Betriebsrat: Mehr Macht im Aufsichtsrat

Im Aufsichtsrat kann Irmgard Gettinger, Betriebsratsvorsitzende bei Boehringer Ingelheim, das große Ganze besser verstehen und Themen der Beschäftigten besser einbringen. | © Markus Zahradnik
In Österreich sind Aufsichtsräte zu einem Drittel mit Betriebsräten besetzt. Sie erhalten dort wertvolle Informationen, können eine gute Beziehung zur Unternehmensführung aufbauen und strategische Pläne des Unternehmens hinterfragen.

AAn ihre erste Aufsichtsratssitzung erinnert sich Irmgard Gettinger gut: „Ich habe damals, im Juni 2004, zum ersten Mal unsere Kapitalvertreter:innen kennengelernt.“ Sie war erst kurz Betriebsrätin bei der österreichischen Tochter des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim und nahm als Gast an der Sitzung teil. Ihre Vorgängerin stellte sie den Aufsichtsratsmitgliedern vor: „Es war meine erste und ihre letzte Aufsichtsratssitzung.“ Seither nimmt sie viermal im Jahr gemeinsam mit einem Kollegen aus dem Betriebsrat an den Aufsichtsratssitzungen teil und stellt dort der Geschäftsführung Fragen, die sie – unternehmerisch und aus Sicht der Belegschaft – als wichtig erachtet.

Betriebsrat im Aufsichtsrat

Im Arbeitsverfassungsgesetz ist verankert, dass ein Drittel der Aufsichtsräte aus dem Betriebsrat des Unternehmens kommen muss – und das gilt seit 1919. Heinz Leitsmüller, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft in der Arbeiterkammer Wien (AK), sagt zu dem von den Gewerkschaften erkämpften Recht: „Der Gesetzgeber hat früh erkannt, dass es wichtig ist, dass Arbeitnehmer-Vertreter:innen auch bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mitbestimmen können, weil die Gestaltung der Arbeit, wie etwa Arbeitsbedingungen, vorhandene Ressourcen oder Standortfragen, überwiegend davon abhängt, welche Strategie das Unternehmen einschlägt.“ Betriebsrat und Kapitalvertretung kontrollieren im Aufsichtsrat den Vorstand oder die Geschäftsführung. Das betrifft vor allem Aktiengesellschaften, aber auch bei anderen Rechtsformen kann es unter bestimmten Voraussetzungen einen Aufsichtsrat gebe

Portrait von Gerald Mjka, Betriebsratsvorsitzender im Krankenhaus Göttlicher Heiland im Interview über Betriebsräte im Aufsichtsrat.
„Die Geschäftsführung ist gegenüber dem Betriebsrat berichtspflichtig. Das verändert die Machtpositionen“, sagt Gerald Mjka, Betriebsratsvorsitzender im Krankenhaus Göttlicher Heiland. | © Markus Zahradnik

Vertrautheit und Verschwiegenheit

Irmgard Gettinger ist seit 20 Jahren Betriebsrätin bei Boehringer Ingelheim, übernahm wenig später auch den Vorsitz sowie das Aufsichtsratsmandat. Die wichtigsten Vorteile, die Betriebsräte im Aufsichtsrat haben, sind aus ihrer Sicht, die Hintergründe unternehmerischer Entscheidungen besser zu verstehen, und dadurch das große Ganze zu sehen sowie die Möglichkeit, auch im Aufsichtsrats-Setting Themen der Mitarbeiter:innen zu platzieren. Die Kombination von drei Funktionen – Betriebsratsvorsitzende in Österreich, Co-Vorsitzende im Europäischen Betriebsrat von Boehringer Ingelheim und Aufsichtsrätin – ermöglichte es ihr, ein respektvolles Miteinander mit der Unternehmenszentrale in Ingelheim aufzubauen. „Wenn man sich über so viele Jahre kennt und auch über vertrauliche Themen diskutiert, entsteht ein anderes Vertrauensverhältnis, als wenn man sich nur anlassbezogen zum Beispiel in einer Krise trifft.“ Vertraulich sind die Themen, weil der Aufsichtsrat einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt.

Auch Gerald Mjka, Betriebsratsvorsitzender im Krankenhaus Göttlicher Heiland, nimmt mit einem Kollegen aus dem Betriebsrat viermal jährlich an Aufsichtsratssitzungen teil. Je eine Woche vorher bekommen sie die Unterlagen, die sie vorab mit der Geschäftsführung besprechen, sofern die das möchte: „Wir versuchen, Erklärungen für das Zahlenwerk zu finden.“ Manchmal fragt Mjka in den Abteilungen nach, wie es zu den Zahlen kam. Weder Mjka, der Krankenpfleger ist, noch sein Kollege, ein Arzt, haben betriebswirtschaftlichen Hintergrund. Daher wenden sie sich vor allem für die Sitzung im Frühjahr, wo es um den Bericht des Wirtschaftsprüfers geht, an eine Betriebswirtin der Arbeiterkammer. „Da wir die Zahlen durch unsere Brille interpretieren, ist es gut, wenn jemand von außen draufschaut und sagt: Das kann ich mir erklären und das nicht.“

Berichtspflicht an den Aufsichtsrat

In seinen ersten Aufsichtsratssitzungen vor 13 Jahren hat Mjka nur zugehört. „Ich habe mir gedacht, die wissen alle viel mehr als ich.“ Als er erste Fragen stellte, wurde ihm erklärt, diese seien nicht relevant. Heute kennt er die informellen Regeln im Aufsichtsrat und wird geachtet. Das Besondere an der Position? „Es ist die einzige Funktion, wo man die Geschäftsführung kontrollieren kann und ihre Antworten in einem Protokoll dokumentiert werden.“ Mjka kann Zahlen und Daten einfordern: „Die Geschäftsführung ist gegenüber dem Aufsichtsrat, also auch gegenüber dem Betriebsrat berichtspflichtig. Das verändert die Machtpositionen.“

Auch wenn es im Aufsichtsrat nicht um Personalthemen geht, können Betriebsräte dort auf Entwicklungen in der Belegschaft hinweisen, von denen Geschäftsführung und Kapitalvertretung keine Kenntnis haben. Bei strategischen Entscheidungen wie geplanten Umstrukturierungen, Betriebsschließungen oder Investitionen ist die Mitbestimmung des Betriebsrats im Aufsichtsrat sinnvoll, sie können so etwa dort auf nötige Weiterbildungsmaßnahmen der Mitarbeiter:innen in Richtung Nachhaltigkeit hinweisen.

Betriebsrat im Aufsichtsrat: Involviert ins Betriebsgeschehen

Gerald Mjka ist auch noch Teil eines weiteren Aufsichtsrats, jenem der Österreichischen Beamtenversicherung (ÖBV). Dort sitzt er allerdings nicht in seiner Funktion als Betriebsrat, sondern als Kapitalvertreter, denn die Gewerkschaften vida und Öffentlicher Dienst sind Eigentümer der ÖBV – und Mjka ist deren Vertreter im Aufsichtsrat. Somit kennt er sowohl die Innensicht als Betriebsratsvertreter als auch die Außensicht als Kapitalvertreter. Die Aufgabe im ÖBV-Aufsichtsrat ist aus seiner Sicht viel schwieriger. Zum einen, weil ihm die Versicherungsthemen im Gegensatz zu den Gesundheitsthemen im Krankenhaus inhaltlich fremd sind. Zum anderen, weil er hier nicht ins Betriebsgeschehen involviert ist und sich nicht bei den Mitarbeiter:innen nach bestimmten Entwicklungen erkundigen kann. Er sagt dazu. „Als Arbeitnehmervertreter hat man im Aufsichtsrat automatisch ein Interesse an den tiefer liegenden Dingen vor Ort.“

Betriebsräte, die einen Aufsichtsratsposten annehmen, können sich mit Kursen am Institut für Aufsichtsrat-Mitbestimmung der Arbeiterkammer (IFAM) darauf vorbereiten bzw. dabei begleiten lassen. Irmgard Gettinger hat trotz ihres betriebswirtschaftlichen Studiums davon profitiert: „Ich konnte über die drei Kurs-Blöcke am IFAM ein sehr gutes Netzwerk zu anderen Betriebsrät:innen in Aufsichtsräten knüpfen.“ Mit einigen von ihnen ist sie noch heute, fast 20 Jahre später, in Verbindung. Bei Gerald Mjka war es anders. „Ich war Krankenpfleger auf der Intensivstation und bin relativ unerwartet Betriebsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied geworden. Damals waren die IFAM-Kurse sehr begehrt und es war schwer, einen Platz zu bekommen.“

Mjka absolvierte allerdings die Betriebsrät:innen-Akademie und die Sozialakademie – und ist schließlich in die Aufgabe als Aufsichtsrat hineingewachsen. Ein Vorteil: „Ich hatte einen Geschäftsführer, der einen sehr fairen Umgang hatte. Er hat mich sehr unterstützt und ich konnte ihm alle Fragen stellen.“ Zudem verweist Mjka auf die ausgezeichnete Betreuung durch die Arbeiterkammer, wo er stets Unterstützung bei betriebswirtschaftlichen Fragen bekommen hat und nach wie vor bekommt.

Europäische Besonderheit

Arbeitnehmervertreter:innen im Aufsichts- oder Verwaltungsrat sind Walter Gagawczuk, Arbeitsrechtsexperte der Bundesarbeiterkammer, nur in Europa bekannt – mit Unterschieden: „Während es in Staaten wie Polen, Irland oder Spanien nur in staatsnahen Unternehmen Mitbestimmung im Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat gibt, ist diese in anderen Ländern in großen Gesellschaften die Regel.“ Dazu gehören Österreich und Deutschland, wobei sich die Detailregelungen unterscheide

Gagawczuk sieht entscheidende Vorteile darin, dass Betriebsräte im Aufsichtsrats sitzen. So erhalten sie Informationen etwa verlässlicher und oft früher und vollständiger und können die Interessen der Belegschaft „in einem der wichtigsten Gremien des Unternehmens“ einbringen. Und: „Da die Geschäftsführung häufig ein Interesse hat, ihre Anliegen einstimmig durchzubringen, gibt es auch die Bereitschaft, den Vertreter:innen der Arbeitnehmer:innen entgegenzukommen.“ EU-Staaten wie Italien und Rumänien, wo es keine Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsrat gibt, entgehen diese Vorteile. Heinz Leitsmüller hat schon öfters beobachtet, dass es einigen Aktionären – insbesondere aus dem amerikanischen Raum – „seltsam“ vorkommt, dass in Österreich Betriebsrät:innen im Aufsichtsrat sitzen: „Außerhalb Europas ist das meist komplett fremd.“ Umso mehr gilt es, auch hierzulande dieses Recht zu verteidigen.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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