Interview mit Amela Bousaki: Zwischen zwei Welten

Portrait von Amela Bousaki während des Interviews über Betriebsräte.
Amela Bousaki will mehr Diversität im Betriebsrat. Die Struktur der Beschäftigten müsse sich im Betriebsrat widerspiegeln. Das sei wichtig, damit sich alle Kolleg:innen zugehörig fühlen und besser vertreten werden. | © Markus Zahradnik
Amela Bousaki ist Betriebsratsvorsitzende mit Migrationsgeschichte. Im Interview erzählt sie vom Recht auf Partizipation aller Menschen in einem Unternehmen und über die „demokratischste Wahl“ Österreichs.

Migrant:innen sind in Betriebsräten deutlich unterrepräsentiert. Sie arbeiten auch öfter in Betrieben ohne Betriebsrat. Das zeigen erneut Daten aus der umfassenden Studie „Mitbestimmung in Österreich“, die AK Wien und ÖGB 2022 in Auftrag gegeben haben. Das ist ein Problem für die Mitbestimmung im Betrieb, aber auch außerhalb der Betriebstore. Im Interview mit Amela Bousaki erklärt die  Betriebsratsvorsitzende bei „Hilfe in Not“ der Caritas Wien, wie sich die Situation verbessern lassen könnte.

Amela Bousaki
ist Betriebsratsvorsitzende bei „Hilfe in Not“ der Caritas in Wien und kennt die Anliegen von Beschäftigten mit Migrationshintergrund wie ihre Westentasche. Sie selbst ist in Bosnien geboren und als Kind mit ihren Eltern nach Österreich geflohen. Ihre Fluchtgeschichte hat sie geprägt, aber auch ermutigt, sich für Menschen nicht-österreichischer Herkunft einzusetzen. Im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft erzählt sie, warum viele Migrant:innen nicht für den Betriebsrat kandidieren, aber warum es wichtig wäre – für alle Beschäftigten –, sie dafür zu motivieren.

Interview mit Amela Bousaki

Arbeit&Wirtschaft: Sowohl Frauen als auch Personen mit Migrationshintergrund sind in Betriebsräten deutlich unterrepräsentiert. Warum haben Sie beschlossen, als Betriebsrätin zu kandidieren?

Amela Bousaki: Ich benötigte einst die Unterstützung unseres Betriebsrats, und so habe ich ihn persönlich kennengelernt. Zwei Jahre später hat er mich gefragt, ob ich nicht zum Informationstreffen des Betriebsrats kommen möchte, da die Betriebsratswahlen im Jahr 2018 kurz bevorstanden. Ich bin zu dieser Veranstaltung hin, habe mir das angehört und danach für den Betriebsrat kandidiert. Letztlich bin ich sogar als aktives Mitglied in das Betriebsratsgremium gekommen.

Sie haben selbst eine Migrationsgeschichte. Spielte diese ebenfalls eine Rolle bei Ihrer Kandidatur?

Für mich persönlich war meine Migrationsgeschichte gar nicht so wichtig. Ich bin als Fünfjährige mit meinen Eltern aus der Stadt Brčko im Norden von Bosnien nach Österreich gekommen und war noch sehr jung, als ich hierherkam. Ich habe zwar Migrationshintergrund, aber ich war vom Kindergartenalter an in österreichischen Bildungseinrichtungen. Daher fühle ich mich als Österreicherin mit bosnischen Wurzeln. In mir schlagen beide Herzen.

Personen mit Migrationshintergrund der ersten Generation und jene, die vorwiegend BKS (Bosnisch-Kroatisch-Serbisch) oder Türkisch sprechen, weisen eine hohe Bereitschaft auf, für den Betriebsrat zu kandidieren. Das zeigt die Mitbestimmungsstudie. Gleichzeitig sind diese Personen in Betriebsräten deutlich unterrepräsentiert. Wieso ist das Ihrer Meinung nach so?

Wenn ich Kolleg:innen mit Migrationshintergrund ermuntern möchte, bei der Betriebsratswahl zu kandidieren, kommt oft die Frage „Muss ich da etwas schreiben?“, da manche eingeschränkte Deutschkenntnisse haben. Dahinter steckt die Angst, etwas vielleicht nicht zu verstehen. Das stellt eine Hürde dar, wenn man sich die Tätigkeit im Betriebsrat selbst nicht zutraut. Viele trauen sich nicht mal, bei uns aktiven Betriebsrät:innen nachzufragen, wenn sie arbeitsrechtliche Bedenken im Betrieb haben. Wir erfahren oft zufällig von Schwierigkeiten, und dann sind nicht selten bereits Fristen abgelaufen und wir können nichts mehr machen. Kolleg:innen sagen uns oft, dass sie sich nicht getraut haben zu fragen oder, dass sie nicht gewusst haben, dass es diese Möglichkeit gibt. Hier mangelt es an Informationen. Wir müssen als Betriebsrat daher direkt zu den Beschäftigten-Teams fahren und sie informieren. Speziell Kolleg:innen mit Migrationshintergrund müssen wir abholen und nachfragen, welche Bedürfnisse und Anliegen sie haben.

Porträt Amela Bousaki
„In mir schlagen beide Herzen.” | © Markus Zahradnik

Die Studie zeigt außerdem, dass Betriebsrät:innen mit Migrationshintergrund teilweise weniger über die Bandbreite der überbetrieblichen Interessenvertretung informiert sind. Wie erklären Sie sich das?

Das kann ich definitiv bestätigen. Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: die Frage des Herkunftslands sowie die der Bildung beispielsweise. Aufgrund der sprachlichen Barriere wird vieles nicht oder nur unzureichend verstanden. Daher wissen viele Arbeitnehmer:innen nicht, dass sie ein Recht auf Partizipation haben, dass die Möglichkeit auf Mitbestimmung besteht. Oft wird das mit dem Thema der Staatsbürgerschaft verbunden. Nach dem Motto: Ich habe die Staatsbürgerschaft nicht, daher darf ich nicht wählen. Aber es gibt sehr wohl Wahlmöglichkeiten ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Stichwort Arbeiterkammer-Wahl oder Betriebsratswahl. Die Menschen benötigen jedoch Informationen, damit sie darüber Bescheid wissen.

Ist das ein Kommunikationsproblem vonseiten der Unternehmensführung, oder braucht es auch von den Gewerkschaften mehr Initiativen in diese Richtung?

Beide sind gefragt! Gewerkschaften und Arbeiterkammer haben die Möglichkeiten, die breite Masse zu erreichen. In Betrieben mit Betriebsrat ist dieser gefordert, aufzuklären und zu informieren. Das Thema gehört weitaus mehr in die Öffentlichkeit getragen. Beispielsweise gehen die Gewerkschaften in die Schulen und informieren dort bereits Schüler:innen – das ist eine sehr gute Sache und sollte weiter ausgebaut werden.

Frauen und Migrant:innen mit formal niedriger Bildung engagieren sich seltener im Betriebsrat. Wie kann man die Mitbestimmung dieser Gruppen stärken?

Auch hier wieder: Information ist ganz wichtig. Unsere Aufgabe im Betriebsrat ist es, auf die Beschäftigten zuzugehen, sie zu ermuntern und zu fördern. Das trifft besonders auf Frauen und Personen mit Migrationshintergrund zu. Unterstützungsangebote in Form von Schulungen, Seminaren und Kursen müssten angeboten werden. Deshalb sollten im Vorhinein die Bedürfnisse abgefragt werden, was Mitarbeiter:innen brauchen. Außerdem ist es wichtig, die Attraktivität eines Engagements im Betriebsrat zu fördern und die individuellen Bedenken zu besprechen. Bei Frauen mit oder ohne Migrationshintergrund spielt häufig die Vereinbarkeit von Berufsleben und der Kinderbetreuung eine erhebliche Rolle. Dem muss entgegengewirkt werden.

Amela Bousaki über die demokratische Bedeutung von Betriebsräten

Wie kann Betriebsratsarbeit attraktiver werden?

Corona hat gezeigt, dass vieles möglich ist. Man kann vermehrt Hybrid-Betriebsratssitzungen anbieten. Jene mit Kinderbetreuungspflichten oder die aus anderen Gründen nicht vor Ort dabei sein können, sollen online teilnehmen können. Hier gilt es, die neuen technischen Möglichkeiten zu integrieren und zu nutzen. Auch die Mitarbeit in Arbeitsgruppen zu Schwerpunktthemen, die einen selbst interessieren, bieten eine Chance, das Engagement zu fördern.

Portrait von Amela Bousaki während des Interviews über Betriebsräte.
„Unsere Aufgabe im Betriebsrat ist es, auf die Beschäftigten zuzugehen, sie zu ermuntern und zu fördern. Das trifft besonders auf Frauen und Personen mit Migrationshintergrund zu“, sagt Amela Bousaki. | © Markus Zahradnik

Das Wissen über die Kernaufgaben der Gewerkschaften in Österreich ist nicht sehr hoch. Beinahe 70 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund, aber auch andere Gruppen, wie Junge unter 30 oder Arbeitnehmer:innen ohne Betriebsrat, sind nicht ausreichend darüber informiert, welche Aufgaben Gewerkschaften erfüllen. Was ist hier zu tun?

Bei Personen mit Migrationshintergrund wissen die meisten schon, was die Arbeiterkammer ist und was sie tut, aber sie wissen oft nichts oder wenig über die Gewerkschaften. Hier ist mehr Öffentlichkeitsarbeit gefragt. Die AK hat Informationsmaterial in vielen Sprachen, was gut ist. Ich glaube, bei den Gewerkschaften bedarf es einer stärkeren Durchmischung und mehr Community-Arbeit. Bewusst in Bezirke und Kulturvereine zu gehen, wäre ein Ansatz. Bei Social-Media-Kampagnen müssen spezifische Gruppen und die jeweiligen Sprachen ebenfalls mitbedacht werden. Hier könnte man bei Tik Tok und Instagram mehr Präsenz zeigen, um die jungen Leute besser zu erreichen.

Wir sprechen zwar viel von Chancengleichheit, sind allerdings noch weit davon entfernt. Es ist mir ein großes Anliegen, dass Vielfältigkeit repräsentiert wird.

Amela Bousaki

Arbeitnehmer:innen mit Migrationshintergrund machen sich mehr Sorgen, den Arbeitsplatz zu verlieren. Die Hälfte dieser Personengruppe ist von mindestens einer der instabilen Arbeitsbedingungen wie etwa Leiharbeit, Befristung oder auch von kurzfristiger Festlegung der Arbeitszeit betroffen. Bei Personen, die kein Deutsch im Alltag sprechen, sind es sogar zwei Drittel. Sind diese Sorgen auch ein Grund, weshalb Menschen mit Migrationshintergrund in Betriebsräten unterrepräsentiert sind?

Ich traue mich zu sagen, dass ein sehr großer Teil der Beschäftigten in der Leiharbeitsbranche nicht mal weiß, dass es einen Betriebsrat gibt. Viele haben andere Sorgen und Lasten und denken nicht an so etwas wie einen Betriebsrat. Ein großer Teil dieser Arbeitnehmer:innen wird ausgebeutet und kennt die Gesetzeslage nicht. Oftmals geht es um das nackte Überleben und viele sind auf ihre Arbeit angewiesen, da sie das verdiente Geld oft in ihre Herkunftsländer schicken müssen. Ganz generell haben Menschen mit Migrationshintergrund mehr Angst davor, ihre Arbeit zu verlieren, das ist schon richtig. Viele haben in den Unternehmen unterschwellige Diskriminierung erlebt und auch die fehlende Anerkennung von ausländischen Ausbildungen ist ein Grund für diese Angst. Ich kenne Kolleg:innen aus dem Pflegebereich, die diplomierte Krankenschwestern sind, in Österreich aber als Pfleger:innen arbeiten müssen, weil ihre Ausbildung hier nicht anerkannt wird. Hier muss die Politik reagieren. Eine Verkürzung bei der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft würde ich ebenfalls sehr begrüßen. Gewerkschaften und Arbeiterkammer sind gefordert, hier Druck auf die Politik aufzubauen.

Im Alltag kein Deutsch zu sprechen, wirkt sich natürlich auch in der Arbeitswelt aus. Isolation und Einsamkeit am Arbeitsplatz sind Folgen davon. Was braucht es, dass Betroffene aus der Isolation und Einsamkeit geholt werden?

Um diesen Situationen vorzubeugen, müssen die Arbeitgeber:innen stark mithelfen. Die Unterstützung mit Deutschkursen in und außerhalb des Betriebs kann eine Möglichkeit sein. Gruppen zu bilden, in denen Kolleg:innen mit derselben Muttersprache sind, und die die neuen oder betroffenen Kolleg:innen unterstützen, kann ebenfalls ein Ansatz sein. Es braucht nur den Willen der Betriebe, dann ist vieles möglich.

Spielen die Herkunftsländer eine Rolle, ob eine Person eher pro oder contra Betriebsrat eingestellt ist?

Ich war kürzlich bei einem Team in der mobilen Flüchtlingsbetreuung zu Besuch und habe bemerkt, dass Kolleg:innen aus Tunesien, der Ukraine, dem Iran, aus Afghanistan und Tschetschenien eher skeptisch gegenüber der Gewerkschaftsbewegung waren. Viele haben Erfahrungen in nicht-demokratischen Ländern gemacht und mussten der Gewerkschaft aus Zwang beitreten. Ein zentraler Punkt ist zu vermitteln, dass man in Österreich freiwillig Mitglied in einer Gewerkschaft werden kann, es aber keinen Zwang gibt. Daher möchte ich nicht nur Gewerkschaftsmitglieder anwerben, sondern sie auch für die Idee gewinnen.

Für Amela Bousaki sind die AK-Wahl und die Betriebsratswahlen die „demokratischsten Wahlen“ in Österreich. Denn hier spielt Staatsbürgerschaft keine Rolle. | © Markus Zahradnik

Was bringen diverse Betriebsratsteams den Beschäftigten?

Diversität und Durchmischung ist immer gut. Andere Hintergründe und Erfahrungen bringen andere Sichtweisen und Perspektiven mit sich. Das kann zu kreativeren Lösungen und innovativeren Ideen führen. Für mich persönlich ist die Diversität im Team immer besser als die Homogenität. Das Unternehmen soll widergespiegelt werden, daher sollen alle Gruppen vertreten sein. Diversität steigert das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter:innen. Für mich ist eine Durchmischung daher sehr positiv zu bewerten.

In Wien sind rund 500.000 Personen aufgrund nicht-österreichischer Staatszugehörigkeit von Bundes- und Landtagswahlen ausgeschlossen. Das betrifft mehr als ein Viertel aller Bewohner:innen der Stadt. Kommendes Jahr stehen österreichweit AK-Wahlen an. Hier spielt Staatszugehörigkeit keine Rolle. Alle Arbeitnerhmer:innen, unabhängig ihrer Staatsbürgerschaft, dürfen wählen. Welche Bedeutung hat die AK-Wahl für Demokratie?

Für mich ist die AK-Wahl definitiv die „demokratischste Wahl“ in Österreich und auch die Betriebsratswahlen sind es. Doch wie bereits angemerkt: Hier braucht es wieder Informationen, um allen Arbeitnehmer:innen klarzumachen, dass man nicht die österreichische Staatsbürgerschaft benötigt, um wählen zu dürfen. Das ist natürlich für uns als Betriebsrat eine wichtige Aufgabe.

Haben Sie Wünsche für die Zukunft hinsichtlich der Mitbestimmung von Personen mit Migrationshintergrund in den Betriebsräten oder der Arbeitswelt ganz allgemein?

Eine vielfältige Gesellschaft sollte in der Politik, in den Interessenvertretungen und in den öffentlichen Ämtern abgebildet sein. Das muss auch auf die Betriebe zutreffen – nicht nur in den Betriebsräten, sondern genauso in Leitungspositionen. Wir sprechen viel von Chancengleichheit, sind aber noch weit davon entfernt. Der Arbeitsalltag und die Realität sehen anders aus. Das ist mir ein großes Anliegen und ein großer Wunsch, dass diese Vielfältigkeit repräsentiert wird.

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Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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