Langer Atem im Kampf gegen Bildungshürden

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Der durchschnittliche Bildungsstandard ist während der letzten Jahrzehnte zwar besser geworden, doch das bedeutet noch lange nicht, dass unser Bildungssystem auch gerecht ist. Brigitte Pellar wirft einen Blick zurück auf den langatmigen Kampf gegen Bildungshürden.

Die Öffnung des Hochschulsektors

Gegen die zweite bildungspolitische Innovation der Kreisky-Ära, die Abschaffung der Studiengebühren gab es ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre noch viel massiveren Widerstand als gegen die Schulbuchaktion. Er kam zudem zunächst auch aus den eigenen Reihen, als die ersten Studien zur Auswirkung des gebührenfreien Hochschulzugangs vorlagen und belegten, dass Wohlhabende und Angehörige der „Bildungsschicht“ ihre Kinder nach wie vor fast geschlossen an die Unis schickten, während dies in anderen Bevölkerungsgruppen, besonders in Arbeiter:innenfamilien nach zehn Jahren und selbst nach einem Vierteljahrhundert noch immer viel seltener der Fall war. Also, so wurde argumentiert, erhielten ohnehin privilegierte Gruppen zulasten der öffentlichen Einnahmen zusätzliche Vorteile.

Bildungspolitische Maßnahmen zeigen vielfach erst nach einem oder mehreren Jahrzehnten ihren Effekt, deshalb ist es heute selbstverständlich, ihre Auswirkungen so zu messen, dass die in einem so langen Zeitraum stattfindenden gesellschaftlichen Veränderungen nicht zu verzerrten Ergebnissen führen. In den 1990er Jahren zählten aber die AK-Expert:innen zu den ersten in Österreich, die angesichts der sich rasant verändernden Arbeitswelt auf die Notwendigkeit eines auch bei Langfristvergleichen haltbaren Blickwinkels verwiesen. Sie schlugen daher vor, nicht den Anteil von Studierenden an der jeweiligen Berufsgruppe, sondern den Anteil der Studienanfänger:innen nach Vätern mit unterschiedlichem gesellschaftlichen Status und Bildungsabschluss als Richtwerte zu nehmen. Wie die folgende Grafik zeigt, führte das zu einem deutlich anderen Ergebnis:

©Institut für historische Sozialforschung des ÖGB und der BAK/ Archiv.

Eine Informationskampagne vermittelte die Fakten an Bildungsverantwortliche und Politik und warb so für den weiteren Verzicht auf Studiengebühren wie hier in Nummer 4 der Zeitschrift „Bildungsinfo“ 1996.

©Institut für historische Sozialforschung des ÖGB und der BAK/ Archiv.

Eine 1999 veröffentlichte Studie der Universität Graz bestätigte die Position der Arbeitnehmer:innenvertretungen. Sie belegte, dass mittlerweile über 40 Prozent der Studierenden aus Familien stammten, die dem unteren Einkommensdrittel zuzurechnen waren. Die Warnung, unter diesen Bedingungen würde sich durch neuerliche Studiengebühren der für die Wirtschaftsentwicklung im beginnenden digitalen Zeitalter unverzichtbare Aufholprozess zur Ausweitung von Top-Qualifikationen zumindest verlangsamen, sollte sich bald bestätigen. Aber ein Jahrzehnt lang konnte die AK die Wiedereinführung von Studiengebühren verhindern, bis die ÖVP-FPÖ-Regierung ab 2000 den Sozialpartnermechanismus aufkündigte.

Aber ein Jahrzehnt lang konnte die AK die Wiedereinführung von Studiengebühren verhindern, bis die ÖVP-FPÖ-Regierung ab 2000 den Sozialpartnermechanismus aufkündigte.

Die Entwicklung ab 2001, als die ÖVP-FPÖ-Regierung diesen Schritt vollzog, schuf neuerlich soziale Barrieren, die halbherzige Rücknahme nach 2010 machte den angerichteten Schaden nur teilweise gut.

Bei der Einführung der Fachhochschulen 1995 konnten die AK-Verhandler:innen die verpflichtende Verankerung von Studiengebühren verhindern, allerdings bleibt es der Entscheidung der einzelnen FH überlassen, ob sie davon Gebrauch macht. Noch um 2010 verzichteten fast alle großen Fachhochschulen darauf, mittlerweile heben aber die meisten Beiträge ein. Trotzdem war das FH-Angebot ein Schritt zu mehr Chancengleichheit beim Zugang zum Hochschulstudium.

Dass aus den ursprünglich geplanten wenigen Lehrgängen mit Orientierung an der beruflichen Praxis eine vollwertige Hochschulausbildung mit erweiterten Zugangswegen unter staatlicher Verantwortung und mit Kontrollmöglichkeit des Parlaments entstand, dürfen sich AK und ÖGB mit vollem Recht auf ihre Fahnen schreiben. Der wichtigste Erfolg: Erstmals in der Geschichte des österreichischen Bildungswesens wurde eine anerkannte Hochschuleinrichtung geschaffen, die berufliche Qualifikation ausdrücklich als Zugangskriterium benennt, die Lehr- und Fachschulabsolvent:innen ohne Matura nach ein paar Berufsjahren mit drei Zusatzprüfungen ausdrücklich offensteht.

Schon der familiäre Hintergrund der Studierenden des ersten FH-Jahrgangs bewies, dass das neue Angebot tatsächlich einen Beitrag zum Abbau von Bildungsprivilegien leisten konnte.

©Institut für historische Sozialforschung des ÖGB und der BAK/ Archiv.

Nicht einmal zwei Jahrzehnte später sind FH-Studien ein selbstverständlicher Bestandteil der österreichischen Bildungslandschaft mit über einem Fünftel der Studierenden geworden und sie haben nicht wenig zum Abbau des extremen Bildungsprivilegs der „Eliten“ beigetragen.

Die ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingerichteten Fachhochschullehrgänge und Fachhochschulen haben nicht wenig zum Abbau des extremen Bildungsprivilegs der „Eliten“ beigetragen.

Als Erbe der Habsburgermonarchie und der selektiven Bildungspolitik der rechtskonservativen und dann faschistischen Regierungen in Österreich lag die Akademiker:innenquote, der Anteil an Hochschulabsolvent:innen in der Wohnbevölkerung zwischen 25 und 64 Jahren, damals bei äußerst beschämenden 2,8 Prozent. Bis 2000 konnte die Quote auf 14 Prozent gesteigert werden, bis 2011 dann auf 19 Prozent, was den Erfolg der Öffnungspolitik vor der ÖVP-FPÖ-Regierung sichtbar machte. Österreich zählte nach einer Recherche des Instituts für höhere Studien (IHS) trotzdem noch immer zu den Schlusslichtern innerhalb des Wirtschaftszusammenschlusses OECD, auch wenn man nicht mehr wie noch 20 Jahre zuvor die vorletzte Position einnahm.

Die Wiedererrichtung (nicht nur finanzieller) Zugangshürden bildete sich in der Statistik für 2019 deutlich ab, die Akademiker:innenquote war auf 16,5 Prozent gefallen. Dem Ziel der Trendumkehr und der neuerlichen Öffnung des Studienzugangs für junge Menschen aus weniger privilegierten Familien im aktuellen Regierungsprogramm scheint man allerdings bisher nicht nähergekommen zu sein, wie aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage Anfang Februar dieses Jahres hervorgeht. „Der Standard“ berichtete darüber zu Recht unter dem Titel: „Weg zur sozialen Gleichheit an Hochschulen ist noch weit“. Hinsichtlich des so wichtigen Ausbaus von berufsbegleitenden und berufsermöglichenden Studienangeboten an den Fachhochschulen sind auch die Länder gefordert, die den vereinbarten Anteil an zusätzlichen Plätzen nicht erreicht haben.

Eines scheint klar: Ohne Verzicht auf Studiengebühren bei allen überwiegend aus Steuermitteln finanzierten Angeboten wird das Regierungsziel, die „soziale Dimension in der Hochschulbildung“ zu verstärken, nicht erreichbar sein. Eine ebenso unabdingbare Voraussetzung ist die im bildungspolitischen Fachjargon als Durchlässigkeit bezeichnete Öffnung und Vernetzung von Bildungswegen im vorgelagerten Bereich. Nur dann macht auch die 2017 eingeführte Ausbildungspflicht bis 18 erst Sinn.

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Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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