Streik gegen französische Pensionsreform: „Nichts ist zu Ende“

Aufnahme einer Demonstration in Patis. Verschiedene Menschen sind zu sehen, die Schilder und Fahnen schwingen. Symbolbild für den Protest gegen die Pensionsreform in Frankreich.
„Nennen Sie mich nie wieder Demokratie, sondern Macronie“: Der Protest gegen Macrons Pensionsreform geht weiter. | © Benoit Tessier/Reuters/picturedesk.com
Kein Ende in Sicht: Französische Arbeitnehmer:innen wollen sich angesichts der Pensionsreform ihres Präsidenten weiterhin nicht geschlagen geben und kämpfen für eine Reform. Ein Kommentar des französischen Gewerkschafters und Journalisten Tristan Malle.
Seit Monaten befinden sich die französischen Arbeitnehmer:innen und ihre Gewerkschaften in einem intensiven Klassenkampf gegen die Pensionsreform, die insbesondere darauf abzielt, das gesetzliche Antrittsalter von 62 auf 64 Jahre hinaufzusetzen und die Mindestdauer der Beitragszahlungen als Voraussetzung für eine abschlagsfreie Pension zu verlängern.

Trotz der massiven Ablehnung seiner Reform im ganzen Land – sie wird weiterhin von 70 Prozent der Bevölkerung und mehr als 90 Prozent der Berufstätigen verurteilt – hat Präsident Macron dieses Gesetz nach dem Urteil des Verfassungsrats, der es für verfassungsgemäß erklärte, erlassen.

Ein Polizist geht mit Schlagstock auf einen Demonstranten los. Im Hintergrund sind andere Demonstrierende zu sehen. Symbolbild, dass die Polizeigewalt auf Demonstrationen gegen die Rentenreform Macrons zeigen soll.
Berichte von Polizeigewalt häufen sich. | © Atlantico Press/Action Press /picturedesk.com

Dennoch geben sich die Arbeitnehmer:innen nicht geschlagen und bleiben fest entschlossen, die Rücknahme der Reform zu erreichen. Nichts ist zu Ende. Weder die Streiks, noch die Demonstrationen, noch die tiefe politische und institutionelle Krise, die diese in den vergangenen Jahrzehnten beispiellose Bewegung ausgelöst hat. Wie immer die Kämpfe der französischen Arbeitnehmer:innen in Zukunft aussehen mögen, die Lehren, die sich aus dieser bereits sechs Monate dauernden Mobilisierung ergeben, sind schon heute für die gesamte Arbeiter:innenbewegung von größter Bedeutung.

„Ungerechtes und brutales Gesetz“

Seit Januar hat sich die Arbeiter:innen- und Jugendbewegung um die klare Forderung nach der Rücknahme des Gesetzes organisiert. Eines „ungerecht und brutal“ empfundenen Gesetzes, weil es sie im Namen eines angeblichen „Defizits“ des Pensionsystems, das in Wirklichkeit nicht besteht, dazu zwingen soll, mindestens zwei Jahre länger zu arbeiten, und sogar mehr, wenn man nicht genügend Beitragsjahre hat.

Zu Recht sehen die Arbeitnehmer:innen in dieser Reform, die nur von ihnen Opfer abverlangt, während die Arbeitgeber:innen ungeschoren davonkommen, einen weiteren Schritt in der sozialen Fehde, den die Regierung gegen die Bevölkerung führt, während die Kaufkraft einbricht, die Treibstoff- und Energiepreise noch nie so hoch waren, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um 25 Prozent reduziert wurde, das Krankenhaussystem am Rande des Zusammenbruchs steht … Gleichzeitig werden den Bossen Hunderte Milliarden Euro an Sozialbeiträgen erlassen und Macron lässt ein Gesetz über militärische Ausgaben absegnen, das für Krieg und Rüstungsindustrie 377 Milliarden Euro bereitstellt!

Antidemokratische Mittel, um die Pensionsreform durchzuboxen

Die Bewegung gegen die Pensionsreform hat zum Ausdruck gebracht, wie tief der Aufstand der Bevölkerung gegen diese arbeitnehmer:innenfeindliche Politik geht. Die zwölf Streik– und Demonstrationstage, zu denen die vereinigten Gewerkschaften binnen drei Monaten aufgerufen haben, haben auf beispiellose Weise alle Arbeitnehmer:innen- und Jugendorganisationen und damit Millionen von Arbeitnehmer:innen im ganzen Land versammelt. Die Entschlossenheit der Bevölkerung ist stark.  Und auch die Repression und Polizeigewalt, die Macron gegen die Demonstrant:innen entfesselt hat, konnte ihr nichts anhaben.

In zahlreichen Unternehmen wurden Betriebsversammlungen und Streiks abgehalten, häufig wurden auf Initiative der Arbeiter:innen an der Basis Streik- oder Organisationskomitees gebildet. Und trotzdem fehlte von den vereinigten Gewerkschaften der Aufruf zum Generalstreik, der oft als wirksamstes Mittel gilt, Macron zum Rückzug zu bewegen.

In dieser Bewegung hat sich auch sehr deutlich die Frage nach Demokratie und Macht gestellt. Um ihre Reform durchzusetzen, setzte die Regierung Macron, die im Land immer isolierter dasteht und immer stärker abgelehnt wird, alle antidemokratischen Mittel ein, die ihr von der Verfassung der 5. Republik zugestanden werden, die es erlaubt, das Parlament an die Leine zu legen und die Meinungsäußerung des Volkes zu beschneiden. Im Zuge der Mobilisierung brachte sich die Ablehnung dieser Institutionen und die Frage danach, was eine Regierung im Dienst der Interessen der arbeitenden Bevölkerung sein müsste, immer stärker zum Ausdruck, insbesondere unter jungen Menschen. Und diese Frage bleibt für alle diejenigen weiterhin offen, die sich der Arbeiter:innenbewegung und der Demokratie verpflichtet fühlen.

Aus dem Französischen von Brita Pohl

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