Dass Gemeinden Schulden machen, ist nichts Neues und an sich wenig dramatisch. Doch seit einigen Jahren spitzt sich die Lage zu. Die Aufgaben werden mehr, die Kosten steigen, während die Kommunen immer weniger einnehmen. Hinzu kommt: Seit das komplette Ausmaß der Budgetmisere des Bundes bekannt ist, heißt es aus Wien: „Liebe Gemeinden, bitte sparen!“ Ortschef:innen von Bregenz bis Eisenstadt versuchen seither, ihre Ausgaben zu drosseln. Nur: Viel Spielraum haben sie dabei nicht.
Kommunale Handarbeit
Während eine Bundesregierung die Leitlinien vorgibt, erledigen Gemeinden die politische Handarbeit. Sie sind zuständig für Abwasser und Müll, ein lebendiges Vereinsleben, Bibliotheken, Freibäder, Essen auf Rädern und vieles mehr. Mit rund 30 Prozent der öffentlichen Investitionen sind Gemeinden zentrale Akteure der Infrastruktur- und Klimapolitik. Und sie sollen weiter investieren: in den Hochwasserschutz, den öffentlichen Verkehr, in Radwege und – nicht zuletzt, da die Regierung ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr plant – in die Kinderbetreuung. All das strapaziert die Gemeindefinanzen – vielen Gemeinden fehlt das Geld.

In ihrer jüngsten Prognose für Gemeindefinanzen vom Dezember 2024 rechnet das Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ) für 2025 damit, dass österreichweit fast die Hälfte der Gemeinden finanzielle Unterstützung brauchen wird, um den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten. Bereits heute stehen ihnen im Vergleich zu vorpandemischen Zeiten nur noch halb so viel Mittel für Investitionen zur Verfügung.
Auch im gut 9.000 Einwohner:innen zählenden St. Valentin im äußersten Westen Niederösterreichs werden die Auf- und Ausgaben nicht weniger. Ihr Anteil an der insgesamt 1,7 Millionen Euro teuren Revitalisierung des Erlabachs kostete die Gemeinde 34.000 Euro, der Um- und Zubau der Volksschule Langenhart wurde mit knapp vier Millionen Euro veranschlagt. Ein ursprünglich mit 12,6 Millionen Euro budgetiertes Gemeindezentrum, das „Valentinum“, kostete schlussendlich 17,5 Millionen Euro. Die Aufstockung der Kindergärten von 14 auf 20 Gruppen ist noch nicht genau bezifferbar, aber bereits der laufende Betrieb kostet mehrere Hunderttausend Euro im Jahr.

All das belastet das Gemeindebudget – und sorgt gleichzeitig für eine lebenswerte Stadt. Laut dem Gleichstellungsindex 2025 von Arbeiterkammer und Städtebund erreicht St. Valentin bei der Kinderbetreuung 80 und bei der Bildung 85 von 100 Punkten. Der österreichweite Durchschnitt liegt hier bei 58 bzw. 75 Punkten.
Schuld und Sanftmut
Karoline Mitterer ist Expertin für Finanzausgleich und Föderalismus im Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ). Sie erklärt: „Das aktuelle Problem bei den Gemeindefinanzen ist, dass mehrere Faktoren zusammenkommen und sich die Situation somit zuspitzt.“ Die erste Entwicklung betrifft die Haupteinnahmequelle der Gemeinden, den Finanzausgleich, also Transferzahlungen vom Bund an die Gemeinden. Durch die ökosoziale Steuerreform, das Abschaffen der kalten Progression, die Senkung der Körperschaftsteuer und eine seit über zwei Jahren andauernde Rezession nimmt der Bund weniger Geld ein – wodurch auch die Gemeinden weniger bekommen. „Der Bund hat diese Maßnahmen beschlossen, ohne sich eine Gegenfinanzierung zu überlegen und ohne das mit den Gemeinden abzustimmen“, kritisiert Mitterer.
Zweitens steigt die sogenannte Umlagenbelastung. Mittlerweile verbleiben nahezu 50 Prozent der Transferzahlungen vom Bund an die Gemeinden bei den Ländern, die diese zum Beispiel für Krankenanstalten und Pflegedienste einfordern, Tendenz steigend.
Und drittens steigen die Ausgaben in den Gemeindefinanzen, insbesondere im Bereich der Elementarpädagogik und der Ganztagsschulen, für Maßnahmen zum Klimaschutz bzw. zur Klimawandelanpassung sowie – inflationsbedingt – für das Personal.
Eigentlich haben die Gemeinden in den vergangenen Jahren gut gewirtschaftet, Wien nicht miteingerechnet konnten sie ihr Defizit von 994 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 954 Millionen Euro im Jahr darauf reduzieren. Salopp formuliert sind sie es, die die Suppe nun auslöffeln müssen – ohne mitreden zu können. Denn über Steuern, Umlagen, Finanzausgleich und Transfers entscheiden zum Großteil Bund und Länder.
Sparen oder investieren?
Der wesentliche Unterschied zwischen Bund und Gemeinden besteht darin, dass Letzteren die großen Hebel fehlen. Während die Regierung ihre Ausgaben durch die Streichung des Klimabonus auf einen Schlag um zwei Milliarden Euro reduzieren kann, sparen die Gemeinden „überall ein paar Tausender, die das Kraut am Ende dann doch fett machen“, wie Bürgermeisterin Suchan-Mayr es formuliert. Zukünftig könne eben nicht jedes Schlagloch repariert oder jede Bushaltestelle erneuert werden. Um Energie und Chemie und somit Kosten zu sparen, habe man unlängst im örtlichen Freibad die Technikanlagen erneuert. „Jede:r Gemeindemitarbeiter:in
sowie alle Gemeinde- und Stadträt:innen sind angehalten, möglichst sparsam mit unseren Mitteln umzugehen“, so Suchan-Mayr.
Eigentlich versuchen Regierungen in Zeiten der Rezession, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, indem sie antizyklisch wirtschaften, das heißt Geld ausgeben, investieren, Arbeitsplätze und Einkommen schaffen, den Konsum ankurbeln und wiederum mehr Steuern einnehmen. Die Idee ist, dass sich staatliche Ausgaben somit selbst refinanzieren. Da Gemeinden derzeit die Mittel für Investitionen fehlen, besteht die Gefahr, dass sie das Budgetdefizit nur noch verschärfen. „Letztlich sind die Gemeinden dazu angehalten, eine prozyklische Wirtschaftspolitik zu betreiben“, erklärt Verwaltungsexpertin Mitterer die Misere.

In St. Valentin kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Bis dato konnte sich Bürgermeisterin Suchan-Mayr auf die üppigen Kommunalsteuern verlassen. St. Valentin ist ein beliebter Industriestandort, viele Klein- und Mittelbetriebe, etwa der Maschinenbauer Engel, die Traktorenschmiede Case New Holland (ehemals Steyr Traktoren) und Magna Engineering produzieren hier. Seit einigen Jahren kriselt es im Automobilsektor, Engel baute bereits Anfang vergangenen Jahres 35 Stellen ab, zuvor schlitterte das Bauunternehmen CCI Service in die Insolvenz, 147 Beschäftigte verloren ihren Job. Der Bau eines Amazon-Werks scheiterte am Widerstand der Bevölkerung. Für St. Valentin bedeuten weniger Arbeitsplätze weniger Wirtschaftsleistung, ergo weniger Einnahmen.
Nahezu der gesamte Gemeinderat hofft daher auf weitere Betriebsansiedlungen. Helfen soll der Bau einer Umfahrungsstraße, den SPÖ, ÖVP und FPÖ seit Jahrzehnten vehement fordern – so vehement, dass die sonst so fahrradaffine Bürgermeisterin 2019 bei einer PR-Aktion Gebrauchtwagen an den Stadteinfahrten auf Kieshaufen kippen ließ.
Grüne Hoffnung St. Pölten
Weniger begeistert von der Idee einer Tangente ist Lothar Hasenleithner. Der einzige Gemeinderat der Grünen trägt kurze Hose mit bunten Socken, graues, lockiges Haar und hegt eine Faszination für Pink Floyd auf Vinyl, Fahrräder und Schachtelsätze. „Es wird gebaut, gebaut, gebaut“, ärgert er sich mit Blick auf seine Gemeinde, die laut einer Erhebung aus dem Jahr 2021 pro Einwohner:in fünfmal mehr Flächen versiegelt als im Österreich-Schnitt. Die Umfahrungsstraße wäre ein „ökologischer Supergau“, von dem hauptsächlich Unternehmen profitieren würden, und würde das Budget „ohne Zweifel sprengen“, kritisiert Hasenleithner.

Für ihn ist klar: Bei den Gemeindefinanzen muss gespart werden, aber nicht um jeden Preis. Er rät dringend davon ab, beim öffentlichen Verkehr, beim Ausbau der Radwege oder beim Naturschutz zu sparen. Zum Wohle von Natur und Budget sollte man auf die von SPÖ, ÖVP und FPÖ geforderte „Firmenzufahrt“ verzichten. „Das wäre ein Hebel, sich zumindest zum Sparen zu bekennen.“
Hasenleithners Hoffnung sitzt in St. Pölten: Solange die Landesregierung keine Mittel freigibt, bleibt in St. Valentin die Wiese grün. Und die Koalition aus ÖVP und FPÖ scheint derzeit wenig motiviert, der roten Bürgermeisterin unter die Arme zu greifen. Im Budgetvoranschlag 2025 der Gemeinde sind für die „Umfahrungsstraße“ null Euro dotiert. Eine vertrackte Situation. Die Gemeinden stehen unter Spardruck, doch bleiben ihnen wenig Möglichkeiten, mehr Einnahmen zu generieren und Ausgaben zu kürzen, die nicht am Wohlstand kratzen. Letztlich sei es eine „Frage der Prioritäten“, stellt Bürgermeisterin Suchan-Mayr klar. Bei Kindergärten will die gelernte Elementarpädagogin keinesfalls sparen. Hierfür nimmt sie gerne ein paar Einsparungen bei der Straßensanierung in Kauf. Stattdessen will sie mehr Geld von Land und Bund, für die Kinderbetreuung,
Bildung oder Investitionen in den Klimaschutz. Außerdem sieht sie die Notwendigkeit für Reformen im Gesundheitssystem und in der Verwaltung sowie für Maßnahmen zur Deregulierung.

Gemeindefinanzen am Limit
Karoline Mitterer vom KDZ spricht sich seit Längerem für eine „Entflechtung der Transfers bei Pflege, Sozialhilfe und Gesundheit“ aus. Soll heißen: Die Finanzierung der Sozial- und Gesundheitsleistungen soll vollständig in die Hände der Länder übergehen. Dies werde nur gelingen, wenn es gesamtstaatliche Lösungen zur Finanzierung des Pflege- und Krankenanstaltenbereichs gibt – ein dickes Brett.
Kurzfristig könnte der Bund eine Anhebung der Grundsteuer beschließen, die Länder könnten verstärkt Leerstands- und Zweitwohnsitzabgaben einführen, so Mitterer. Auch die Gemeinden selbst könnten sparen. Denkbar sei ein Ausbau der Kooperation zwischen Gemeinden, beispielsweise, indem diese bei Themen wie Kinderbetreuung oder Klimawandelanpassung auf „regionale Personalpools“ zurückgreifen oder sich mehrere Gemeinden eine Verwaltung teilen.
Zudem schlägt Mitterer einen kommunalen Klimainvestitionsfonds vor. Für die thermische Gebäudesanierung, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs sowie Investitionen in das Nahwärmenetz sollen Gemeinden jährlich 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. „Die von der EU und vom Bund vorgegebenen Klimaziele sind ambitioniert – und ohne die Gemeinden nicht zu erreichen“, so Mitterer.
Ob derlei Reformen kommen, bleibt abzuwarten. Unlängst kündigte die Regierung eine Reform des innerösterreichischen Stabilitätspakts, der die finanziellen Verpflichtungen von Bund, Ländern und Gemeinden regelt, an. Was das für die Gemeindefinanzen bedeutet, war aus dem Finanzministerium nicht zu erfahren. Man wolle den Verhandlungen nicht vorgreifen, heißt es auf A&W-Nachfrage. Ergebnisse soll es im Herbst geben. Bis dahin werden die Schulden in St. Valentin laut Voranschlag um weitere drei Millionen Euro steigen.