Der Mythos vom nicht finanzierbaren Pensionssystem

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Inhalt

  1. Seite 1 - Neoliberale Pensionsmythen
  2. Seite 2 - Gesicherte Pensionen für Junge
  3. Seite 3 - Frauen- und Männerpensionen
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Der wirtschaftsliberale Think-Tank Agenda Austria rückt aktuell beinahe im Tagesrhythmus aus, um vor dem vermeintlich nicht mehr finanzierbaren österreichischen Pensionssystem zu warnen. Von der EU-Kommission veröffentlichte Zahlen zeigen ein deutlich differenziertes Bild.
Seit 1906, also seit 115 Jahren, gibt es in Österreich ein staatliches Pensionssystem. Damit handelt es sich um eines der ältesten der Welt. Zwei Weltkriege und mehrere Wirtschaftskrisen hat es bereits überstanden. Man könnte auch sagen: „Totgesagte leben länger“, denn das öffentliche Rentensystem wird seit langer Zeit in regelmäßigen Abständen als zukünftig unfinanzierbar hingestellt. Ein drohendes Szenario der Altersarmut ist ein Argument, das hier immer wieder auftaucht. In den vergangenen Wochen und Monaten war es der neoliberale Think-Tank Agenda Austria, der das Pensionssystem in Österreich wieder mal zum Lieblingsthema machte und nicht müde wurde darauf hinzuweisen, dass es neben einer gesetzlichen Pension auch eine private Pensionsvorsorge brauche und dazu natürlich eine Anhebung des Pensionsantrittsalters. Andernfalls, so das geschilderte Horrorszenario, würden die Alten auf Kosten der Jungen leben und die Jungen würden am Ende die sein, die kaum mehr Chancen auf eine ausreichende gesetzliche Pension hätten. Eine Altersarmut sei laut Agenda Austria vorprogrammiert, wenn man nicht aktiv selbst Geld in die Hand nähme und sich eine private Vorsorge leistet. Gleichzeitig wurde an die Politik appelliert, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, Menschen später in die Pension eintreten zu lassen.

Die Agenda Austria rechnet vor, dass die Menschen in Österreich jedes Jahr zwei Monate mehr an Lebenserwartung haben und daher am Ende auch länger gearbeitet werden müsse. So müsse es alle sechs Jahre eine Anhebung des Pensionsantrittsalters um ein weiteres Jahr brauchen. Wenn jemand also heute noch 30 Jahre an Arbeitszeit bis zur Pension vor sich hat, wären nach dieser Berechnung 35 Jahre fällig. Wie man allerdings eine altersgerechte Arbeitswelt schaffen kann, wird nicht erwähnt. Auch womit sich eine Person mit geringem Verdienst eine private Zusatzpension leisten soll, wird von Agenda Austria leider nicht aufgeklärt.

Die Agenda Austria argumentiert mit absoluten Zahlen, was unsachlich ist. Beispielsweise werden die Aufwendungen für Beamtenpensionen einfach zum Bundeszuschuss für die gesetzlichen Pensionen dazugerechnet und als ‚Pensionsloch‘ bezeichnet.

Wolfgang Panhölzl, Pensionsexperte der Arbeiterkammer

„Die Agenda Austria argumentiert mit absoluten Zahlen, was unsachlich ist. Beispielsweise werden die Aufwendungen für Beamtenpensionen einfach zum Bundeszuschuss für die gesetzlichen Pensionen dazugerechnet und als ‚Pensionsloch‘ bezeichnet“, sagt Pensionsrechtsexperte Wolfgang Panhölzl von der Arbeiterkammer Wien. In Österreich erhalten vor allem die Selbstständigen mit 50 Prozent und die Bauern mit 80 Prozent der Pensionsaufwendungen die höchsten Bundeszuschüsse. Bei den Arbeitnehmer:innen ist der Fall anders gelagert. „Bezogen auf alle Aufwendungen finanzieren sich 87 Prozent der Unselbständigen durch geleistete Beiträge ihre Pensionen selbst und der Bundesmittelanteil fällt mit 13 Prozent sehr gering aus“, meint Panhölzl. Besonders das Verhältnis zwischen Bundesmittel und Bruttoinlandprodukt (BIP) müsse betrachtet werden. Dieser Aufwand ist seit den 1970ern beinahe gleichgeblieben und pendelt in der gesetzlichen Pensionsvorsorge und bei den Beamten bei rund drei Prozent des BIPs.

Der Aufwand für Beamtenpensionen wird dagegen immer geringer. Dieser Anteil nimmt laut Berechnungen von aktuell drei Prozent auf 0,8 Prozent ab, da es immer weniger Dienstverhältnisse gibt, die eine Verbeamtung vorsehen und die Beamten auch in die Harmonisierung einbezogen wurden.


Gesicherte Pensionen für Junge

In Österreich werden monatlich 1,78 Prozent vom Bruttolohn in das staatliche Pensionskonto einbezahlt. Dieses Konto kann man jederzeit online abrufen, um zu sehen wie viel man aktuell an Pensionsgutschrift hat. „Wenn ich beispielsweise im Monat 1000 Euro verdienen würde, bedeutet das, dass monatlich 18 Euro auf meinem Pensionskonto gutgeschrieben werden“, so Panhölzl. „Wenn jemand das 45 Jahre lang macht und dann mit einem Alter von 65 Jahren in Pension geht, dann bekommt die Person 800 Euro Pension pro Monat.“ Im Schnitt ergeben sich so 80 Prozent des zuvor bezogenen Lohns oder Gehalts.

Sollte man früher die Pension antreten, gibt es Abzüge, und wenn man in einem Arbeitsumfeld ist, in dem man gerne länger bleiben möchte, so kann man das bis zum Alter von 68 Jahren machen und bekommt dafür auch einen Pensions-Bonus. „Die kurzfristige Finanzierung des Pensionssystems ist durch Reformen in den vergangenen zehn Jahren sehr gut“, meint Panhölzl. Und auch langfristig sieht der Experte keine Unfinanzierbarkeit, wie es die wirtschaftsliberale Seite tut. „Es stimmt, dass die Gesellschaft älter wird, allerdings hat man hier Vorarbeit geleistet, um die Pensionen zu sichern.“

Es stimmt, dass die Gesellschaft älter wird, allerdings hat man hier Vorarbeit geleistet, um die Pensionen zu sichern.

So erhält man seit dem Jahr 2004 im Pensionskonto 80 Prozent des Lebensdurchschnittseinkommens (aufgewertet mit der Lohnentwicklung), wenn man mit 65 Jahren in Pension geht. Bis zum Jahr 2000 war die Leistungszusage ab dem 60. Lebensjahr  80 Prozent der besten 15 Jahre, innerhalb der Inflation aufgewertet. Das bedeutet, man bekommt durch das Pensionskonto die lebensstandardsichernde Pension einfach zu einem späteren Zeitpunkt. Somit wurde die Nachhaltigkeit der Finanzierung gesichert. Auch die Beamten sind in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern in das Pensionssystem eingegliedert und leisten mit ihren Abgaben einen erheblichen Finanzierungsbeitrag.

Staatliche Pensionen vs. private Pensionsvorsorge

Staatliche und private Pensionen sind dahingehend unterschiedlich, dass bei staatlichen Pensionen ein Umlageverfahren zur Anwendung kommt, während bei der privaten Pensionsvorsorge das Kapital die zentrale Rolle spielt. Die Kapitalmärkte bestimmen, wie viel an Pension eine Person bekommt. „Das Risiko und die geringere Risikoneigung eines gesetzlichen Pensionssystems sind ein Vorteil, ebenso wie die klare Leistungszusage mit 80 Prozent,“, sagt Panhölzl. Die Politik hat in Krisensituation Spielraum und kann stabilisierende Maßnahmen treffen, das ist bei privaten Anbietern nur schwer möglich. „Auch was die Phasen der Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Kindererziehung betrifft, ist man trotzdem bei einem öffentlichen Pensionssystem immer versichert“, so Panhölzl.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat sich im Jahr 2018 die Verwaltungskostenentwicklung nach Privatisierungen von Pensionssystemen in Osteuropa und Lateinamerika angesehen und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Prozentsätze eindeutig gestiegen sind. In unserem Nachbarland Ungarn machten vor der Privatisierung die Verwaltungskosten zwei Prozent aus. Somit gingen 98 Prozent direkt an die Pensionist:innen. Nach der Umstellung auf eine Teilprivatisierung stiegen diese Kosten auf 14,5 Prozent und somit gingen nur mehr 85,5 Prozent der Einnahmen an Pensionsbezieher:innen.


Unbezahlte Arbeit wird zu wenig honoriert

Ein Problem, das nicht nur, aber auch durch die Corona-Pandemie wieder gut sichtbar wurde, ist der Unterschied zwischen Frauen- und Männerpensionen. „2018 betrug die neu zuerkannte Alterspension von Frauen im Durchschnitt 1.284 Euro und von Männern 2.227 Euro. Frauen erhielten damit eine um 42,3 Prozent niedrigere Pension als Männer“, schreibt die Politikwissenschafterin Ingrid Mairhuber von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) über die erheblichen Unterschiede auf dem A&W Blog. Hier gibt es mehrere Punkte. Denn Frauen leisten deutlich mehr unbezahlte Kindererziehung und Pflegearbeit als Männer und das sorgt für Erwerbslücken. Diese können erheblich sein, wenn man mehrere Kinder über die Lebenszeit zu betreuen hat oder einen pflegebedürftigen Angehörigen über Jahre versorgen muss. „Kindererziehungszeiten werden für das Pensionskonto zu wenig berücksichtigt“, bekräftigt auch Panhölzl.

2018 betrug die neu zuerkannte Alterspension von Frauen im Durchschnitt 1.284 Euro und von Männern 2.227 Euro. Frauen erhielten damit eine um 42,3 Prozent niedrigere Pension als Männer.

Ingrid Mairhuber, FORBA

Was hingegen wenig bekannt ist, ist die Möglichkeit einer Anrechnung von Pflege von Angehörigen und der Pflege von behinderten Kindern (ab Pflegestufe 3) für die Pension. Hier muss man allerdings selbst aktiv werden und einen Antrag stellen. Der Bund übernimmt dann aber 100 Prozent der Beiträge für das Pensionskonto. Allerdings sind die Antragszahlen sehr gering. „Es gibt nur 3.000 Anträge. Aber die Zahl an Menschen, die darauf Anspruch hätte, ist eine viel größere“, so Panhölzl. Hier müssten die zuständigen Stellen aktiver auf die Menschen zugehen und mehr Aufklärungsarbeit leisten. Ein weiterer Aspekt sind die Arbeitsbedingungen in den Betrieben, die darüber entscheiden, wie lange eine Person einen Beruf ausüben kann.

Nur die Hälfte aller Frauen schafft den direkten Übergang in die Pension. Daher ist es kaum sinnvoll das Pensionsantrittsalter zu erhöhen, ohne ausreichend Bewusstsein dafür zu schaffen. „Das steigende Pensionsalter wird hier wohl nicht zu einer Verlängerung der Beschäftigungsdauer, sondern zu einer Vergrößerung der Erwerbslücken für die betroffenen Frauen führen“, sagt Christine Mayrhuber vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Besonders bei kleineren Unternehmen, mit zehn oder weniger Beschäftigten, tritt nur ein Drittel aller Dienstnehmerinnen direkt in die Pension über.

Ageing Report 2021

Im Mai diesen Jahres veröffentlichte die EU-Kommission den Ageing Report 2021. In diesem werden die ökonomischen und budgetären Vorhersagen für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bis zum Jahre 2070 dargestellt. Ein Teil dieses Reports widmet sich den Pensionssystemen und ihrer Finanzierbarkeit. Für Österreich wurde festgestellt, dass die Pensionsausgaben trotz einer deutlich älter werdenden Bevölkerung nur leicht ansteigen werden. Und das sogar bei einer konservativen Berechnung. Im Ageing Report 2018 wurden die vorhergesagten Zahlen deutlich unterboten. Man ging damals davon aus, dass die Pensionen im Jahr 2019 in Summe 13,9 Prozent des BIPs ausmachen würden, letztlich wurde ein Wert von 13,3 Prozent erreicht. Ausschlaggebend für diese besseren Zahlen waren das effektive Pensionsantrittsalter und die Beschäftigungsquoten in den höheren Altersgruppen. Eine noch altersgerechtere Arbeitswelt schaffen und dadurch diesen Weg konsequent weiterbeschreiten sollte das nächste Ziel sein.

Eine weitere Möglichkeit das Pensionssystem zukunftsfit zu halten, besteht zum Beispiel darin, höhere Einkommen mehr beitragen zu lassen als es bisher der Fall ist. So könnten die, die mehr einzahlen, geringere Pensionen in Form einer Umverteilung unterstützen. Das würde zwar in neoliberalen Kreisen erneut einen Aufschrei verursachen, wäre aber ähnlich wie eine Erbschaftssteuer problemlos umzusetzen – zumindest theoretisch.

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Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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