jetzt so dringend brauchen würden, bleibt ihnen verwehrt, Familien und Kinder werden im Regen stehen gelassen.

Was die Beschäftigten und Arbeitssuchenden jetzt so dringend brauchen würden, bleibt ihnen verwehrt, Familien und Kinder werden im Regen stehen gelassen. Stattdessen heißt es zynisch, der Arbeitsmarkt sei immer noch dynamisch und wer keinen Job finde, solle sich umschulen lassen oder in ein anderes Bundesland umziehen. Kaum wurde uns jemals so offen gezeigt, wie wir gesehen werden: als Produktionsfaktor, der zu funktionieren hat, und nicht als Menschen.

Dabei müsste jetzt genau das Gegenteil passieren. Jetzt braucht es dringend eine ordentliche Kompensation und Entlastung für Frauen, sowohl am Arbeitsmarkt als auch bei der Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen. Erwerbsarbeitslosen und prekär Beschäftigten muss endlich eine Perspektive geboten werden. Die ersten Maßnahmen dafür liegen auf der Hand, die gesetzliche Normalarbeitszeit muss endlich der Realität angepasst und wesentlich verkürzt werden, ein Rechtsanspruch auf Sonderbetreuungszeit muss während Corona eine Selbstverständlichkeit sein, und unser soziales Netz muss verstärkt werden. Wir als Menschen, unsere Gesundheit und das Gemeinwohl müssten in Zeiten der Krise im Mittelpunkt stehen. Frauen und Prekäre müssen zuerst kommen.

Trifft die Corona-Krise alle gleich?

Veronika Bohrn Mena im Krisentagebuch.

Über den/die Autor:in

Veronika Bohrn Mena

Veronika Bohrn Mena ist Autorin des Buches „Die neue ArbeiterInnenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen“ und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit prekären Arbeitsverhältnissen, Segmentierungsprozessen und Veränderungen in der Arbeitswelt mitsamt ihren Auswirkungen. Sie ist ausgebildete Fotografin und hat Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien studiert. Seit 2013 arbeitet sie hauptberuflich in der Gewerkschaft GPA-djp in der Interessenvertretung als Expertin für atypische Beschäftigung. Sie war auch die Vorsitzende der Plattform Generation Praktikum und hat sich als Studentin in der ÖH Bundesvertretung engagiert.

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.