Reportage: Eine große Portion Liebe

Fotos (C) Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - Fußmarsch durch Wiener Geschichte
  2. Seite 2 - Mit Leib und Seele in Hietzing
  3. Seite 3 - Wenn ein Krankenhaus zum Organspender wird
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Von großen Herausforderungen und kleinen Wundern: Die Arbeit von KrankenpflegerInnen ist anspruchsvoll. Ein Rundgang in der Klinik Hietzing mit der chirurgischen Schwester Miriam Mijatovic.
Chirurgische Schwester aus Leidenschaft: So definiert Miriam Mijatovic ihre Lebensaufgabe. Die 47-jährige diplomierte Krankenpflegerin arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt in der 2. Chirurgischen Abteilung der Klinik Hietzing (vielen noch als Krankenhaus Lainz geläufig). Die Allgemein- und Viszeralchirurgie, im Pavillon 16 angesiedelt, führt vorrangig Operationen des Bauchraumes durch. Bereits um 5.45 Uhr läutet der Wecker die Krankenpflegerin aus dem Bett, rund 15 Minuten benötigt sie für den Fußweg zur Arbeit – auch ihre Wohnung liegt im 13. Bezirk.

Der Begriff soziale Infrastruktur ist weiter gefasst und beinhaltet auch das Gesundheitssystem mit all den Menschen, die es am Laufen halten.

Der Frühdienst beginnt um 6.45 Uhr, der Dienstübergabe folgt die Visite und die PatientInnenbetreuung – abends um 19.05 Uhr enden zwölfeinhalb Stunden Arbeit, die ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration erfordern. Rund sechs bis acht Nachtdienste von 18.40 Uhr bis sieben Uhr in der Früh gehören ebenso zum monatlichen Arbeitspensum.

Fußmarsch durch Wiener Geschichte

Das weitläufige Klinikareal erreicht Mijatovic am Eingang Versorgungsheimplatz – der Name ist ein Relikt aus der Monarchie, von 1902 bis 1904 wurde das Versorgungsheim Lainz für betagte Menschen samt Anstaltskirche errichtet. Aus diesem wuchs das Geriatriezentrum am Wienerwald (GZW), diese Einrichtung besteht nicht mehr, bloß drei Pfeifen paffende großformatige Gartenzwerge wachen noch vor dem Haupteingang.

Einige Minuten bergauf führt Mijatovic ihr Weg über die Freitreppe der Backsteinkirche, vorbei an den Schienen der stillgelegten Feldbahn zu den 1913 errichteten Bauten der Klinik Hietzing. Bis 2011 transportierte die Feldbahn Mahlzeiten aus der Großküche zu den Pavillons. Für ein Mittagessen in der MitarbeiterInnen-Kantine bleibt der Krankenpflegerin keine Zeit. „Der Weg dorthin ist zu weit, mit den 30 Minuten Pause, die mir zustehen, würde sich das nie ausgehen“, bedauert Miriam Mijatovic. Zwar nimmt sie sich eine Jause mit in die Arbeit, doch „ich kann mir die Zeit dafür auch nur so einteilen, wie es die Patienten zulassen“. Wird geläutet, ist das Päuschen vorüber – wer im Gesundheits- und Pflegedienst arbeitet, weiß das.

Über eine Freitreppe, die zur Backsteinkirche führt, betritt Miriam Mijatovic am frühen Morgen ihr Arbeitsgelände.

Soziale Infrastruktur

KrankenpflegerInnen als Infrastruktur? Was eigentümlich anmutet, macht sehr viel Sinn. Denn unter Infrastruktur versteht man eben nicht nur Gebäude wie ein Krankenhaus oder ein Pflegeheim. Der Begriff soziale Infrastruktur ist weiter gefasst und beinhaltet auch das Gesundheitssystem mit all den Menschen, die es am Laufen halten. Der Lebensweg von Miriam Mijatovic hatte mehrere Stationen, bevor sie in Lainz ihre Arbeit aufnahm. Im nordrhein-westfälischen Werdohl geboren, wuchs sie 15 Jahre lang in der deutschen Stadt auf, als sie plötzlich zu ihrer Oma nach Banja Luka geschickt wurde: „Meine Eltern stammen aus Bosnien und hatten Sorge, ich würde nicht Serbokroatisch erlernen.“

Davon wenig begeistert, musste sie sich erst die kyrillische Schrift aneignen, absolvierte über vier Jahre die medizinische Schule samt Matura – und ließ sich danach bei ihrer Tante in Wien nieder. Gleich 1991 folgte auch der Berufseinstieg mit dem jüdischen SeniorInnenheim in Döbling – heute findet sich das Maimonides-Zentrum auf dem IKG-Campus in Wien Leopoldstadt. Zwei Jahre später wechselte die Krankenpflegerin in die heutige Klinik Hietzing, um 13 Jahre lang in der Abteilung für Plastische Chirurgie zu arbeiten. Dass die Abteilung 2006 aus dem Pavillon acht in die Rudolfsstiftung in Wien-Landstraße übersiedelte, stellte Mijatovic vor eine extrem schwierige Entscheidung. Gewonnen hat die Klinik Hietzing.

Nachdem die plastische Chirurgie von der Klinik Hietzing abgesiedelt wurde, arbeitet Mijatovic nun in der Überwachungsabteilung der 2. Chirurgie.

Mit Leib und Seele in Hietzing

Ganze 27 Jahre ist die Krankenpflegerin nun schon mit dem Gelände und dem Krankenhaus verwurzelt. Ihre Arbeit in der Überwachungsstation bedeutet, die Gesundheitsfunktionen der Patien-
tInnen über verschiedene Monitore ständig zu beobachten. Die Überwachungsabteilung ist das Bindeglied zwischen Intensiv- und Krankenstation. Hier liegen Menschen, die nach ihrer Operation einen erhöhten Überwachungs- und Betreuungsaufwand benötigen, aber keine Intensivpflege, wie etwa künstliche Beatmung, erhalten müssen.

Für die Kommunikation mit ihren PatientInnen – sie werden unter anderem an der Bauchspeicheldrüse, Galle, Schilddrüse, bei verschiedenen Blutungen oder am Blinddarm behandelt – nimmt sich Miriam Mijatovic Zeit. „Reden ist sehr wichtig, es gibt ja viele Menschen, die in einem Spital Angst haben“, weiß die Krankenpflegerin. „Ich begrüße sie, stelle mich vor und erzähle Schritt für Schritt, was passiert.“ Und wenn es nur das Desinfizieren einer Wunde ist – Mijatovic erklärt, ob es brennen oder sich kalt anfühlen wird. „Es ist gut, wenn ich auch einmal zehn Minuten länger beim Patienten bleiben kann.“

 Reden ist sehr wichtig, es gibt ja viele Menschen, die in einem Spital Angst haben.

Miriam Mijatovic, Krankenpflegerin

Auf der Überwachungsstation werden fünf PatientInnen rund um die Uhr überwacht, zwei KrankenpflegerInnen teilen sich die Arbeit auf. Oft genug muss schnellstens reagiert werden, wenn der Blutdruck fällt oder sich Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz ändern. „Je mehr Übung ich hatte, desto ruhiger bin ich geworden“, erinnert sich Mijatovic. Ihren Job lebt sie tatsächlich, wie eingangs beschrieben, mit aller Leidenschaft: „Ich habe die Chirurgie immer geliebt, mitsamt den ganzen septischen Wunden und ihren Sekreten.“

Immer wieder geschehen „kleine Wunder“, wie es die Krankenpflegerin nennt. Dann, wenn PatientInnen auf die normale Station verlegt werden und Mijatovic sie nach fünf Tagen kaum wiedererkennt – so gut erholen sich manche von ihnen. Da es nicht immer so kommt, trifft die Wahlwienerin besonders, wenn junge Leute sterben. Wie gut sich die PflegerInnen auch mit ihren PatientInnen verstehen mögen: Freundschaften entstehen keine. „Professionelle Distanz ist wichtig. Zwischen den PatientInnen und mir gibt es kein Du, da halte ich immer einen Abstand“, erklärt Mijatovic.

Die Gebäude der Klinik Hietzing sollen mit neuem Leben erfüllt werden. Neue Abteilungen werden bald dorthin übersiedeln.

Vorteile eines öffentlichen Systems

International betrachtet, ist das österreichische Gesundheitssystem eines der besten und auch kostspieligsten. Alle Versicherten haben einen Rechtsanspruch auf solidarisch finanzierte Leistungen. Über 99 Prozent der Menschen, die in Österreich leben, fallen unter die staatliche Krankenversicherung. „Das System der Krankenbehandlung ist sehr gut ausgebaut“, weiß Florian Burger, Referent der Abteilung Sozialversicherung in der AK Wien. „Ich kann mit meiner E-Card zum Hausarzt gehen und unkompliziert Hilfe bekommen.“

Doch ein kleiner Teil der Bevölkerung fällt aus dem sicheren Rahmen – während der türkis-blauen Regierung ist ihre Zahl angestiegen. Die neue Krankenordnung der Österreichischen Gesundheitskasse regelt, wer die E-Card erhält und wer eben nicht, etwa AsylwerberInnen. Wie AK-Experte Burger erklärt, werden die künftigen E-Cards Fotodokumente sein – Vermutung: Wer mitten in einem Asylverfahren steht, soll jedoch nicht über ein österreichisches Dokument verfügen. Das widerspricht internationalen Abkommen: Diese sehen eine geregelte Gesundheitsversorgung für AsylwerberInnen vor. Gelten soll: Alle haben ein Recht auf medizinische Behandlung. Gemeinhin bietet eine staatliche Gesundheitsversorgung auch wesentlich mehr Sicherheit als ein privates System.

Die Schienen der stillgelegten Feldbahn stehen unter Denkmalschutz. Sie transportierte bis 2011 das Essen in die Stationen.

Keine Vorfinanzierung nötig

In Österreich etwa ist keine Vorfinanzierung notwendig. „Für Ärmere ist es wichtig, dass sie nicht zuerst einen Hunderter auf den Tisch legen müssen und dann die Kosten bei der Kasse einreichen können, um sie ersetzt zu bekommen“, macht Florian Burger deutlich. „Das öffentliche System bewährt sich insbesondere, wenn ich in einer lebensbedrohlichen Verfassung oder alt und nicht mehr arbeitsfähig bin.“ Anders als etwa in den USA sind die Kosten, die bei der Behandlung einer Krebserkrankung entstehen, nicht existenzbedrohend. Auch bei einem Arbeitsunfall gibt es dank der gesetzlichen Unfallversicherung Sicherheit. Die gilt auch, wenn es zu Konflikten mit der öffentlichen Versicherung kommt, wenn etwa über den Kostenersatz einer Behandlung gestritten wird. Im öffentlichen System gibt es kurze Entscheidungsfristen, und der Patient bzw. die Patientin genießt einen Rechtsschutz. „Das heißt: Wenn ich mit der Krankenkasse darüber streite, ob ich eine Arztbehandlung brauche oder nicht, dann wird mir vor Gericht der Gutachter bezahlt.“ Gäbe es nur private Versicherungen, dann müsste der Patient oder die Patientin über den Zivilrechtsweg Klage führen. Das würde langwierige und komplexe Verfahren verursachen.

Vieles im Gesundheitswesen könnte leichter synchronisiert werden, doch es scheitert bereits an den unterschiedlichen Software-Systemen der Bundesländer.

Freilich, auch eines der besten Gesundheitssysteme hat bisweilen Husten und Schlimmeres. Durchaus effizienter könnte es oft sein: Für das Blutbild aus dem Labor gibt es keinen standardisierten Aufbau; sprich: Jedes Institut reiht die Werte anders. „Eine einheitliche Regelung würde den Vergleich extrem erleichtern“, erklärt Burger. Vieles im Gesundheitswesen könnte leichter synchronisiert werden, doch es scheitert bereits an den unterschiedlichen Software-Systemen der Bundesländer. „Wenn ich von Salzburg nach Wien ziehe, ist es schwierig, die Patientenakte mitzunehmen“, weiß Burger. Im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist das kaum zu glauben.

Wenn ein Krankenhaus zum Organspender wird

An den Bundesländergrenzen, etwa zwischen dem Burgenland und Niederösterreich, haben zu viele Krankenhäuser den gleichen Schwerpunkt. „Würden die sich auf unterschiedliche Gebiete spezialisieren, hätte das große finanzielle Vorteile“, fasst es Florian Burger zusammen. Effizienz ist auch in Wien gefragt: Es wurden 500 MitarbeiterInnen der Klinik Hietzing ins vieldiskutierte Krankenhaus Nord abgesiedelt. Daneben gibt es eine Zusammenführung beider Standorte am Areal der Klinik Hietzing. Davon sind das Neurologische Zentrum Rosenhügel und das Krankenhaus Hietzing betroffen.

„Wir waren die größten Spender überhaupt“, verrät Michele Calabrese, und das nicht mit allzu viel Freude in der Stimme. „Wir, die Klinik Hietzing, haben einige Abteilungen und auch das meiste Personal gespendet“, macht der stellvertretende Vorsitzende der Personalvertretung klar. „Und diese gesamte Situation belastet natürlich die Belegschaft.“ Einige MitarbeiterInnen ließen sich in andere Abteilungen versetzen, manche kamen in privaten Spitälern unter. „Viele sind nach wenigen Monaten von den privaten Spitälern zurückgekehrt und sagten, es sei dort noch schlimmer.“ Dass der Gesundheitssektor eine riesige Baustelle ist, weiß Personalvertreter Calabrese nur zu gut. „Es gibt ein neues Gehaltsschema, neue Arbeitszeiten und meistens auch das Gefühl, dass es zu wenig Personal gibt. Zwar existieren einige freie Stellen, aber die BewerberInnen dafür fehlen.“

Die Ab- und Ansiedlungen am Gelände der Klinik Hietzing verlangen von Personalvertreter Michele Calabrese viel Engagement.

Michele Calabrese ist seit 2006 freigestellt, er vertritt rund 3.000 MitarbeiterInnen. „Ich weiß gar nicht mehr, wann ich eine 40-Stunden-Woche gehabt habe“, sagt der Wiener mit italienischen Wurzeln über den derzeitigen Stress und wirkt in der Tat ziemlich gehetzt. Unterstützung erhält Calabrese bei seiner Arbeit von der Gewerkschaft Younion: „Sie stehen mit ihren Ressourcen voll hinter mir, hören sich die Problematik an, erstellen Folder, helfen bei Aussendungen – wenn ich etwas brauche, bekomme ich es“, ist Calabrese voll des Lobes. Seine Arbeit als Personalvertreter macht ihm Freude, „sonst würde ich es nicht so lange tun. Es ist kräftezehrend, doch weil es immer wieder etwas anderes ist, bleibt es interessant“.

Für alle engagiert dabei

Woher Miriam Mijatovic ihren ganzen Elan nimmt – das ist eine Frage, die von der Krankenpflegerin eher überhört wird. Sie hat diese Kraft, und die muss wohl nicht seziert werden. Deshalb engagiert sie sich auch gleich noch in der Personalvertretung: „Mir ist wichtig, dass es den MitarbeiterInnen gut geht, Gerechtigkeit herrscht und alle auch Freude und Spaß bei der Arbeit haben können.“ Das Aufgabenspektrum der KrankenpflegerInnen hat sich erweitert, einerseits durch neue und bessere Behandlungsmethoden, andererseits sind die Dokumentationsaufgaben gewaltig gewachsen.

Dass sie die Schreibarbeit besonders liebt, behauptet Mijatovic nicht. Allerdings führt daran kein Weg vorbei, ist die Krankenpflegerin durch ihre langjährige Berufserfahrung überzeugt. Außer natürlich mehr Personal. Mit Kollegen Calabrese redet Mijatovic oft über den Dienstplan, der viel Improvisationsgeschick verlangt. „Er ist da, wenn man ihn braucht“, sagt sie über den Personalvertreter.

Noch in der Monarchie wurden die meisten Gebäude der Klinik Hietzing erbaut, an manchen nagt der Zahn der Zeit.

Stress, Druck, Ärger und Trauer im Beruf – Miriam Mijatovic nimmt diese Gefühle nicht aus der Klinik mit nach Hause. Zwar gibt es eigens dafür ausgebildete KollegInnen, die für Gespräche – ähnlich einer Supervision – zur Verfügung stehen, doch bislang hat die Krankenpflegerin keine Hilfe in Anspruch nehmen müssen. „Wenn ich nach Hause gehe, kann ich die Arbeit hinter mir lassen“, sagt Mijatovic. Ski fahren entspannt im Winter, wandern im Sommer – bevorzugt im steirischen Gesäuse, den Schladminger Tauern oder in Südtirol. Ideal, um Energie für ihren anstrengenden Beruf zu tanken.

Von
Sophia Fielhauer-Resei und Christian Resei

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/20.

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