Eskalation bei KV-Verhandlungen der Bahn: Sitzung abgebrochen

Ein Zug verlässt den Hauptbahnhof Wien. Symbolbild für die KV-Verhandlungen der Bahn.
Der Zug ist noch nicht abgefahren. Doch der ÖGB hat die Streikfreigabe schon erteilt. | © Adobestock/den-belitsky
Die Arbeitgeber:innen unterbrechen die Lohnrunde bei den Eisenbahner:innen. Aus ihrer Sicht sind die Forderungen der Gewerkschaft unrealistisch. Die wollen vor allem Menschen mit geringem Einkommen helfen.
Die KV-Verhandlungen der Eisenbahner:innen sind eskaliert. Die Arbeitgeber:innen haben den Verhandlungstisch verlassen. Sie glauben, ein großzügiges Angebot gemacht zu haben. Dabei übersehen sie, dass die Gewerkschaften vor allem Menschen mit geringem Einkommen helfen wollen. Sie sind es, die von der Teuerungskrise aktuell besonders betroffen sind. Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft Vida und stellvertretender Vorsitzender des Fachbereichs Eisenbahn, hatte diese Eskalation schon im Vorfeld befürchtet.

KV-Verhandlungen der Eisenbahner:innen

Die Arbeitgeber:innen verstehen die Welt nicht mehr. Aus ihrer Sicht ist das Angebot an die Gewerkschaften hervorragend. Plus 7,5 Prozent auf Löhne und Gehälter. Mindestens aber 200 Euro. Dazu kommt eine Einmalzahlung von 1.000 Euro, mehr Geld für die Lehrlinge und eine Erhöhung der Nebenbezüge um acht Prozent. Doch das Angebot hat ein gewaltiges Problem für Menschen mit geringem Einkommen. Die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) fasst ihr Angebot so zusammen: „Das ist durchschnittlich über alle Gehaltsklassen ein Plus von 8 Prozent, in den unteren Einkommen ergibt dies ein Gehalts-Plus von bis zu 12 Prozent.“

Eine Frau wartet auf den Zug. Symbolbild für KV-Verhandlungen der Bahn.
Kommt es zum Streik, könnten bald mehr Menschen auf ihre Züge warten. | © Adobestock/Ivan Zelenin

Steht die Forderung der Gewerkschaften daneben, wird das Problem deutlicher. Die vida möchte nämlich mindestens 400 Euro Gehaltserhöhung. Davon profitieren vor allem die Beschäftigten, die ein sehr geringes Einkommen haben. In der untersten Gehaltsklasse wäre das ein Gehaltssprung von 24 Prozent. Was üppig klingt, reicht in der Realität kaum zum Leben. Denn wenn ein Zuwachs von 400 Euro eine Gehaltssteigerung von 24 Prozent gleichkommt, dann liegt der Ausgangsverdienst unter 1.600 Euro. Eine Summe, die, angesichts der Inflation aufgrund explodierender Energiekosten, kaum zum Leben reicht. Zuletzt klagte bereits die Sicherheitsbranche über diese Summen.

KV-Verhandlungen: Hilfe für Menschen mit geringem Einkommen

Die Arbeitgeber:innen verweisen auf Einmalzahlungen. Ein Angebot, das nicht ganz schlüssig ist. Denn die Beschäftigten wollen keine. Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), hat Einmalzahlungen im Interview mit Arbeit&Wirtschaft längst eine Absage erteilt. „Wir bevorzugen hingegen Lösungen, die nachhaltig sind. Daher sind nachhaltige Lohnerhöhungen auch in der Kollektivvertragspolitik wichtiger als Einmalzahlungen.“

„Das waren de facto in keiner Runde Verhandlungen auf Augenhöhe, die Gewerkschaft hat den Boden der Realität komplett verlassen. Ein Plus von bis zu 24 Prozent auf die Gehälter und damit insgesamt mehr als 400 Mio. Euro ist für die Unternehmen unfinanzierbar und damit werden Arbeitsplätze gefährdet“, schimpft Thomas Scheiber. Er ist Chefverhandler und Obmann des Fachverbands (FV) der Schienenbahnen in der WKÖ. Doch das Problem sind nicht die 400 Euro. Das Problem ist, dass 400 Euro mehr eine Steigerung um 24 Prozent bedeuten würde. Weil das klarmacht, wie wenig viele Leistungsträger:innen unter den Eisenbahner:innen verdienen.

Neue Fachkräfte für die Bahn

Auch die Industrie selbst sollte das wissen. Wie viele andere Branchen auch, leidet dieser Wirtschaftszweig unter der Pensionierungswelle der Baby-Boomer-Generation. Nachrückende Beschäftigte erhalten deutlich schlechtere Verträge. Das führt zu einem drastischen Personalmangel. Denn es fehlt nicht nur an Beschäftigten, die Arbeit wird aufgrund der Verkehrswende und der steigenden Benzinpreise immer mehr. Diejenigen, deren Gehalt mit einem Plus von 400 Euro um 24 Prozent angehoben werden würde, arbeiten für rund 1.600 Euro an sieben Tagen in der Woche in einem Schichtbetrieb.

Schon vor den Verhandlungen erklärte Hebenstreit, dass man den Arbeitgeber:innen mit ihrer Forderung, den Mindestlohn zu erhöhen, vor den Kopf stoßen werde. So hätten die Arbeitgeber:innen damals schon erklärt, dass es ein No-Go sei, das Gehalt aller um die gleiche Summe anzuheben – von der Reinigungs- bis zur Führungskraft. Für die Gewerkschaften ist aber jede Arbeitskraft gleich viel wert.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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