Digitalisierung: Keine Revolution ohne Beschäftigte

Drei von KI produzierte Katzen in Arbeitskleidung stehen vor Servern, die verschiedene digitale Anzeigen haben. Symbolbild für die vierte industrielle Revolution.
Gewappnet für die vierte industrielle Revolution: Beschäftigte brauchen das richtige Rüstzeug, um die vierte Revolution zu meistern. Die Gewerkschaften helfen dabei. | © Markus Zahradnik
Die vierte industrielle Revolution ist da: Mit einem immer höheren Grad an Digitalisierung macht sie die Produktion effizienter. Doch ohne Beschäftigte geht gar nichts. Und die müssen erstmal mit ins Boot geholt werden.
Da ist sie wieder, die industrielle Revolution. Es ist bereits die vierte, und wie immer stehen die Arbeitnehmer:innen im Mittelpunkt. Denn für sie sind derart große Umbrüche eine Möglichkeit, sich bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Diesmal gilt es, die Chancen der Vernetzung und der immer weiterführenden Digitalisierung zu nutzen – auch Industrie 4.0 oder vierte industrielle Revolution genannt. Der Produktionssektor ist auch diesmal, wie schon in den früheren Epochen bedeutender Umbrüche, ganz vorne mit dabei.

Alles begann mit der ersten industriellen Revolution im 18. Jahrhundert. Damalige Unternehmen hatten es, neben diversen mechanischen Erfindungen, der Dampfmaschine zu verdanken, dass sie immer weniger von menschlicher Arbeitskraft abhängig waren. Durch die Entstehung der Großindustrie konnten sich die Beschäftigten organisieren und erreichten eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Es folgten das Fließband und die zweite industrielle Revolution, in der die Gewerkschaften wieder Arbeitszeitverkürzungen und mehr Urlaub durchsetzen konnten. Computer und das Internet brachten die dritte industrielle Revolution. Auch hier erkämpften Gewerkschaften Verbesserungen der Arbeitsbedingungen.

Jenseits von Onlineshops & Co.

Bei der vierten industriellen Revolution geht es darum, die Digitalisierung weiterzudrehen. In erster Linie bedeutet das, dass Unternehmen verstärkt in Kommunikation und Vernetzung investieren: in die Vernetzung der Produktionsanlagen, den Datenaustausch entlang der Produktions- und Wertschöpfungskette, in Maschinensteuerung und das Internet der Dinge. Worum es nicht mehr geht, sind Videokonferenzen und Onlineshops. Über diesen Stand der Digitalisierung sollten Österreichs Produktionsbetriebe mittlerweile hinaus sein.

Und das sind sie durchaus, wie die Befragung „Kompass 4.0“ zeigt. Die Arbeiterkammer Wien (AK), die Gewerkschaft PRO-GE und die Fachhochschule Joanneum haben dabei zusammengearbeitet, um den Ist-Stand der digitalen Entwicklung in den produzierenden Betrieben in Österreich zu erfahren. „Wir haben einen guten Digitalisierungsgrad bei großen Betrieben. Im Bereich der KMUs gibt es aber noch Potenzial nach oben“, fasst Sabrina Sorko, Dozentin am Institut Industrial Management der FH Joanneum, die Ergebnisse zusammen.

Manche Unternehmen sind sehr weit digitalisiert, andere haben wenig bis gar nichts gemacht. Diese Entwicklung sei äußerst
problematisch, warnt Sabrina Sorko von der FH Joanneum. | © Markus Zahradnik

Grundsätzlich erreichen Österreichs Produktionsbetriebe einen Digitalisierungsgrad von 52 Prozent. Das ist ein guter Wert – zumindest im Mittel. Natürlich resultiert dieser Durchschnitt auch aus Extremen. Nicht nur zwischen kleinen und großen Betrieben gibt es enorme Unterschiede, auch zwischen den Branchen. Während die Elektroindustrie die Wertung anführt und auch Metall- und Chemiebetriebe gute Ergebnisse erzielen, gibt es beim Gewerbe und der Textilindustrie Nachholbedarf. „Eine problematische Entwicklung der vergangenen Jahre ist, dass die Schere zwischen Unternehmen immer weiter auseinandergeht – zwischen Unternehmen, die schon sehr weit sind, und denen, die noch wenig oder gar nichts gemacht haben“, mahnt Sorko.

Anschluss gesucht

Wie bei den drei industriellen Revolutionen zuvor, ist es auch jetzt wichtig, den Anschluss nicht zu verlieren. „Ich bin der Meinung, dass die Produktion in Österreich durch die Digitalisierung rentabel bleibt – durch verbesserte Abläufe, weniger Ausschuss, vorausschauende Wartung und bessere Analysen der Produktionsanlagen. Das senkt die Lohnstückkosten“, prognostiziert Kerstin Repolusk, die bei der Gewerkschaft PRO-GE für das Thema Digitalisierung zuständig ist.

Dass bei vielen Beschäftigten Skepsis vorherrscht, versteht sie. „Es gibt ein riesiges Vertrauensproblem in den Unternehmen. Viele Beschäftigte glauben der Unternehmensführung nicht, dass sie nicht kontrolliert werden, und dementsprechend agieren sie.“

Das Institut für empirische Sozialforschung (IFES) hat im Auftrag der AK bereits im Jahr 2022 die Umfrage „Die Digitalisierungs-Sorgen der Beschäftigten“ durchgeführt. 74 Prozent der Befragten gaben an, Angst vor mehr Überwachung zu haben. Etwa die Hälfte fürchtet sich vor zunehmenden Dokumentations- und Berichtspflichten. Auch bei der Befragung „Kompass 4.0“ kam heraus, dass es Anwendungen zur Arbeitszeiterfassung waren, die sich am schnellsten durchgesetzt haben.

Doch Ängste zu überwinden klappt nur, wenn das Unternehmen die Befürchtungen und Anforderungen der Mitarbeiter:innen im Digitalisierungsprozess ernst nimmt. Das sei derzeit aber noch nicht der Fall, konstatiert Sorko. „Die Einbindung der Belegschaft der unteren Hierarchieebenen ist sehr gering. Es findet kaum Kommunikation und schon gar keine Partizipation statt.“ Natürlich gibt es Ausnahmen. Hat ein Unternehmen einen Betriebsrat, funktioniere es besser, weiß Repolusk: „Je größer das Unternehmen ist, desto stärker ist der Betriebsrat eingebunden. Das ist logisch, weil er dann im Aufsichtsrat vertreten ist. Je mehr Informationen der Betriebsrat hat, desto gezielter kann er sich beteiligen. Was in Hinterzimmern besprochen wird, kriegt er nicht mit.“ Es gibt sie also, die großen und kleinen Hürden, die genommen werden müssen, damit die vierte industrielle Revolution gelingt. Dafür warten in der Zielgeraden dann bessere Arbeitsbedingungen. Versprochen.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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