„Leidtragende werden die Versicherten sein“ – Ingrid Reischl (WGKK) im Interview

Inhalt

  1. Seite 1 - Status quo der Wiener Gebietskrankenkasse
  2. Seite 2 - Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen
  3. Seite 3 - Sparen durch Leistungskürzungen?
  4. Seite 4 - Was wären die Alternativen?
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Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse, kritisiert die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen und des halben Hauptverbands, für die ihrer Ansicht nach viel zu wenig Zeit vorgesehen ist. Auf der Strecke würden die Versicherten bleiben, weil sich die Kassen jetzt mit sich selbst beschäftigen müssen. Und die neue Österreichische Gesundheitskasse werde ein Bürokratiemonster sein.

Foto von Ingrid Reischl in ihrem Büro
„Gesundheit ist das höchste Gut der Menschen und daher wird es nötig sein, mehr Geld ins Gesundheitssystem zu stecken. Wir sind außerdem mit den Sozialversicherungsbeiträgen sehr günstig. In Deutschland sind sie fast doppelt so hoch“, so Reischl. Foto (C) Matt Observe

 Gibt es schon spannende Technologien, in die bereits investiert wird?

Wir denken über Arztberatungen per Videotelefonie nach. In Deutschland und der Schweiz gibt es erste Versuche, die sehr gut angenommen werden. Wir werden diesen Weg auch gehen müssen und der ist auch kostenintensiv. Wir haben jetzt mit der Ärztekammer einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Bislang war es noch nicht einmal verrechenbar, wenn ein Arzt einen Befund übers Telefon erklärt hat. Heute mailen die Menschen aber ihren Arzt an und fragen nach ihrem Befund. Wir haben uns jetzt einmal angenähert, sodass Allgemeinärzte, Kinderärzte und Gynäkologen eine telefonische Beratung verrechnen können.

Wir denken über Arztberatungen per Videotelefonie nach. In Deutschland und der Schweiz gibt es erste Versuche, die sehr gut angenommen werden.

Aber sollten Kassenärzte nicht mehr verdienen? Schließlich werden immer mehr Ärztinnen und Ärzte zu Wahlärzten. Es wird immer schwieriger, gute Kassenärzte zu finden, die keine hohen Wartezeiten haben. Bzw. wo sind die Stellschrauben, um diese Entwicklung wieder umzukehren?

Was natürlich einen Schub bewirkt hat, ist das Ärztearbeitszeitgesetz. Durch die 48-Stunden-Regelung arbeiten viele Ärzte zwei Tage in der Woche im Spital und entscheiden sich, die restliche Zeit eine Wahlarzt-Praxis zu betreiben. Das erklärt auch, warum es viele Wahlärzte gibt. Aber rein objektiv gibt es zwar den Trend zum Wahlarzt, aber gemessen am Gesamtaufwand der ärztlichen Hilfe lag der Anteil der WahlärztInnen bei der WGKK im Vorjahr bei 2,88 Prozent, bezogen auf alle Krankenversicherungsträger bei 4,65 Prozent. Das ist mir persönlich zu viel, aber es ist nicht die große Summe. Tatsächlich waren Allgemeinärzte und Kinderärzte in Wien nicht unbedingt Großverdiener. Wir haben bei unserem letzten Vertragsabschluss eine jährliche Erhöhung um zehn Prozent festgelegt. Das war eine massive Erhöhung, durch die, so hoffe ich, wieder mehr Ärzte eine Kassenstelle annehmen.

 Ist Sparen im Sozialversicherungssystem überhaupt die beste Lösung? Oder sollte ganz woanders gespart werden und dem Gesundheitssystem mehr Geld zufließen?

Wir haben bislang in der Verwaltung hinter Japan das kostengünstigste Gesundheitssystem aller OECD-Länder mit einem vergleichbaren Gesundheitssystem. In der Verwaltung werden wir nicht mehr sparen können, und wir werden durch die Fusionen sicher teurer werden. Gesundheit ist das höchste Gut der Menschen und daher wird es nötig sein, mehr Geld ins Gesundheitssystem zu stecken. Wir sind außerdem mit den Sozialversicherungsbeiträgen sehr günstig. In Deutschland sind sie fast doppelt so hoch. Ich persönlich hätte nichts dagegen, die Krankenversicherungsbeiträge zu erhöhen: Ich kann mich nicht erinnern, wann wir die letzte Beitragserhöhung hatten. Es würde ja schon reichen, wenn man das Geld nicht entzieht so wie es die Regierung jetzt tut oder wenn man die Krankenversicherung von den sogenannten versicherungsfremden Leistungen befreien würde. Das heißt, mit einigen kleinen Maßnahmen könnte man sehr viel bewirken.

Wir haben bislang in der Verwaltung hinter Japan das kostengünstigste Gesundheitssystem aller OECD-Länder mit einem vergleichbaren Gesundheitssystem. In der Verwaltung werden wir nicht mehr sparen können, und wir werden durch die Fusionen sicher teurer werden.

Wie würde in Ihrer Vorstellung das ideale Sozialversicherungssystem aussehen, wenn Geld in Hülle und Fülle vorhanden wäre?

Für mich würde das heißen, dass wir stark in Telemedizin investieren, dass wir noch niederschwelliger werden beim Zugang, und dass die Menschen, die keine Telemedizin nutzen wollen, mehr Zuwendungsmedizin haben. Die Ärzte haben nicht die Zeit, die sich die Menschen wünschen. Mehr Zuwendung vom Arzt würde ihnen aber helfen. Wenn der Arzt sagt „Da gibt es Studien, ich gebe Ihnen hier das Medikament, das wird Ihnen helfen“, dann hilft es. Wenn der Arzt sagt „Probieren wir das aus“, dann hilft es nicht im gleichen Ausmaß. Man darf den Placeboeffekt nicht unterschätzen. Und ich würde in Zahnleistungen investieren, denn da sind wir nicht sehr fortschrittlich. Unser Zahnvertrag ist alt und ich würde mir die Versorgung mit Kronen und Implantaten auf Krankenkassenkosten wünschen.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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