Reportage: Scharfe Verhandlungen

Inhalt

  1. Seite 1 - Die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen ernst nehmen
  2. Seite 2 - Das neue Arbeitszeitgesetz verschiebt das Verhandlungsgleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
  3. Seite 3 - Junges Engagement für gerechteren Lohn
  4. Auf einer Seite lesen >
Länger arbeiten, weniger Mitbestimmung - die Regierung agiert derzeit im Dienste der Arbeitgeber. Unter diesen Voraussetzungen startet die Herbstlohnrunde. Lange und zähe Verhandlungen stehen bevor.

Arbeitszeitgesetz empört

Die türkis-blaue Bundesregierung hat das neue Arbeitszeitgesetz im Eilverfahren durchgepeitscht – ohne Einbindung der Sozialpartner und der Bevölkerung. Begutachtung für das Gesetz, das massive Auswirkungen auf Gesundheit, Freizeit und Einkommen von 3,6 Millionen ArbeitnehmerInnen hat, gab es keine.
„Uns geht es um konkrete Verbesserungen für die ArbeitnehmerInnen, die wir bei den KV-Verhandlungen durchsetzen wollen“, stellt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian klar. „Die Anforderungen für die Arbeitnehmer, die bei 30 Grad im Schatten eine Straße asphaltieren, unterscheiden sich von den Anforderungen derer, die im klimatisierten Büro mit der Lösung komplexer Herausforderungen beschäftigt sind.“ Diesbezüglich kündigt er an: „Im Gegensatz zur Bundesregierung fahren wir nicht mit dem Kamm über alles drüber. Wir achten auf die unterschiedlichen Bedürfnisse. Wir werden Branche für Branche für Verbesserungen im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kämpfen.“

Auch jede neue Lebensphase bringt verschiedene Anforderungen mit sich. Für die ArbeitnehmerInnen ist es deshalb von enormer Bedeutung, selbst wählen zu können: Brauche ich mehr Freizeit oder will ich mehr Geld verdienen? Überlange Arbeitszeiten machen krank, ein Anspruch auf zusammenhängende Freizeitphasen muss unbedingt gewährleistet sein. Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft vida: „Durch das Arbeitszeitgesetz hat die Regierung eine klare Situation geschaffen: Für einen 12-Stunden-Tag und eine 60-Stunden-Arbeitswoche brauche ich den Kollektivvertrag nicht mehr. Als Arbeitgeber brauche ich den Betriebsrat und den Arbeitsinspektor nicht mehr, wenn ich die Leute ausbeute. Warum soll ich überhaupt verhandeln, wenn ich ohnehin alle Rechte habe?“ Das zeigt deutlich, wie uneingeschränkt die Rechte der Arbeitgeber nunmehr sind – und wie sehr Beschäftigte auf deren guten Willen angewiesen sind.

Zwei Stunden Gratisarbeit pro Woche

Durch den Beschluss des neuen Arbeitszeitgesetzes hat sich das Verhandlungsgleichgewicht zwischen den arbeitenden Menschen und den Kapitalgebern massiv verschlechtert. Bisherige Regierungen haben sich durch gesetzliche Rahmenbedingungen immer dahingehend orientiert, dass der vermeintliche Kräfteunterschied vom „Schwächeren“ ausgeglichen werden kann. Meist wurden die Mitwirkungsrechte der ArbeitnehmerInnen gestärkt oder zumindest nicht massiv geschwächt.

Foto (C) PRO-GE/flickr
„Für einen 12-Stunden-Tag und eine 60-Stunden-Arbeitswoche brauchen die Arbeitgeber keinen Betriebsrat mehr“, weiß der vida-Vorsitzende Roman ­Hebenstreit.

Doch jetzt ist es anders. Verschiedene Branchen spüren die unmittelbare Auswirkung der neuen Arbeitszeitregelung. Im Bereich der GPA-djp finden sich viele Betriebe mit Gleitzeitvereinbarungen – dort werden den BetriebsrätInnen nun reihenweise Schriftstücke vorgelegt, in denen die Gleitzeitvereinbarung von zehn auf zwölf Stunden ausgedehnt wird. Natürlich beinhalten diese keine Zuschläge oder die Option, einen Teil der angesammelten Stunden in Freizeit (sofern die ArbeitnehmerInnen diese Möglichkeit bevorzugen) zu konsumieren. Geradezu herrschaftlich: Wann die angesammelte Freizeit konsumiert wird, entscheidet der Arbeitgeber.

Unbezahlte Mehrarbeit

In manchen Branchen haben viele Beschäftigte All-in-Verträge, teilweise gilt das für ganze Belegschaften im Angestelltenbereich. Da mit diesen Verträgen die Überstunden im Allgemeinen abgedeckt sind, können MitarbeiterInnen durch das neue Gesetz gezwungen werden, zwei Stunden pro Woche mehr zu arbeiten. Das sind 96 Stunden pro Jahr – ohne einen Cent mehr Lohn.

GPA-djp-Vorsitzende Barbara Teiber: „Uns erreichen Anrufe, dass sogar Teilzeitbeschäftigte um ihren Job bangen, weil sie von unverschämten Arbeitgebern zu 12-Stunden-Schichten eingeteilt werden.“ Doch die Belastungen durch das neue Arbeitszeitgesetz werden sich immer deutlicher zeigen, wenn nicht eilig gegengesteuert wird. Noch verteilen viele Arbeitgeber emsig Beruhigungspillen an Beschäftigte und Betriebsräte, beschwichtigen, es würde sich im Betrieb de facto überhaupt nichts ändern. Allerdings drängt sich die Frage auf, weshalb die Arbeitgeber dieses Gesetz dann überhaupt bei der Regierung geordert haben.

„Die Freiwilligkeit und mehr Flexibilität für die ArbeitnehmerInnen, das ist ein nettes Märchen. Die 4-Tage-Woche ist bisher ein Riesenschmäh, der von der Regierung in sämtlichen Tageszeitungen inseriert wurde“, sagt Teiber. Im Klartext: „Bis jetzt gibt es bei uns keinen Betrieb, in dem die MitarbeiterInnen ein Recht auf die 4-Tage-Woche haben. Wenn wir das bei den KV-Verhandlungen nicht durchsetzen, dann bleibt das weiterhin nur ein Wunsch der großen Mehrheit der Beschäftigten.“

Foto (C) PRO-GE/flickr
„Das neue Arbeitszeitgesetz macht es für Unternehmen möglich, Lehrlinge nach acht Stunden Berufsschule in die ­Arbeit zu holen“, erklärt ÖGJ-Vor­sitzende Susanne Hofer.

Dass es sich bei der vorgetragenen Sorge um die ArbeitnehmerInnen bei dieser Regierung eher um Lippenbekenntnisse handelt, zeigt sich auch in anderen Bereichen. Mitte September demonstrierten ArbeitnehmerInnen vor dem Sozialministerium. Der Grund: Die Regierung kürzte das Budget für die aktive Arbeitsmarktpolitik um fast ein Drittel. Das trifft einerseits viele junge Menschen, die eine Ausbildung nachholen wollen, andererseits Tausende Beschäftigte in der Erwachsenenbildung, die vor der Kündigung stehen. Das ist besonders zynisch, denn gerade in Zeiten der Hochkonjunktur sollte in eine aktive Arbeitsmarktpolitik investiert werden, um Menschen dauerhaft in Beschäftigung zu bringen.

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