Streik der Freizeitpädagogik: Das Spiel ist aus?

Eine Demo der Freizeitpädagog:innen. Sie tragen Schilder mit der Aufschrift "So nicht" und gehen vor einem Banner der Organisation Bildung im Mittelpunkt. Symbolbild für die Gefahr, in der die Freizeitpädagogik schwebt.
"So nicht": Die Freizeitpädagogik ist bedroht. | © APA/Tobias Steinmaurer
Aus Freizeitpädagog:innen sollen Assistenzpädagog:innen werden, so wünscht es das Bildungsministerium. Mit sich bringt das eine kürzere Ausbildung mit höheren Hürden, schlechterer Bezahlung und der Bund müsste insourcen – viele offene Fragen also.

Zunächst preschte der Betriebsrat Bildung im Mittelpunkt vor, als ein Entwurf des Bildungsministeriums geleaked wurde. Dieser sieht vor, die in der schulischen Tagesbetreuung tätigen Freizeitpädagog:innen und Erzieher:innen zu Assistenzpädagog:innen zu machen. Die Problematiken daran sind mannigfaltig. Das beginnt bei einer halb so langen Ausbildung, für die es aber zukünftig eine Matura (und nicht wie bisher beim zwei Vollzeitsemester-Lehrgang an Pädagogischen Hochschulen eine Aufnahmeprüfung) als Voraussetzung benötigt. Und geht weiter bei der Überführung vom Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich mit einer Vollarbeitszeit von 37 Wochenstunden in jenen des öffentlichen Dienstes mit 40 Wochenstunden bis zu rechtlichen Fragen, inwieweit der Staat bislang an private Träger übertragene Verantwortungen wieder selbst in die Hand nehmen kann. Und bis hier dreht es sich noch nicht einmal um die inhaltlichen Fragen, was Freizeitpädagogik überhaupt leistet. David Lang vom Betriebsrat Bildung im Mittelpunkt sagt ganz offen: „So wie es am Tisch liegt, ist dem nichts Positives abzugewinnen.“

Ausgangspunkte

Ende Mai starteten die Beschäftigten nun eine Petition und beschlossen gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen. Im Bildungsministerium gab man sich gegenüber der APA überrascht, die Überführung der Freizeitpädagogik in die Assistenzpädagogik entspreche „auch grundsätzlich den Vorschlägen von Rechnungshof, Arbeiterkammer oder OECD“. Das Wort „grundsätzlich“ ist hier entscheidend, fordere die AK doch schon länger einen bundeseinheitlichen Ausbau und Qualitätssicherung, das Kompetenzwirrwarr bringt den Ausbau ganztägiger Schulformen (vor allem in ländlichen Gebieten) allerdings zum Stocken.

Demonstrierende in orangen Westen halten Schilder in die Luft. Auf einem Schild steht "Wir brauchen euch", auf dem anderen "Die Regierung wird vergehen, die Freizeitpädagogik wird bestehen."
„Die Kolleg:innen sind Freizeitpädagog:innen und keine Lehrkräfte“, erklärt David Lang vom Betriebsrat Bildung im Mittelpunkt. | © APA/Tobias Steinmaurer

Letztlich, so der Betriebsrat, wurde auch gar nicht mit den Betroffenen gesprochen, sondern schlichtweg nur mit der Lehrer:innengewerkschaft. Diese habe eben nicht den gleichen Blick für das, was die Freizeitpädagog:innen leisten. Die Arbeitsbedingungen wären seit Ausbruch der Corona-Pandemie ohnehin nicht rosig, man kämpfe mit Personalmangel.

Berufsbildfrage

Freizeitpädagogik ist eng mit dem Ausbau ganztägiger Schulformen verbunden, meint Lang weiter. „Es gibt auch schon am Vormittag Freizeitblöcke, es geht nicht nur um Nachmittagsbetreuung“, stellt er klar, „Freizeit ist Freiheit für die Kinder. Bei uns geht es darum, pädagogisch-didaktisch sinnvoll spielerisch zu lernen, kreativ zu sein, musisch zu arbeiten, die Persönlichkeit zu stärken.“ Man könne auch deshalb auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingehen, weil es eben keinen Lehrplan gibt, der abgearbeitet werden muss.

Die neuen Assistenzpädagog:innen sollen die Lehrer:innen eher unterstützen, beispielsweise durch Legasthenie-Förderung. Dabei handelt es sich allerdings um eine eigene Ausbildung: „Völlig absurd, was an Aufgabengebieten dazu kommen soll. Die Kolleg:innen sind Freizeitpädagog:innen und keine Lehrkräfte. Im Grunde geht das Ministerium her und will das, was als Hochschullehrgang an der PH ist, durch eine halbierte Ausbildungszeit ersetzen. Es führt auch zu einer Hierarchisierung in der Schule, das ist aber nicht sinnvoll. Derzeit arbeiten wir im Idealfall mit den Lehrer:innen gleichberechtigt auf Augenhöhe.“ Betriebsräte und die Gewerkschaft GPA hätten „überall angeklopft“, aber es habe nur informelle Treffen gegeben, nun wolle sich das Ministerium abputzen: „Das schafft aber keine rechtliche Sicherheit.“

Rechtliche Probleme

Julia Ilger von der GPA stellt nochmals klar: „Freizeitpädagoginnen sind keine Lehrer:innen. Ihre Profession ist die Freizeitgestaltung in ganztägigen Schulformen. Da geht es um Förderung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, um Kompetenzerwerb und nicht um Stoffwissen eines Lehrplanes.“ Der Entwurf des Bildungsministeriums sei auch arbeitsrechtlich schwierig. „Man kann die Gehaltstabellen nicht eins zu eins vergleichen“, spielt sie auf die 40 Stunden im öffentlichen Dienst an, „wenn man das umlegt, verlieren die Beschäftigten Geld.“

Überhaupt: Die Überführung privatrechtlich Angestellter in den öffentlichen Dienst ist nicht mit einer Zusammenführung zweier Betriebe vergleichbar. „Es gibt die EU-Betriebsübergangsrichtlinie für so einen Fall, aber unterschiedliche Judikatur zum Erhalt von Entgelthöhen und wie Vordienstzeiten zu schützen sind“, so Ilger. Letztlich gibt es noch weitere Unschärfen, denn „im vorliegenden Entwurf wurden Übergangsbestimmungen für die jetzt in Vereinen beschäftigten Freizeitpädagog:innen schlichtweg vergessen“, so Ilger. Werden „maturalose“ Freizeitpädagog:innen, die allerdings jahrzehntelange Erfahrung aufweisen, nicht mehr beschäftigt, droht ein massiver Personalmangel. Ein guter Teil der gegenwärtigen, in der Freizeitpädagogik Beschäftigten hat zudem Migrationshintergrund. Fraglich ist, wie es in Zukunft mit der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse aussieht. Schließt man Migrant:innen durch eine Art „Matura-Zwang“ aus, schadet dies der Diversität bei den Beschäftigten im schulischen Bereich.

Wenig sagend

Denn wer braucht denn ganztägige Schulformen mit einem Lehrpersonal, das die reale, diverse Gesellschaft abbildet? Natürlich wiederum jene, die sich keine eigene, teure Freizeitbetreuung leisten können. „Es ist eine sozioökonomische Frage“, so Ilger, „Die AK bringt immer wieder Studien heraus, wie viel Schule und Betreuung kosten. Wenn es da ein kostenfreies Angebot, auch im Sommer, gibt, ist das für Eltern, die sich keine fünf, sechs Wochen freinehmen können, sehr wichtig.“ Es sind nebst der Beschäftigten, die Eltern und die Kinder, die – wie immer – am meisten darunter leiden.

Das Bildungsministerium hingegen freut sich naturgemäß über die eigene Arbeit. Vergangenen Dienstag erklärte Minister Martin Polaschek auf einer Pressekonferenz: „Wir schaffen erstmalig die Möglichkeit einer vollen Anstellung in allen nicht verschränkt geführten Schulen. Sie können so zeitlich flexibel in individuellen pädagogischen Angeboten der Schule engagiert sein. Die Pädagoginnen und Pädagogen am Standort erhalten flexible Unterstützung während des gesamten Schulalltags.“ Arbeit&Wirtschaft wollte vom Ministerium Stellungnahmen zu Einkommensverlusten, Ausbildung und weiteren Themen. Das BMBWF übermittelte allerdings nur Informationen aus einer Aussendung sowie den Hinweis: „Im Bereich der psychosozialen Unterstützung und der administrativen Unterstützung wurden bereits mit der Verankerung im Finanzausgleich umfassend finanzierte Unterstützungsmaßnahmen“ sowie ein generelles Konzept erarbeitet, das „pädagogische Unterstützung für Lehrkräfte ermöglicht sowie die Rahmenbedingungen der Ganztagesschule und insbesondere eine nachhaltige Finanzierung der Ganztagesschule sicherstellt.“ Dieses Konzept wird den Finanzausgleichspartnern für deren Verhandlungen vonseiten des Bundes übermittelt werden.

Mehr Personal für die Freizeitpädagogik

Dürftig. Die Streikfreigabe vonseiten des ÖGB steht deshalb. Julia Ilger sagt: „Wir sind vorbereitet. Wir haben unterschiedliche Streikformen von Länge und Orten in den Bundesländern.“ Am 15. Juni geht es bundesweit los, in Wien startete schon mit 12. Juni eine Aktions- und Streikwoche.

Warum? Das fasst David Lang zusammen: „Es braucht nicht weniger, sondern mehr Ausbildung und mehr Personal. Man muss die freizeitpädagogische Tätigkeit professionalisieren und die Arbeitsbedingungen massiv verbessern, nicht verschlechtern. Alles, was derzeit am Tisch liegt, ist das Gegenteil von dem, was sinnvoll wäre.“

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