Scheinselbstständigkeit bei Lieferdiensten bekämpfen

Ein Mann mit einem Foodora-Rucksack steht auf der Mariahilfer neben seinem Fahrrad.
Viele Mitarbeitende von Lieferdiensten sind scheinselbstständig. Ihre Arbeitsbedingungen sind prekär. | © Adobe Stock/MysteryShot
Lieferdienste umgehen über die Scheinselbstständigkeit ihrer Mitarbeiter:innen gezielt das Arbeitsrecht. Zurück bleiben prekäre Beschäftigte – und ein Minus in den Staatskassen.
Mitte Juli durchsuchten 224 Finanzpolizist:innen gemeinsam mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zeitgleich 69 Standorte in ganz Österreich, um mögliche Fälle von Scheinselbstständigkeit aufzudecken. Im Visier standen Zustelldienste. In den vergangenen Monaten kündigte etwa der Konzern Lieferando sämtliche fixen Dienstverträge und stellte auf freie Dienstverhältnisse um, wie Arbeit&Wirtschaft berichtete.

Frühere Kontrollen hatten zudem gezeigt, dass ein beträchtlicher Teil dieser sogenannten freien Dienstnehmer:innen gezwungen ist, ohne Anmeldung  – also „schwarz” – zu arbeiten und damit beispielsweise keinen Sozialversicherungsschutz, Pensionsansprüche oder Arbeitslosenversicherung erhält. Bei den aktuellen Kontrollen wurden erneut zum Teil prekäre Arbeitsbedingungen festgestellt. Mehrere Zuliefer:innen waren nicht angemeldet, bezogen zum Teil Arbeitslosengeld oder hatten keine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung.

„Die Bekämpfung von Sozialbetrug ist eine Frage der Gerechtigkeit. Man versucht sich auf dem Rücken anderer Marktteilnehmer – und vor allem der Beschäftigten – Vorteile zu verschaffen. Hier darf es keine Toleranz geben“, äußerte sich Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) dazu. Möglich wird dieser Sozialbetrug jedoch erst, weil Plattformarbeit noch immer unreguliert ist.

Gravierende Folgen für Staat und Beschäftigte

Plattformarbeiter:innen sind Menschen, die über digitale Plattformen – etwa für Essenslieferungen oder Fahrdienste – Aufträge annehmen. Häufig werden sie als Selbstständige oder freie Dienstnehmer:innen geführt, obwohl sie weisungsgebunden und in betriebliche Abläufe eingebettet sind. Sie arbeiten also nicht selbstbestimmt, sondern unter Bedingungen, die einem echten Dienstverhältnis entsprechen, und tragen oft sogar eine Arbeitskleidung der Firma.

Die Bekämpfung von Sozialbetrug ist eine Frage der Gerechtigkeit.
Man versucht sich auf dem Rücken anderer Marktteilnehmer
– und vor allem der Beschäftigten – Vorteile zu verschaffen.

Markus Marterbauer, Finanzminister

Mit solchen Dienstverhältnissen umgehen Unternehmen systematisch das geltende Arbeits- und Sozialrecht. Allein in Wien sind rund 3.000 Personen für Essenszustelldienste unterwegs. Die Dienstleistungsgewerkschaft vida fordert seit Jahren klare gesetzliche Regelungen und betont die Notwendigkeit, freie Dienstverhältnisse in diesem Bereich abzuschaffen. Denn der Staat und die Sozialversicherung verlieren durch diese Praxis jährlich Millionen. „Deutlich wird das etwa beim Krankengeld: Haben regulär Angestellte einen Unfall, erhalten sie acht Wochen lang Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber – erst danach greift die AUVA bzw. ÖGK. Bei freien Dienstnehmer:innen übernimmt die ÖGK von Beginn an“, so Julia Guthan von der Gewerkschaft vida. Dadurch subventioniert die Allgemeinheit internationale Konzerne, die sich davor drücken, Verantwortung für ihre Beschäftigten zu übernehmen.

EU-Gesetz erhöht den Handlungsdruck auf Österreich

Eine EU-Richtlinie zur Regulierung von Plattformarbeit wurde 2024 beschlossen, der Abschnitt zur Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit wurde vorab allerdings aufgeweicht, wie die AK erklärt. Bis spätestens Dezember 2026 muss die Richtlinie in österreichisches Recht umgesetzt werden. „Was jetzt aufgedeckt wurde, ist nur die Spitze des Eisbergs. Es handelt sich nicht um Einzelfälle oder Unwissenheit, sondern um ein bewusstes Geschäftsmodell, das Verantwortung auf die Schwächsten auslagert“, sagt Markus Petritsch, Vorsitzender des vida-Fachbereichs Straße. Die Gewerkschaft und der ÖGB fordern daher ein härteres Vorgehen gegen die Missstände.

Laut einer aktuellen Meldung im Standard kündigt Lieferando Österreich alle angestellten Fahrer:innen. Die „Rider“ werden nur noch als „freie Dienstnehmer:innen“ beschäftigt.

Wir haben im Frühjahr 2024 mit Lieferant:innen gesprochen – ihre Arbeitsbedingungen waren schon damals alarmierend. 👇

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— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 18. März 2025 um 16:15

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Über den/die Autor:in

Sandra Gloning

Sandra Gloning ist freie Online- und Print-Journalistin in Wien mit einem breiten Themenfeld rund um Frauen, Lifestyle und Minderheiten und dem Ziel, Geschichten aus dem echten Leben zu erzählen.

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