Frauen auf den Barrikaden

Mit dem Frauenstreik bewiesen die Schweizerinnen, dass ohne ihre oftmals unsichtbare Arbeit in Pflege, Kinderbetreuung oder Haushalt nicht viel geht.
(C) Monika Flueckiger/freshfocus
Fast 30 Jahre nach dem ersten Frauenstreik gingen Hunderttausende Schweizerinnen für mehr Zeit, Lohn und Respekt auf die Straße.
Frauenstreik am 14. Juni in der Schweiz:

Im ganzen Land legen hunderttausend Frauen ganz oder teilweise die Arbeit nieder, um für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu demonstrieren.

Brennende BHs, laute Trillerpfeifen, Rasseln und Pfannendeckel und Frauen, die – auch mit Kindern und Kinderwägen – die Straßen und Gassen in der Schweiz blockieren. Die einen wollen ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen und sexuelle Belästigung setzen, für die anderen steht die Lohnungleichheit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vordergrund. Es ist der 14. Juni und es ist Frauenstreik in der Schweiz: Im ganzen Land legen hunderttausend Frauen ganz oder teilweise die Arbeit nieder, um für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu demonstrieren.

In vielen Städten und Dörfern wurden Märsche, Kundgebungen und viele andere Aktionen organisiert. Allein in Bern beteiligten sich bis Mittag etwa 10.000 Menschen an dem Frauenstreik. Gegen Mittag legten die DemonstrantInnen den Verkehr rund um den Züricher Bahnhof kurzzeitig lahm. In der Westschweiz wurden Dutzende Schulen und Kindertagesstätten bestreikt, und in Luzern kam es zu einem Sitzstreik. Es war nicht das erste Mal, dass sie das taten: Die Schweizerinnen bewiesen bereits beim ersten Frauenstreik im Jahr 1991, dass ohne die sichtbare und unsichtbare Arbeit von Frauen, wie etwa Pflege, Kinderbetreuung und Haushalt, nicht viel geht. Damals war es erst zehn Jahre her, dass die Gleichstellung von Frau und Mann in der Verfassung niedergeschrieben wurde. Eine halbe Million Frauen ging 1991 auf die Straße.

Von den schweizerischen Gewerkschaften wird besonders kritisiert, dass im Kampf gegen die Lohndiskriminierung seitens der Politik nur wenig wirksame Maßnahmen – ohne Sanktionsmöglichkeiten – gesetzt wurden.

Für viele hat sich seitdem zu wenig getan – auch für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Von den Gewerkschaften besonders kritisiert wird, dass im Kampf gegen die Lohndiskriminierung seitens der Politik nur wenig wirksame Maßnahmen – ohne Sanktionsmöglichkeiten – gesetzt wurden.

Frauen in der Schweiz verdienen im Durchschnitt 18,3 Prozent weniger als Männer!
Frauen in der Schweiz verdienen im Durchschnitt 18,3 Prozent weniger als Männer, wie das Bundesamt für Statistik 2016 errechnete. Selbst bei gleicher Qualifikation besteht nach Angaben des nationalen Statistikamtes noch ein Unterschied von acht Prozent. „Das geht nicht, so kommen wir nicht vom Fleck“, betonte Linda Rosenkranz, Leiterin der Kommunikationsabteilung von Travail.Suisse, beim EGB-Kongress in Wien. Deshalb und aus vielen anderen Gründen rief der SGB erneut zu Protestaktionen auf. Der SGB fordert neben mehr Lohn und Respekt für Frauen auch mehr Betreuungszeit für Eltern.

Schweiz hinkt hinterher

Von einem „Papamonat“ können die Schweizer nur träumen.
Dass es in der Schweiz höchste Zeit für Verbesserungen im Sinne der Frauen und Familien ist, das sagen nicht nur die Gewerkschaften. Gezeigt haben das auch die Streikenden mit ihrem Protest. Besonders bei der Familienpolitik hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich deutlich hinterher und hält sich bei der Unterstützung junger Eltern vornehm zurück. In der Schweiz kennt man keine gesetzlich geregelte und bezahlte Karenz nach der Geburt eines Kindes wie in Österreich, es gibt lediglich 14 Monate Mutterschaftsurlaub – plus ein Tag für frischgebackene Väter. Von einem „Papamonat“ können die Schweizer nur träumen.

„Ein Tag Vaterschaftsurlaub, das reicht nicht einmal für eine Geburt, wenn sie länger dauert. Erst kürzlich hat die Politik in der Schweiz sogar beschlossen, dass zehn Tage für Väter – wie zum Beispiel vom EU-Parlament beschlossen – auch zu viel sind“, kritisiert Rosenkranz und fügt hinzu: „Man muss sich das einmal vor Augen führen: In der Schweiz – mit viel Geld, mehr Geld als in vielen anderen Ländern – gibt es keine Familienpolitik!“

Entwicklungspotenzial

Viel Entwicklungspotenzial besteht außerdem bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die öffentliche Hand beteiligt sich nur minimal an den Kosten für die Kinderbetreuung. Das führt dazu, dass die Betreuungsplätze sehr knapp und teuer sind. Ein UNICEF-Ranking der reichsten Staaten zum Thema Familienfreundlichkeit verweist die Schweiz in Europa sogar auf den letzten Platz.

Hierzulande braucht es viel bessere Vereinbarkeitsstrukturen: mehr Kindergärten, mehr Tagesschulen.

Linda Rosenkranz, Leiterin der Kommunikationsabteilung von Travail.Suisse

„Hierzulande braucht es viel bessere Vereinbarkeitsstrukturen: mehr Kindergärten, mehr Tagesschulen. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land sind wirklich sehr, sehr groß. In den Städten gibt es solche, am Land nicht“, erklärt auch Rosenkranz von Travail.Suisse. Zwar herrscht auch in Österreich noch viel Aufholbedarf bei der Kinderbetreuung, und doch zeigt der Vergleich, dass die Schweizerinnen noch für vieles streiken müssen, was in Österreich bereits von den Gewerkschaften erreicht werden konnte.

Breite Unterstützung

Männer wurden aufgerufen, den Streik zu unterstützen:

Etwa indem sie die Arbeit der Frauen übernehmen oder an diesem Tag die Kinder betreuen, um Frauen das Streiken zu ermöglichen, oder gemeinsam mit den Frauen auf die Straße gehen.

Unterstützt wurde der diesjährige Frauenstreik, bei dem auch mehr Frauen in der Politik und in Führungspositionen gefordert wurden, auch von Bäuerinnen, Universitäten und der katholischen Kirche. Selbst konservative Parteien sprachen sich letztendlich dafür aus, wobei sie diesen lieber einen „Aktionstag“ statt „Frauenstreik“ nannten. Für die Gewerkschaften und alle anderen OrganisatorInnen war der Frauenstreik aber kein reines Frauenthema. „Es ist auch wichtig, dass Männer daran teilnehmen. Und zwar so lange, bis wir faktisch Gleichstellung haben“, sagt Rosenkranz. Im Vorfeld wurden Männer aufgerufen, den Streik zu unterstützen, indem sie etwa die Arbeit der Frauen übernehmen oder an diesem Tag die Kinder betreuen, um Frauen das Streiken zu ermöglichen, oder gemeinsam mit den Frauen auf die Straße gehen.

Wie wichtig diese Unterstützung und der gemeinsame Einsatz für eine echte Gleichstellung ist, beweist auch die Vergangenheit: Als eines der letzten europäischen Länder hat die Schweiz 1971 das Frauenstimm- und -wahlrecht eingeführt. Weitere 20 Jahre dauerte es allerdings, bis dieses in allen Kantonen und Gemeinden umgesetzt wurde. Zum Vergleich: In Österreich trat das Frauenwahlrecht 1918 in Kraft.

Frauen und Medien

Eine erste Veränderung konnte der diesjährige Frauenstreik erzielen, und das schon vor seinem eigentlichen Termin. Gleichstellung ist für viele ein selbstverständliches Tagesthema geworden – sei es auf der Straße oder in den Medien. Ganz im Gegensatz zu dem Frauenstreik aus dem Jahr 1991 – der von den Medien kleingeredet und als harmloses, farbenfrohes Frauenfest abgetan wurde – waren Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Gewalt an Frauen dieses Jahr die Themen, die in den vergangenen Monaten einerseits die schweizerische Medienlandschaft dominiert haben und andererseits am meisten diskutiert wurden.

Man merkt zwar eine gewisse Veränderung zum Positiven, aber immer noch nicht genug.

Nichtsdestotrotz habe sich in der medialen Wahrnehmung von Frauen nicht viel verändert, meint Rosenkranz. „Man merkt zwar eine gewisse Veränderung zum Positiven, aber immer noch nicht genug. Wahnsinnig oft las man, dass der Frauenstreik nicht notwendig ist. Frauen hätten doch alles: Sie können studieren, es studieren sogar mehr Frauen als Männer. Aber wie es danach aussieht, dafür interessieren sich die Journalistinnen und Journalisten offenbar zu wenig.“ Ob sich das nach diesem Frauenstreik, laut Organisatorinnen „die größte politische Demonstration in der jüngeren Geschichte der Schweiz“, ändern wird, bleibt abzuwarten.

Gespannt kann man auch sein, ob und inwiefern sich die schweizerische Politik beim Thema Vaterschaftsurlaub bewegen wird. Immerhin sprechen sich laut Umfragen 81 Prozent der SchweizerInnen dafür aus. Für Rosenkranz wäre das ein realistischer erster Schritt, der dazu führen würde, bezahlte und unbezahlte Arbeit gerechter aufzuteilen. „Damit man beim Wiedereinstieg in den Job aber gleiche Bedingungen vorfindet, ist jedoch klar, dass es bessere Löhne für Frauen und längerfristig Elternzeit braucht“, betont die Gewerkschafterin.

Kein Zurücklehnen

Auch wenn die Schweiz in puncto Gleichstellung vielen anderen europäischen Staaten stark hinterherhinkt, gibt es kaum ein Land, das sich wirklich ausruhen kann, wenn es um Frauenrechte geht – auch Österreich nicht. Hierzulande ist die Lohnungleichheit mit rund 20 Prozent sogar höher als in der Schweiz. Und auch 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts liegen Kinderbetreuung und Haushalt – also unbezahlte Arbeit – nach wie vor in der Verantwortung von Frauen und die Chefetagen fest in Männerhand. Von 186 Vorständen österreichischer börsennotierter Unternehmen sind nur neun weiblich.

Gewerkschaft Unia zum Frauenstreik
frau-streikt.ch
Travail.Suisse
www.travailsuisse.ch

Von
Amela Muratovic
ÖGB-Kommunikation

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/19.

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Über den/die Autor:in

Amela Muratovic

Amela Muratovic, geboren 1983 in Bosnien und Herzegowina, seit 2009 Redakteurin in der ÖGB-Kommunikation. Zuständig unter anderem für die ÖGB-Mitgliederzeitschrift Solidarität und die Bereiche Frauen, Gleichstellung und Anti-Diskriminierung. Regelmäßige Beiträge für die Arbeit&Wirtschaft.

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