Österreich im Abwärtsstrudel: Sechs Fragen zum Wohlstand

Eine Frau steht mit Maske am OP-Tisch. Symbolbild für den AK-Wohlstandsbericht.
Österreichs Wohlstand steht unter Druck. Das betrifft auch die medizinische Versorgung. | © Unsplash/Artur Tumasjan
Wohlstand auf dem Rückzug: Ein aktueller Bericht der Arbeiterkammer gibt wenig Anlass zur Freude. Sybille Pirklbauer, Expertin für Sozialpolitik bei der Arbeiterkammer Wien, erklärt die Hintergründe.

Die Lebensrealität vieler Österreicher:innen steht unter Druck. Der neue Wohlstandsbericht zeigt, wie es den Menschen in den Bereichen gerechte Verteilung, gute Arbeit, hohe Lebensqualität, Umwelt und Stabilität wirklich geht – und dokumentiert eine negative Entwicklung in fast allen Bereichen. Woran das liegt, beantwortet Sybille Pirklbauer, Expertin für Sozialpolitik bei der Arbeiterkammer Wien.

A&W: Vier von fünf Bereichen zeigen eine Verschlechterung. Was steckt hinter diesem Rückgang?

Sybille Pirklbauer: Der Wohlstandsbericht zeigt, dass Wohlergehen der Bevölkerung von viel mehr Faktoren abhängt als nur dem Bruttoinlandsprodukt, mit dem gemeinhin Wohlstand gemessen wird. Dazu gehören etwa eine gerechte Verteilung, eine intakte Umwelt, Gesundheit und gute Arbeit und vieles mehr. Deswegen unterscheidet der Bericht fünf übergeordnete Ziele mit jeweils fünf Teilaspekten: Gerecht verteilter Wohlstand, Vollbeschäftigung und gute Arbeit, hohe Lebensqualität, intakte Umwelt sowie gesamtstaatliche Stabilität. In allen Bereichen abgesehen von der Umwelt zeigt sich in Österreich eine negative Entwicklung. Und hier ist der Rückgang des CO₂-Ausstoßes nicht politischen Maßnahmen, sondern der schlechten Wirtschaftsentwicklung geschuldet.

Portrait Sybille Pirklbauer beim Interview zum Thema Lohnnebenkosten.
„Ohne einen starken Sozialstaat mit guter sozialer Absicherung gibt es keinen breiten Wohlstand“, sagt Sybille Pirklbauer. | © Markus Zahradnik

Wie stark beeinflussen internationale Konflikte und handelspolitische Spannungen den Wohlstand in Österreich – und welche Handlungsspielräume bleiben da?

Natürlich hinterlassen die Teuerungskrise, der längste Wirtschaftsabschwung seit der Nachkriegszeit, die Klimakrise sowie internationale Spannungen wie der Ukraine-Krieg oder die US-Zollpolitik ihre Spuren beim Wohlstand in Österreich. Das führt zu verstärkter Unsicherheit. Umso wichtiger ist es, dass die Politik gegensteuert. Dazu gehören klare strategische Vorgaben, nach denen sich die Menschen und Unternehmen ausrichten können. Es fehlen uns klare Klimaziele ebenso wie eine stringente Strategie für die Industrie oder zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.

Es geht darum, den Menschen durch eine gute soziale Absicherung Sicherheit zu geben und durch aktive Arbeitsmarktpolitik Perspektiven zu eröffnen. Jeder und jede Veränderungswillige muss die Chance auf Umqualifizierung in einen zukunftsträchtigen Bereich bekommen.

Der budgetbedingte Sparkurs setzt dem öffentlichen Wohlstand zu. Wie müsste die Regierung gegensteuern, um das zu ändern?

Die Bundesregierung hat ein schweres Erbe angetreten und sieht sich einer äußerst angespannten Budgetsituation gegenüber. Darunter leidet der Ausbau des öffentlichen Vermögens – das sind Einrichtungen, die wir alle für ein gutes Leben brauchen und nutzen, vom Krankenhaus bis zum Freibad.

Ohne diese öffentliche Infrastruktur und einen starken Sozialstaat mit guter sozialer Absicherung gibt es keinen breiten Wohlstand. Gerade in Zeiten der Budgetkonsolidierung ist eine gerechte Finanzierung entscheidend. Progressive Steuern auf Millionenerbschaften und -vermögen und ein höherer Beitrag der Konzerne sind bekannte Forderungen.

Dieses Geld muss für dringend notwendige Investitionen
genutzt werden: für Kinderbetreuung und Pflege,
für eine bessere Gesundheitsvorsorge und für den öffentlichen Verkehr. 

Sybille Pirklbauer, Arbeiterkammer Wien

Aber es gibt noch andere, wichtige Bereiche.

Und zwar?

Lohn- und Sozialdumping kosten die öffentliche Hand Milliarden Euro jährlich – allein durch unbezahlte Überstunden entgehen dem Staat 1,3 Milliarden Euro an Einnahmen. Zudem leiden die gesetzestreuen Unternehmen unter dem unfairen Wettbewerb. Auch durch höhere Lkw-Steuern, etwa auf Transitrouten, könnten Hunderte Millionen eingenommen werden.

Dieses Geld muss für dringend notwendige Investitionen genutzt werden: für die Qualifikation der Menschen, die entscheidend für die Produktivität der Wirtschaft ist, für Kinderbetreuung und Pflege, wo ein enormer Bedarf besteht, für eine bessere Gesundheitsvorsorge und für den öffentlichen Verkehr.

Es braucht konkrete Schritte zur Umsetzung des AK-Plans für einen sozialen und ökologischen Umbau. An einer nachhaltigen Wirtschaft führt kein Weg vorbei, wenn wir unsere Lebensgrundlagen nicht verlieren wollen.

Die Teuerung bleibt hoch. Was müsste die Bundesregierung tun, um die Preisentwicklung endlich in den Griff zu bekommen?

Die Teuerung wurde ursprünglich vor allem durch den Preisschock bei Energie infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine ausgelöst. Österreich hat darauf deutlich schlechter reagiert als andere Länder und hohe Energiekosten schlagen sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit nieder. Mittlerweile greifen die Preissteigerungen weit über den Energiesektor hinaus, sorgen für soziale und wirtschaftliche Verwerfungen und schränken die Planbarkeit empfindlich ein. Die hohen Wohnkosten belasten beispielsweise vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen ungemein. Dabei ist der Anstieg der Mieten zu einem guten Teil hausgemacht. Der neue Mietdeckel ist zwar wichtig, aber gerade bei freien Mieten zu lasch. Stattdessen sind klare Mietobergrenzen und ein Ende von befristeten Verträgen notwendig, um das Grundbedürfnis Wohnen leistbar zu machen. Mehr Investitionen in den sozialen Wohnbau sind notwendig.

Lebensmittel sind in Österreich häufig teurer als im europäischen Durchschnitt – dieser „Österreichaufschlag“ muss endlich angegangen werden. Zusätzlich soll eine Anti-Teuerungskommission Preisanstiege untersuchen und bei ungerechtfertigten Erhöhungen notfalls eingreifen können.

Lage am #Arbeitsmarkt angespannt, #Inflation steigt, Zeiten unsicher: Als Folge sinkt der #Wohlstand in Österreich, so das Fazit des 8. #AK Wohlstandsberichts. Vier von 5 Ziele werden negativ eingestuft, lediglich der Bereich “Intakte #Umwelt” wird neutral bewertet. #Wohlstandsbericht #AKInfo

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— @Arbeiterkammer (@arbeiterkammer.at) 23. Oktober 2025 um 11:37

⁠Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, was es anzugehen gilt?

In einem reichen Land wie Österreich darf kein Kind in Armut aufwachsen. Die Kindergrundsicherung, die im Regierungsprogramm verankert ist, muss rasch umgesetzt werden.

Eine Anpassung der gesetzlichen Arbeitszeit hin zu einer neuen, gesunden Vollzeit, die modernen Anforderungen entspricht, wäre wichtig. So könnte Arbeitszeit gerechter verteilt und Menschen ein gesundes Arbeiten bis zur Pension zu ermöglicht werden.

Eine Qualifizierungsoffensive für arbeitslose Menschen würde nicht nur vielen eine neue Perspektive eröffnen, sondern ist auch unverzichtbar, um Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

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