Interview: Wichtige Maßnahme gegen Armut

Foto (C) Michael Mazohl
Der Sozial- und Wirtschaftswissenschafter Christoph Badelt wurde 1999 zum österreichischen Wissenschafter des Jahres gekürt. Von 2002 bis 2015 war der passionierte Radfahrer Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien. Seit 2016 leitet er das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO).

Inhalt

  1. Seite 1
  2. Seite 2
  3. Seite 3
  4. Seite 4
  5. Auf einer Seite lesen >
Für WIFO-Chef Christoph Badelt ist die Anpassung der Mindestlöhne eine sozialpolitische Notwendigkeit - und er sieht Bedarf für weitere Entlastungen.

Arbeit&Wirtschaft: Macht der Mindestlohn die Unternehmen arm oder schützt er die Beschäftigten in den Niedriglohn-Branchen vor Armut?

Christoph Badelt: Der Mindestlohn könnte manchen Unternehmen vielleicht Probleme bescheren, aber er macht sie sicher nicht pauschal arm. Was die Mindestlohn-Bezieher und -Bezieherinnen betrifft – es sind ja wesentlich mehr Frauen als Männer –, so kann man sagen, dass die geplante Anpassung des Mindestlohns sicher sehr nützlich ist. Allerdings muss man auch erwähnen, dass es Menschen gibt, die unter Mindestlohnniveau verdienen und von einem breit geregelten Mindestlohn trotzdem nicht profitieren würden. Dabei handelt es sich um die Neuen Selbstständigen, freie Dienstnehmer etc. Wobei ich mich überhaupt etwas gegen die Formulierung „Einführung des Mindestlohns“ wehre, denn eigentlich hatten wir den ohnehin schon immer – zumindest jene 95 Prozent der Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis kollektivvertraglich geregelt ist. Und ich sehe das auch definitiv als Vorteil, dass das branchenspezifisch abgestimmt wird.

Jetzt hat sich die Regierung implizit dazu verpflichtet, in allen Branchen 1.500 Euro brutto als Mindestlohn einzuführen. Derzeit verhandeln die Sozialpartner dazu, die Regierung wird sich der Sache dann annehmen, wenn sich die Sozialpartner bis Ende Juni nicht einigen können. Meiner Meinung nach wäre es von Nachteil, wenn hier keine Einigung möglich wäre und das Parlament das übernehmen müsste.

Sie nehmen an, dass es bei einigen Unternehmen Schwierigkeiten geben wird. Welche Bereiche wären besonders betroffen?

Ich gehe zunächst einmal davon aus, dass bei dem geplanten Brutto-Lohnniveau von 1.500 Euro die eventuell auftretenden Schwierigkeiten durchaus zu bewältigen sein werden. Dennoch gibt es vor allem in jenen Branchen, in denen das Thema Mindestlöhne besonders relevant ist, zum Beispiel bei den FriseurInnen, im Tourismus oder in Teilen des Handels, viele sehr kleine Betriebe. Eine Friseurin, die nur zwei oder drei Mitarbeiterinnen hat, wird sich unter den geänderten Umständen überlegen, ob sie noch jemanden anstellt. Aber bei größeren Unternehmen erwarten wir dadurch weniger Probleme.

Wie dringend beziehungsweise wichtig ist die Anpassung des Mindestlohns?

Ich glaube, dass das eine ganz wichtige Sache ist, denn das Problem der Working Poor wird immer größer. Dass Menschen trotz Vollzeittätigkeit armutsgefährdet sind: Dem sollte man entgegenwirken. Und zwar in einer Art und Weise, dass eventuelle Nachteile des Mindestlohns minimiert werden und die Vorteile sofort greifen.

Wo sehen Sie die wichtigsten Vorteile?

Wir vermeiden, dass immer mehr Menschen ins Armutsrisiko rutschen beziehungsweise noch tiefer in die Armutsgefährdung hineinkommen. Laut der EU-SILC-Erhebung aus dem Jahr 2014 verdienen in Österreich fast 17 Prozent der Frauen und knapp 7 Prozent der Männer unter dem angedachten Mindestlohn von 1.500 Euro. Das kann in der Praxis nur zu akuter Armutsgefährdung trotz Beschäftigung führen. Der Mindestlohn wäre also eine sinnvolle Maßnahme im Kampf gegen die Armut.

In einer WIFO-Umverteilungsstudie wurden auch die möglichen Auswirkungen eines Mindestlohns untersucht. Ein erstaunliches Ergebnis war, dass sich dadurch keine deutlichen Verbesserungen hinsichtlich Ungleichheit ergeben würden, also der Gini-Koeffizient sich nicht wesentlich verändern würde.

Nun ja, selbstverständlich ist Ungleichheit prinzipiell ein gesellschaftliches Problem. Das größere Problem ist allerdings, unter welchen Bedingungen die Menschen aus unteren Einkommensschichten leben. Der Gini-Koeffizient ist ein statistischer Wert, der für den einzelnen Menschen nicht relevant ist. Relevant ist, wie viel der oder die Einzelne verdient und was das Leben kostet. Tatsache ist, dass durch den Mindestlohn Beschäftigte, die wenig haben, dann etwas mehr hätten. Außerdem geht dieses Mehreinkommen in der Regel zu hundert Prozent direkt in die Wirtschaft, weil es rasch wieder ausgegeben wird. Idealerweise kaufen die Menschen dann auch österreichische Produkte …

Anhand unserer von Ihnen zitierten Umverteilungsstudie kann man gut zeigen, dass sich durch die Einführung des Mindestlohns die soziale Situation der Menschen, die so wenig verdienen, verbessert. Dieser Effekt ist ja auch ein ganz wichtiges sozialpolitisches Ziel.

Foto (C) Michael Mazohl

Inhalt

  1. Seite 1
  2. Seite 2
  3. Seite 3
  4. Seite 4
  5. Auf einer Seite lesen >

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.