Umweltschutz ist der blinde Flecken der Digitalisierung

Aus einer Platine wächst ein Baum heraus. Symbolbild für Umweltschutz und Digitalisierung.
Zerstört die Digitalisierung unsere Umwelt? | © AdobeStock/Global Perspectives
Große Internetkonzerne treiben die Mainstream-Digitalisierung und damit auch die Erderhitzung massiv voran. Denn Umweltschutz und Digitalisierung schließen sich oft aus. Gesamtgesellschaftliche Mitbestimmung ist hier die beste Strategie, um den Digitalkapitalismus noch einzubremsen.
Video-on-Demand, Streaming-Anbieter oder Mediatheken: Das Klicken durch Serien und Filmangebote gewinnt an Popularität. Im Jahr 2021 streamten wöchentlich bereits über 79 Prozent der österreichischen Internetnutzer:innen, Tendenz steigend. Dieser Komfort hat seinen Preis. Streamen verursacht einen hohen Stromverbrauch in den Serverzentralen. Um auf Hochtouren zu laufen, kühlen die Provider sie regelmäßig mit Wasser. Der Strom dafür kommt selten von erneuerbaren Energieträgern. „Dass auch das Internet das Klima maßgeblich belastet, ist vielen gar nicht bewusst“, sagt Astrid Schöggl. Sie ist von der Abteilung für Umwelt und Verkehr in der Arbeiterkammer Wien. „Datenübertragung und rechenintensive Prozesse wie KI, Streaming, Cloud-Computing und Co. verbrauchen die meiste Energie und tragen zur Erderhitzung bei.“ Umweltschutz und Digitalisierung schließen sich oft aus.

Digitalkapitalismus in „Reinkultur“

Ein weiteres Problem unseres digitalen Konsumhungers ist die Abhängigkeit von großen US-amerikanischen Technologiekonzernen wie Amazon, Meta oder Alphabet. Diese steigt, warnt Felix Sühlmann-Faul. Der Techniksoziologe forscht in Deutschland unter anderem zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit und widmet sich diesem Thema in seinem Buch „Der blinde Fleck der Digitalisierung“. Besonders kritisch sei das Modell der Plattform-Abos. „Das ist purer Digitalkapitalismus“, so Sühlmann-Faul gegenüber Arbeit&Wirtschaft, „wenn digitale Plattformen den Markt kontrollieren.“ Der Einfluss dieser Konzerne sei mittlerweile so groß, dass sie nicht mehr reguliert werden können. Besonders deutlich zeigt sich das bei Gesetzesvorlagen auf EU-Ebene. Durch Lobbyarbeit der Konzerne werden sie dermaßen verwässert, dass ihr eigentliches Ziel, nämlich der Schutz der Öffentlichkeit, ins Leere geht. In der Folge können Tech-Konzerne ihre Geschäftsmodelle unbehelligt fortführen, und die Abhängigkeit der Konsument:innen steigt weiter. Ein Teufelskreis.

© Markus Zahradnik

Geplante Obsoleszenz durch Software

Viele Dinge des Alltags lassen sich ohne Apps nicht mehr bewerkstelligen. Man denke nur an E-Banking oder verschiedene Buchungsportale für Veranstaltungen oder Urlaube. Damit diese Apps laufen, bedürfen sie regelmäßiger Updates. Noch dazu werden nun beispielsweise auch Autos oder Haushaltsgeräte verkauft, die ohne regelmäßige Aktualisierungen nicht mehr funktionieren, weiß Astrid Schöggl. Sie spricht in diesem Zusammenhang von geplanter Obsoleszenz durch Software. Um diese Geräte nutzen zu können, sind immer wieder verpflichtende Updates notwendig. Werden diese nicht ausgeführt, funktionieren die Geräte nur langsam oder gar nicht. „Ich muss also quasi ein Abo abschließen, um meinen Geschirrspüler weiterhin nutzen zu können.“ Dadurch würde die Abhängigkeit vom Hersteller steigen, und an sich intakte Maschinen müssten entsorgt werden. Das ist nicht im Sinne der Konsument:innen oder des Planeten.

Wir können es uns angesichts der drohenden
Klimakatastrophe schlicht nicht leisten,
die ökologischen Folgen der
Digitalisierung zu ignorieren. 

Felix Sühlmann-Faul, Techniksoziologe

Umweltschutz und Digitalisierung: Umweltkiller seltene Erden

Nicht nur der Energieverbrauch für die Nutzung digitaler Endgeräte und Infrastruktur, auch der Abbau der Rohstoffe für ihre Produktion führt zu einer großen Menge an Treibhausgasen und Schäden in der Natur. Ohne Mineralien oder seltene Erden funktionieren digitale Endgeräte nicht. Dafür wird etwa in der Mongolei oder in der Demokratischen Republik Kongo der Lebensraum der Affenart Bonobos immer kleiner, weil Wälder für die Rohstoffe abgeholzt werden. Erosion und vergiftetes Grundwasser sind zusätzliche Folgen. Felix Sühlmann-Faul empfiehlt daher, Computer, Smartphones oder Tablets möglichst lange zu nutzen, denn ihre Herstellung verbraucht die meiste Energie. „Wir können es uns angesichts der drohenden Klimakatastrophe schlicht nicht leisten, die negativen Folgen der Digitalisierung für uns und die künftigen Generationen zu ignorieren“, so Sühlmann-Faul.

Digitale Klimapolitik darf nicht von „oben“ gemacht werden, fordert Astrid Schöggl. Wir sollten demokratisch entscheiden, welche Technologien wir benötigen und welche nicht. | © Markus Zahradnik

Bei der digitalen Transformation müssten aber auch die Beschäftigten etwas mitzureden haben, findet Astrid Schöggl. Sie seien die Expert:innen für ihre eigene Arbeit, dennoch können sie weder die Digitalisierung noch die Dekarbonisierung mitgestalten. „Vor dem Hintergrund der Klimakrise sollten wir abseits von Profitlogiken demokratisch entscheiden, welche Technologien wir benötigen und welche nicht.“ Digitale Klimapolitik dürfe nicht von „oben“ gemacht werden. Bei den neuesten Technologien muss man zudem die globalen Arbeitsbedingungen im Blick haben. Der Abbau der seltenen Rohstoffe beutet nämlich auch Arbeiter:innen aus.

Gleichzeitig gibt es Algorithmen, die Streiks gegen solche Bedingungen entlang von Lieferketten vorhersagen können, um diese auszuhebeln. Astrid Schöggl fordert daher: „Die Gewerkschaften müssten sich entlang der Lieferketten international vernetzen und solidarisieren.“ Für Felix Sühlmann-Faul kann Digitalisierung nur dann nachhaltig sein, wenn sie sich nicht auf die ökologische und soziale Ebene auswirke. Dieses Ideal sei aber nicht erreichbar. Wie viel Spielraum die Gesellschaft bei der Gestaltung und Steuerung der Digitalisierung besitzt, dafür zeichnen Politik und Wirtschaft verantwortlich. Und die nehmen oft wenig Rücksicht auf Erkenntnisse und Warnungen seitens der Wissenschaft.

Neue Logik gebraucht: Umweltschutz und Digitalisierung

„Wir brauchen digitale Innovationen, die den Menschen statt den Profiten dienen“, ist Astrid Schöggl überzeugt. Ob Technologien nützlich oder gefährlich sind, hänge davon ab, wer sie wofür entwickle. Bestimmte Tools können unter dem Deckmantel der Effizienzsteigerung dazu genutzt werden, Beschäftigte gezielt zu überwachen und zu kontrollieren. Das sei auch mit gängiger Software wie Office 365 möglich. Um digital fit zu bleiben, ist Astrid Schöggl im privaten Bereich auf Open-Source-Lösungen und Anwendungen wie etwa auf das Betriebssystem Linux für ihren Rechner umgestiegen. Für sie sind Community-Netzwerke ein Vorbild, da sie an Verbesserungen und Weiterentwicklungen solidarisch arbeiten und diese allen Nutzer:innen zugutekommen. Das setzt aber voraus, dass sich Menschen digitale Kompetenzen aneignen, um die dahinter liegende Technik zu verstehen und zu verändern. Das setzt auch neue Bildungsangebote voraus.

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