Wie funktioniert eigentlich ein Schlichtungsverfahren?

Illustration über Recht und Urteil im Bereich der Schlichtung.
Wenn sich der:die Arbeitgeber:in querstellt, ist die Schlichtung eine gute Möglichkeit. | © Silke Müller
Schlichtungsverfahren fristen im juristischen Arsenal von Arbeitnehmer:innenvertretungen ein Nischendasein – zu Unrecht, denn mit diesem Instrument lassen sich durchaus Verbesserungen erstreiten.
Den folgenden Satz möchte wohl niemand im Betriebsrat hören: „Aufgrund der wirtschaftlichen Lage sind betriebsbedingte Kündigungen geplant.“ Und doch gehört diese Nachricht zur betrieblichen Lebensrealität. Eine Maßnahme, die die österreichische Sozialpartnerschaft in einem solchen Fall kennt, ist die Erstellung eines Sozialplans – um etwa Härtefälle abzumildern oder Lehrlingen den Abschluss ihrer Ausbildung zu ermöglichen. Aber was tun, wenn die Verhandlungen über den Sozialplan ins Stocken geraten und kein Einvernehmen möglich scheint? In einem solchen Fall besteht die Möglichkeit einer Schlichtung. Dafür muss bei einem zuständigen Gericht die Einrichtung einer sogenannten „Schlichtungsstelle“ beantrag werden. In Wien ist dies das Wiener Arbeits- und Sozialgericht. Dort laufen pro Jahr circa 20 Schlichtungsverfahren, wie Olga Stürzenbecher-Vouk, Präsidentin des Gerichts, erzählt. „Die Zahl der Schlichtungen hat zugenommen“, sagt sie. „Auch Anfechtungen von Schlichtungen nehmen zu.“

Schlichtung: Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten

Einer, der sich mit Schlichtungsverfahren aus gewerkschaftlicher Sicht auskennt, ist Robert Steier. Er leitet das Referat Recht bei der Gewerkschaft vida. Sein Name steht außerdem auf der Liste der Beisitzer:innen bei der Schlichtungsstelle des Arbeitsgerichts Wien. Sich selbst bezeichnet er als „einen der wenigen Fans der Schlichtung“. Er findet: „Schlichtungsverfahren fristen zu Unrecht ein Stiefmütterdasein.“ Die Anwendungsgebiete für ein Schlichtungsverfahren seien vielfältig, sagt Steier. Bei Konflikten rund um Betriebsvereinbarungen könne eine Schlichtung ein sinnvolles Instrument sein.

„Ein Thema für eine Schlichtung kann sein, wenn bei einem Schichtbetrieb die Arbeitszeit um 7 Uhr in der Früh beginnt, aus Arbeitnehmer:innensicht aber ein Beginn um 7:15 Uhr viel günstiger wäre, weil der Betrieb dann mit den öffentlichen Verkehrsmitteln besser erreicht werden könnte. Wenn sich der:die Arbeitgeber:in querstellt, ist die Schlichtung eine gute Möglichkeit. Wir sind auch schon bei einem Konflikt rund um Mittagspausen bei Busunternehmen in die Schlichtung gegangen. Oder als es bei einer Möbelhauskette um Probleme bei der Umkleidezeit ging. Wir haben schon Hunderttausende Euro für Arbeitnehmer:innen über Schlichtungsverfahren herausgeholt“, zieht Steier eine positive Bilanz. Wichtige Voraussetzung: „Die Verhandlungen im Betrieb müssen zuvor komplett ins Stocken geraten sein.“

So funktioniert das Verfahren bei einer Schlichtung

Schlichtungsverfahren sind nicht mit außergerichtlichen Einigungen zu vergleichen, wie sie bei „normalen“ Arbeitsgerichtsverfahren oft vorkommen. Dort werden individuelle Streitfälle einvernehmlich gelöst. Schlichtungen befassen sich hingegen ausschließlich mit kollektivrechtlichen Problemstellungen wie eben Betriebsvereinbarungen. Stellt entweder die Gewerkschaft oder die Arbeitgeber:innenseite einen Antrag auf Schlichtung, wird eine sogenannte „Schlichtungsstelle“ eingerichtet. „Es gibt keine fixen Schlichtungsstellen, sie werden immer anlassbezogen gebildet“, sagt Steier. „Idealerweise redet man vorher mit dem:der für die Schlichtung vorgesehenen Richter:in, bevor man einen Antrag auf Schlichtung stellt. Dann wird diese:r nicht unangenehm überrascht.“

Alle Arbeitsrichter:innen sind verpflichtet, für den Vorsitz von Schlichtungsstellen zur Verfügung zu stehen. Allerdings bedeutet das für diese eine Zusatzbelastung zum arbeitsgerichtlichen Normalbetrieb. Dies sei durchaus ein Problem, meint Steier. „Die Richter:innen machen das neben ihrer Haupttätigkeit. Und die Gerichte sind aufgrund von Einsparungen überlastet. Hier besteht Handlungsbedarf. Ein Rechtsstaat sollte sich durchaus eine gewisse Anzahl von Verfahren gönnen. Aber je weniger Richter:innen es gibt, desto länger dauern die einzelnen Verfahren.“

Illustration: Grafische Darstellung der jährlichen Schlichtungsverfahren beim Arbeits- und Sozialgericht in Wien.

Schlichtung ist kein „normales“ Arbeitsgerichtsverfahren

Beisitzer:innen begleiten die Berufsrichter:innen beim Schlichtungsverfahren. „Beim Wiener Arbeits- und Sozialgericht gibt es eine Liste mit rund 60 Beisitzer:innen, aus der ausgewählt werden kann“, so Richterin Stürzenbecher-Vouk. Paragraf 144 des Arbeitsverfassungsgesetzes regelt genau, wie die Beisitzer:innen für ein Schlichtungsverfahren ernannt werden. In Absatz 3 heißt es: „Jeder der Streitteile hat zwei Beisitzer namhaft zu machen, davon einen aus einer Beisitzerliste; der zweite Beisitzer soll aus dem Kreise der im Betrieb Beschäftigten namhaft gemacht werden.“

Wenn die Streitparteien ihre Wahl der Beisitzer:innen nicht innerhalb von zwei Wochen ab Antragsstellung für die Schlichtung bekannt geben, entscheidet der:die vorsitzende Richter:in und sucht sich die Beisitzer:innen aus der bereits erwähnten Liste selber aus. Wie Stürzenbecher-Vouk betont, sei das „Vorschlagsrecht“, also das Recht der Streitparteien, ihre Beisitzer:innen selbst zu wählen, sehr wichtig. „Wir nehmen das sehr genau. Auch, weil das anders ist als beim Arbeitsgerichtsverfahren. Da können die Streitparteien sich die Beisitzer:innen nicht aussuchen.“

Das Zünglein an der Waage

Robert Steier bricht die Rollenverteilung der vier Beisitzer:innen so herunter: „Bei der Schlichtung dabei sind ein:e Vertreter:in des Betriebsrats, ein:e Beisitzer:in der Gewerkschaft, ein:e Beisitzer:in der Wirtschaftskammer sowie ein:e Vertreter:in der Geschäftsführung. Diese entscheiden gemeinsam über den Schlichtungsantrag. Es gilt das Mehrheitsprinzip.“ Das Zünglein an der Waage ist somit der:die Berufsrichter:in. Ihn bzw. sie gelte es zu überzeugen, so Steier. „Hier besteht natürlich auch die Gefahr, dass sich ein:e Richter:in auf die Seite des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin schlägt. Deshalb ist es für das Schlichtungsverfahren wichtig, einen guten Vorschlag und einen durchdachten Plan parat zu haben.“

Ein wesentlicher Unterschied zwischen „normalen“ Arbeitsgerichtsverfahren und Schlichtungsverfahren sei, dass letztere „wesentlich weniger straff geführt sind“, so Stürzenbecher-Vouk. „Schlichtungen bieten die Möglichkeit, Konflikte sehr detailliert zu behandeln.“ Daraus ergebe sich auch eine im Durchschnitt längere Verfahrensdauer. „Arbeitsgerichtsverfahren dauern in der Regel ein bis zwei Jahre, Schlichtungsverfahren im Durchschnitt zwei bis drei Jahre.“

Großes Mitspracherecht durch Schlichtung

Ein Grund für die längere Dauer eines Schlichtungsverfahrens im Vergleich zum „normalen“ Arbeitsgerichtsverfahren liegt in der Art, wie die Schlichtung organisiert ist. „Den Parteien wird bei der Schlichtung mehr Mitsprache eingeräumt als in Arbeitsgerichtsverfahren. Es können jederzeit neue Beweisstücke eingebracht werden“, sagt Stürzenbecher-Vouk. Das ist auch sinnvoll, da es sich bei einer Schlichtung naturgemäß um eine Aushandlung widerstreitender Interessen handelt, und nicht um die Feststellung einer Recht- oder Unrechtmäßigkeit.

„Natürlich wird vonseiten des Gerichts versucht, schon am Anfang eine Lösung herbeizuführen. Deshalb wird erst ab dem zweiten Verhandlungstag konkreter verhandelt, und es werden Beweise aufgenommen“, so die Richterin weiter. Übrigens ist die Schlichtungsstelle eine nicht weisungsgebundene Behörde. Das heißt übersetzt so viel wie: Die Regierung darf der Schlichtungsstelle bei ihrer Arbeit nicht hineinpfuschen und Entscheidungen in ihrem Sinne einfordern. „Auch das ist etwas, das bei Schlichtungsverfahren sehr geschätzt wird“, so Stürzenbecher-Vouk.

Portrait von Olga Stürzenbecher-Vouk, Präsidentin des Wiener Arbeits- und Sozialgerichts, in weißer Bluse und Jacke. Im Gespräch über das Instrument der Schlichtung.
Die Regierung darf der Schlichtungsstelle bei ihrer Arbeit nicht hineinpfuschen – ein Umstand, den Olga Stürzenbecher-Vouk als Präsidentin des Wiener Arbeits- und Sozialgerichts sehr schätzt. | © Markus Zahradnik

Das Ergebnis der Schlichtung ist verpflichtend

Am Ende eines Schlichtungsverfahrens steht ein Beschluss per Bescheid. Der muss im von der Schlichtung betroffenen Unternehmen verpflichtend umgesetzt werden. Sowohl der Betriebsrat als auch die Geschäftsführung eines Betriebes müssen den Schlichtungsbescheid akzeptieren, sobald dieser rechtskräftig ist. Das wirkt sich zum Beispiel in Bezug auf Betriebsvereinbarungen sehr konkret aus. Hier existiert der Rechtsbegriff der „erzwingbaren Betriebsvereinbarungen“, deren Gegenstand betriebliche Ordnungsvorschriften, die Einteilung der täglichen Arbeitszeit oder die Erstellung eines Sozialplans sein können. Eine „erzwingbare Betriebsvereinbarung“ ist somit eine, deren Abschluss vom Betriebsrat oder vom Unternehmen mittels Anrufung einer Schlichtungsstelle erzwungen werden kann.

„Viele Richter:innen mögen es nicht, Bescheide auszusprechen“, so Robert Steier. „Deshalb wird im Rahmen einer Schlichtung viel informell verhandelt, um keinen Bescheid ausstellen zu müssen. Die Schlichtung ist somit eine Chance, wieder mit Gesprächen in die Gänge zu kommen.“ Genau diese Offenheit des Verfahrens bietet allerdings auch Möglichkeiten der Verschleppung. Wie beim normalen Arbeitsgerichtsverfahren gibt es auch bei der Schlichtung einen Instanzenweg. Und der dauere viele Jahre, so Stürzenbecher-Vouk. „Hier besteht schon die Möglichkeit, Entscheidungen zu verzögern.“

Nichts zu verlieren

Normale Arbeitsgerichtsverfahren sind öffentlich. So können zum Beispiel Freund:innen von vor dem Arbeitsgericht klagenden Arbeitnehmer:innen bei den Prozessen zuschauen. Schlichtungsverfahren sind hingegen nicht öffentlich. Robert Steier sieht hier durchaus einen Kritikpunkt, weil dadurch keine Möglichkeit für eine öffentliche gewerkschaftliche Kampagne bestehe. „Aber gerade, wenn es um Sozialpläne geht, möchte ich die Schlichtung unbedingt empfehlen. Hier besteht die Chance, Sozialpläne deutlich zu verbessern. Und zu verlieren, gibt es in einer solchen Situation nichts.“

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