Klimapolitik: „Veränderung bedarf Zeit, Vision und Voraussicht“

Porträt Gernot Wagner. Er sprach mit der A&W unter anderem über Klimapolitik.
"Die Reichen passen sich an die neuen Gegebenheiten des Klimawandels an, die Armen leiden an den Konsequenzen. Klimapolitik versucht dem Einhalt zu gebieten", meint Klimaökonom Gernot Wagner. | © Jordan Graham

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  1. Seite 1 - Profiteur:innen und Verlierer:innen
  2. Seite 2 - Träge Politik
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Der österreichische Klimaökonom Gernot Wagner beschäftigt sich an der Columbia Business School mit den Folgen der Klimakatastrophe. Im Interview erklärt er seine Vision von sozialer Klimapolitik.
Die Klimakrise macht keine Pause: Ein Bericht des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus zeigt, dass Europa 2022 das zweitwärmste Jahr und den heißesten Sommer der Messgeschichte erlebte. „Der Bericht zeigt alarmierende Veränderungen unseres Klimas auf, einschließlich des heißesten jemals in Europa verzeichneten Sommers, der durch beispiellose Hitzewellen im Mittelmeer und rekordverdächtige Temperaturen in Grönland gekennzeichnet war“, sagte Carlo Buontempo, Direktor des Copernicus-Klimawandeldienstes. Der alarmierende Bericht zeigt klar: Es muss sich etwas ändern und dafür brauchte es die richtige Politik. Klimaökonom Gernot Wagner erklärt im Interview, wie diese für ihn aussieht.

Zur Person

Gernot Wagner ist Klimaökonom an der Columbia Business School. Er schreibt, forscht und lehrt zum Thema Klimapolitik.

Arbeit&Wirtschaft: Ist das, was wir jetzt erleben, der Beginn der größten Umverteilung aller Zeiten? Oder sind wir schon mittendrin?

Ungestoppter Klimawandel ist in vielerlei Hinsicht eine der größten Umverteilungen. Wie so oft bei vielen anderen sozialen Problemen, passen sich die Reichen an die neuen Gegebenheiten an, die Armen leiden an den Konsequenzen. Klimapolitik versucht dem Einhalt zu gebieten.

Wer werden die Profiteur:innen sein und wer die Verlierer:innen?

Also jetzt profitieren vor allem jene, die fossile Energie fördern. Jene, die von fossiler Energie abhängen, sind die Verlierer:innen. Bei der Energiewende gibt es natürlich ebenso Gewinner:innen und Verlierer:innen. Das hat man ja jetzt schon im letzten Jahr bei den enorm hohen Energiepreisen gesehen. Jene, die da schon ihre Wärmepumpe und Solaranlage hatten, auf Bahn und Rad umgestiegen sind, die waren von der fossilen Inflation großteils isoliert.

Was ist zu tun, damit nicht nur einige Wenige profitieren, sondern die Allgemeinheit?

Viel. Dass es bei der Wende auch Gewinner:innen gibt, ist klar. Auf Unternehmensseite werden das beispielsweise jene sein, die sich rasch umstellen können, und sich auf die neuen Klima- und politischen Gegebenheiten einstellen können.

Konzerne versuchen sich zum Beispiel weltweit Wasserquellen zu sichern und damit ihre Pfründen für die Zukunft.

Eine der perplexeren Situationen, dass Regierungen so etwas zulassen, ja.

Bei Ihrem Interview mit dem Standard 2021 haben Sie den CO₂-Preis in Österreich bei „Hunderte Euro“ angesetzt. Aktuell kostet eine Tonne CO₂ 32,5 Euro.

Also die Tonne CO₂ im Europäischen Emissionshandelssystem (EU-EHS) kostet mittlerweile tatsächlich um die 100 Euro. Das ist schon mal gut, wenngleich das EU-EHS „nur“ rund die Hälfte aller CO₂ Emissionen der EU abdeckt. Die österreichische CO₂-Steuer ist da noch um einiges niedriger, hat aber natürlich auch erst letztes Jahr begonnen. Schweden begann auch bei unter 30 Euro, im Jahr 1991. Jetzt sind sie bei rund 130 Euro. Der Schritt von null auf 30 ist um einiges schwieriger, als von 30 auf 130.

Sind CO₂-Zertifikate überhaupt noch zeitgemäß oder sinnvoll?

Emissionszertifikate, wie etwa durch das Europäische Emissionshandelssystem? Natürlich. Sie sind es schließlich, die eine jede Tonne CO₂ etwas kosten lassen.

Wie verteilungsgerecht sind diese Art von Zertifikaten?

Wer verursacht mehr an CO₂-Emissionen? Die Armen in der Gemeindewohnung und Bus-Ticket, oder jene Familien mit den zwei Häusern mit je zwei Autos? Natürlich verursachen im Schnitt die Reichen mehr CO₂-Emissionen, bezahlen also auch mehr für CO₂-Steuer und Emissionszertifikate.

Grüner Wald mit rotem Auto senkrecht von oben. Symbolbild für die Klimapolitik.
„Natürlich verursachen im Schnitt die Reichen mehr CO₂-Emissionen, bezahlen also auch mehr für CO₂-Steuer und Emissionszertifikate.“, so Gernot Wagner. | © Adobe Stock/Imagecreator

Gibt es nicht noch andere Methoden, die effektiver sein können?

Effektiv ist relativ. Die weltweit erste Klimapolitik war ein Verbot: King Edward I verbat das Verbrennen von Seekohle in seinem Reich. Die Strafe für Wiederholungstäter: Tod. Das war im Jahr 1307. Natürlich hielt dieses Verbot nicht, wie die industrielle Revolution eindrücklich gezeigt hat.

Am Ende bezahlt ja immer der:die Letztverbraucher:in die Rechnung oder die gestiegenen Kosten. Sollte das nicht geändert werden?

Am Ende gibt es auf der Welt genau drei Geldquellen: Letztverbraucher:in, Aktionär:innen, und Steuerzahler:innen. Natürlich geht’s darum, die richtige Balance zu finden. Es zahlt ja jetzt auch der:die Letztverbraucher:in für das Öl für den altertümlichen Heizkessel im Keller. Diese monatlichen Energiekosten gehen für den:die Letztverbraucher:in rasant nach unten, sobald mal eine Solaranlage am Dach und eine Wärmepumpe im Keller steht.

Und doch ist die Solaranlage am Dach und die Wärmepumpe im Keller nicht für jeden leist- und machbar. Prinzipiell müssen wir über die unterschiedlichen Lebenswelten sprechen. Die Emissionen eines Menschen, der im Speckgürtel von Ballungsräumen wohnt, sind doppelt so hoch wie jene eines Stadtbewohners. Sollten wir das Leben im Speckgürtel verbieten?

Nicht verbieten, aber es sollte jeder für seine eigenen Kosten aufkommen. Also etwa für die gesamten Kosten einer jeden Tonne CO₂, die das größere Haus und die längere Fahrt zurück in die Stadt verursachen.

2021 war Ihre Vision: weniger Straßen, mehr Öffis, und eine City-Maut. Was würden Sie heute an Ihrer Vision verändern? Oder bleibt sie gleich?

Das wäre schon mal ein guter Anfang, ja.

Die Energiepreise in den vergangenen Monaten waren, abgesehen von Treibstoffpreisen, so hoch wie noch nie. Und trotzdem waren die Einsparungen unerwartet niedrig. Woran liegt das?

An den Erwartungen, sowie natürlich auch den enormen Lock-in-Effekten. Europa sparte etwa 15 % an Gas ein. Das war teils Glück wegen des warmen Winters, aber natürlich war es auch der hohe Gas-Preis und die relativ billigeren Alternativen. Lock-in-Effekte sind natürlich auch wichtig. Es ist nun mal schwer, alles plötzlich über Nacht zu verändern. Veränderung bedarf Zeit, Vision, Voraussicht.

Als Forscher hat man es leicht – aber wie wäre es als Politiker … Was würden Sie als Politiker tun?

Stimmt. Als Forscher hat man’s leicht. Da zählt nur die Wahrheit. Ich hoffe nur stark, dass auch diese zumindest am Ende in der Politik am meisten zählt.

Danke für das Gespräch!

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