„Wir müssen uns vom Bild eines rational handelnden Menschen aus der neoklassischen Ökonomie verabschieden“, stellt Thomas Brudermann gleich zu Beginn des Gesprächs klar. Er ist Umweltpsychologe und Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Graz. In seinem neuen Buch über Klimaschutz-Ausreden kommt man um die sogenannten „Cognitive Biases“ nicht herum. Mehr als 200 dieser Wahrnehmungsverzerrungen hat die Verhaltensökonomie bereits dokumentiert. Anders ausgedrückt: Es gibt über 200 Argumente gegen die Annahme eines homo oeconomicus. Also eines ausschließlich rational und wirtschaftlich denkenden Menschen, auf dem die Marktlogik unseres derzeitigen Wirtschaftssystems basiert.
Ausreden für Klimasünden: Widersprüche sind menschlich
Brudermann konzentriert sich in seiner Forschung vor allem auf das Individuum. Doch auch Unternehmen spielen eine wichtige Rolle. Diese unterliegen zwar den Spielregeln des Marktes, internen Strukturen und politischen Rahmenbedingungen, am Ende werden die Entscheidungen aber zumeist von Menschen getroffen. Menschen, die ein erstaunliches Talent dafür haben, „Widersprüche in ihrem Denken und Handeln zu ignorieren, aufzulösen oder achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen“, wie es im Buch heißt.
Insgesamt 25 Ausreden werden darin abgehandelt. Auf jede davon gibt es eine passende Antwort. Joel Tölgyes ist Klimaökonom beim Momentum Institut und analysiert für Arbeit&Wirtschaft vier davon. Sowohl Brudermann als auch Tölgyes betonen, dass die Klimakrise vor allem eine soziale Krise sei. Denn hundert Konzerne seien für 71 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Es gilt, den Sozialstaat gerechter zu machen. Die reichsten zehn Prozent in Österreich verursachen viermal so viel CO₂ wie die ärmsten zehn Prozent. Und von diesen ärmsten zehn Prozent besitzt beispielsweise jeder zweite Haushalt gar kein Auto. Ganz oben sind es dagegen oft sogar mehr als drei.
Ausrede für Klimasünden #1: „Ich bezahle den Klimaschaden“
Mit Oktober 2022 wird in Österreich eine Tonne klimaschädliches CO₂ den Verursacher 30 Euro kosten. Ab dem Jahr 2025 sollen es 55 Euro sein. Zu spät und zu niedrig, sagt das Climate Change Center Austria (CCCA) stellvertretend für die Klimaforschung. Ein Preis, der das Gewissen beruhige, warnt Brudermann. Denn mit gutem Gewissen falle so manche Klimasünde leichter. Dieser „moderne Ablasshandel“, wie ihn Brudermann in seinem Buch nennt, könne sogar zu noch klimaschädlicherem Verhalten führen.
„Wer ein hohes Einkommen hat, wird sich fast jeden CO₂-Preis einfach leisten können“, sagt Tölgyes. Auch er sieht ein Problem in der Möglichkeit, sich so einfach freikaufen zu können. Deshalb müsse der CO₂-Preis viel höher sein. Geringverdienende könne man im Gegenzug mit einem nach Einkommen gestaffelten Klimabonus entschädigen.
All das basiere aber darauf, wie viel ein Wald oder ein Menschenleben überhaupt wert sei, kritisiert Brudermann. „Wenn die Wertschöpfung am Ende passt, werden Schäden von Wirtschaftswachstum einfach in Kauf genommen. Das halte ich für problematisch, denn manche Dinge kann man nicht bepreisen, und manche Schäden kann man nicht mit Geld aufwiegen.“ Zudem wisse man aus der Verhaltensökonomie, dass unsere moralischen und sozialen Werte stark an Bedeutung verlieren, sobald Geld im Spiel ist. Besser sei es, den Schaden gar nicht erst anzurichten.
Ausrede für Klimasünden #2: „Neue Technologien werden das Klima retten“
„Der einzig richtige Zugang ist, auf Innovation und Technologie zu setzen“, sagte Sebastian Kurz vor einem Jahr in den Vorarlberger Nachtrichten. Kurz ist zwar nicht mehr Kanzler, die Technologiegläubigkeit regiert aber noch immer in vielen Köpfen. Nur so könne man die Klimakrise lösen, heißt es aus wirtschaftsliberalen Kreisen. Das sei ein „Widerspruch zur Wissenschaft“, mahnte das CCCA in einer Aussendung. Es brauche auch soziale Innovation und vor allem geeignete politische und rechtliche Rahmenbedingungen.
Brudermann sieht hinter der Hoffnung auf technologische Lösungen ein Gefühl von Unsicherheit. „Veränderungen machen Menschen oft Angst“, so der Klimapsychologe. Deshalb habe es beispielsweise ewig gedauert, bis sich Nichtraucherlokale durchsetzen konnten. Auch gegen die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße in Wien gab es anfangs großen Widerstand.
Für Tölgyes ist die Hoffnung auf Innovation ein „gewagtes Pokerspiel“. Es gebe sehr viel Forschung dazu, dass Wirtschaftswachstum und Emissionen global gesehen nicht in der notwendigen Größenordnung voneinander entkoppelt werden können. „Es gibt kein glückliches Leben auf einem toten Planeten“, bringt es der Klimaökonom auf den Punkt. Stattdessen müsse man sich überlegen, was wirklich wichtig sei. „Ist Wohlstand nur Geld, oder sind das auch Arbeitsplätze, ein gutes Bildungs- und Gesundheitssystem und ausreichend Mobilität und Wohnraum für alle?“
Ausrede für Klimasünden #3: „Aber in China …“
… leben die Menschen weit weniger klimaschädlich als wir. Zwar hat China mittlerweile einen leicht höheren pro-Kopf-Ausstoß als Österreich, dieser wird allerdings produktionsbasiert ermittelt. Das heißt, dass in China produzierte Smartphones, T-Shirts oder Halbleiter zur Emissionsbilanz Chinas gezählt werden. Selbst, wenn die Produkte anschließend in Österreich konsumiert werden.
Bezieht man den Konsum mit ein, ergibt sich für Österreich eine um etwa 50 Prozent höhere Emissionsbilanz. Historisch gesehen ist die Volksrepublik überhaupt nur für 12,7 Prozent aller CO₂-Emissionen verantwortlich. Die EU hingegen für 22 Prozent. Obwohl China weit mehr Einwohner:innen zählt. Warum trotzdem oft mit dem Finger auf China gezeigt wird? „Umweltweitsichtigkeit“, nennt es die Psychologie. Brudermann erklärt: „Wir glauben, dass Umweltprobleme woanders schlimmer sind als bei uns.” Gleichzeitig denken wir, wir können ohnehin nichts dagegen tun. „Für unsere eigenen Probleme, wie etwa steigende Emissionen im Verkehr oder Flächenversiegelung, sind wir hingegen blind. Obwohl wir hier so einiges tun könnten.“
Ausrede für Klimasünden #4: „Klimaschutz schadet der Wirtschaft und somit uns“
Kein Klimaschutz schadet der Wirtschaft viel mehr. Die Erderhitzung könnte Österreich einer Studie der Universität Graz zufolge jährlich 15 Milliarden Euro kosten. Zudem sterben schon jetzt mehr Menschen infolge von Hitzewellen als im Straßenverkehr. „Klimaschutz lohnt sich bereits kurz- oder mittelfristig“, sagt Thomas Brudermann.
So könne alleine die USA bis 2050 über 160 Billionen Dollar einsparen, wie eine Studie aus dem Jahr 2021 vorrechnet. Kein Klimaschutz sei dagegen zwanzigmal teurer als Klimaschutz, resümierte bereits im Jahr 2006 der viel zitierte Stern-Report. Die Welt komplett auf erneuerbare Energien umzustellen, würde zwar 62 Billionen Dollar kosten – eine Zahl mit 12 Nullen – der Umstieg würde sich aber bereits nach sechs Jahren finanziell auszahlen. Notwendige Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrsbereich rentieren sich zudem auch gesundheitlich und sorgen für mehr Jobs, wie der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) vorrechnet.
Tölgyes warnt aber: „Geld ist nicht das Problem, sondern die Ausrollung.“ Langwierige Genehmigungsverfahren für Windräder, Ressourcenkonflikte um seltene Erden und zu wenige Arbeits- und Fachkräfte im Erneuerbaren-Bereich seien die größeren Hürden.
Wir würden ja gerne nachhaltiger handeln, aber oft klappt es einfach nicht. Warum? 🤨@TBrudermann durchleuchtet in seinem neuen Buch unsere Ausreden, wenn #Klimaschutz mal wieder zu unbequem ist, und gibt kurzweilige Einblicke in die Klimapsychologie.
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— oekom (@oekomverlag) September 15, 2022
Ausblick: Wie wir aus den Ausreden herauskommen
„Wir sollten nicht auf andere schauen und nach Ausreden suchen, sondern uns fragen, was wir selbst tun können“, fordert Brudermann. Bei sich selbst anzufangen bedeute aber nicht bloß, einen ressourcenschonenden und klimafreundlichen Lebensstil zu finden. Es bedeute auch, die Ungleichheit innerhalb Österreichs anzugehen, anstatt mit dem Finger auf China zu zeigen. „Wir müssen bestehende Probleme wie Energiearmut bekämpfen und es braucht leistbare öffentliche Verkehrsmittel für alle“, sagt Tölgyes. Auch Verbote seien wichtig, da sich sonst so manche:r freikaufen könnte. „Kurzstreckenflüge und die meisten Privatflüge gehören ganz verboten“, so der Klimaökonom.