Privatkrankenanstalten: Warnstreik in einem sensiblen Bereich

Streik der Beschäftigten der Ordensspitäler.
Der Warnstreik der Beschätigten der Ordensspitäler: "Manche, vor allem weiter oben, konnten vielleicht nicht mitmachen, signalisierten aber moralische Unterstützung." | © Helmut Fohringer/APA/picturedesk.com
Vor der sechsten und nunmehr gescheiterten Verhandlungsrunde traf sich Arbeit&Wirtschaft mit Gerald Mjka, Betriebsrat und stv. Vorsitzender der Gewerkschaft vida und Harald Steer, Verhandlungsleiter für die Gewerkschaft vida, zum Interview. Das Thema: Kann das Gesundheitspersonal überhaupt streiken? Wenn ja, wie? Einblicke in Streikvorbereitungen eines sensiblen Bereichs.
Am 14.Februar 2023 findet ein dreistündiger, österreichweiter Warnstreik in den Privatkrankenanstalten statt. Die 6. KV-Verhandlungsrunde war am 6. Februar gescheitert. Das Angebot der Arbeitgeber lag weiterhin nur bei einem monatlichen Mindesteinkommensplus in der Höhe von 175 Euro. Schon vor der 6. Verhandlungsrunde, in der rund 10.000 Beschäftigte vertreten werden, sprachen sich über 90 Prozent der Beschäftigten für Kampfmaßnahmen aus. Wann ein Streik notwendig ist, erklären Harald Steer und Gerald Mjka.

Arbeit & Wirtschaft: In Frankreich oder England wird gestreikt. Streikt man in Österreich zu wenig?

Harald Steer: Es ist einfach so, dass viele Arbeitgeber:innen in ihren Köpfen noch in den 80ern oder 90ern feststecken und denken: Sei froh, dass du eine Arbeit hast und frag nicht nach, nimm das, was wir geben wollen. Die Mitarbeiter:innen haben das aber satt. Mich fragen manche Kolleg:innen: Warum verhandelt ihr überhaupt mit diesen Betonköpfen?

Gerald Mjka: Die Anzahl der Streiktage sagt nichts über die Qualität der Interessensvertretung aus. Manche Dienstgeber haben die Sozialpartnerschaft gekündigt, ich würde sagen mit dem Slogan „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“. Wenn wir am Verhandlungstisch nichts mehr erreichen können, welche Möglichkeit gibt es dann noch? Wenn der andere nicht zuhört und auch mich zugeht, gibt es kein anderes Mittel mehr?

Porträt von Gerald Mjka in gelber vida-Warnweste. Er spricht in ein Mikrofon.
Gerald Mjka: „Kommunikation ist alles bei diesem Thema.“ | © APA/EVA MANHART
Herr Mjka, im Herbst haben 10.000 Mitarbeitende der Ordensspitäler einen Warnstreik abgehalten und man war erfolgreich damit. Wie hat die Belegschaft die Streikbereitschaft signalisiert, was hat die Gegenseite gemacht, damit man diesen Schritt gewagt hat?

Mjka: Kommunikation ist alles bei diesem Thema. Und entscheiden müssen es im Endeffekt die Beschäftigten. Die Gewerkschaft ist keine Dienstleistung und Streik keine Dienstleistung an den Mitarbeiter:innen. Sie müssen wissen, wofür sie streiken. In unserem Fall bei den Ordensspitälern war es so, dass das gepasst hat und gut somit funktionierte es. Auf Ängste einzugehen, die Kritiker mitzunehmen, das ist entscheidend. Es gibt ja auch den Tag nach dem Streik, die einen befürworten ihn, die anderen sind dagegen – hier dürfen keine Gräben entstehen. Man muss auch Verständnis für sie haben. Man muss sie nicht immer überzeugen, aber aufzeigen, dass es allen gut gehen soll. All das hat bei uns gut geklappt, auch über die Hierarchien hinweg. Manche, vor allem weiter oben, konnten vielleicht nicht mitmachen, signalisierten aber moralische Unterstützung. Sie hielten dann den Notbetrieb aufrecht.

Welche Bedenken gab es? Im Gesundheitsbereich ist mit Sicherheit auch viel Idealismus dabei.

Mjka: Es ist nicht leicht, weil es immer das Gefühl gibt, dass man die Patient:innen im Stich lässt. Mit diesem moralischen Gewissen spielen die Arbeitgeber:innen gerne. Man muss sich vorstellen, was notwendig ist, damit diese Gruppe streikt, dann weiß man, wie schlimm es eigentlich war und wie viele Grenzen überschritten wurden. Wenn ich mir darüber hinaus ansehe, was im Krankenhaus bezüglich Arbeitszeiten alles erlaubt ist, dann ist das der feuchte Traum jedes ausbeuterischen, neoliberalen Hoteliers in einem Skigebiet. Im Gesundheitsbereich arbeiten Menschen mit extrem hohem Verantwortungsbewusstsein, viel Idealismus und einer großen Neigung zur Selbstausbeutung.

Porträt von Harald Steer bei einer Pressekonferenz.
Harald Steer: „Einige Betriebsrät:innen berichteten von Druck.“ | © Helmut Fohringer/APA/picturedesk.comThomas Lehmann

Steer: Und davon haben die Betreiber:innen lange Jahre gut gelebt. Wir bereiten uns bezüglich Streik ja gerade vor und es ist die Ultima Ratio. Wir machen das nicht aus Spaß. Natürlich kommen die Kolleg:innen und fragen, was dann mit den Patient:innen passiert, wenn man sie drei Stunden nicht betreut. Aber es gibt ja auch Nacht- und Wochenendbetriebe. Zudem hatten wir letztes Jahr einen Austausch mit der Berliner Charité, einem der größten Krankenhäuser Europas. Dort wurde lange gestreikt und vorab ganz genau eingeteilt, was es an Minimalbesetzung braucht. Es gab eine Einteilung, wie viele Kolleg:innen es braucht, was sofort gemacht werden muss und was verschoben werden kann. Die hatten auch den Vorwurf, dass sie Menschen gefährden würden. Auch ist es so, dass der Arbeitgeber:innen den Behandlungsvertrag mit den Patient:innen hat, nicht ein:e einzelne Mitarbeiter:in. Die Betreuung muss vonseiten der Betreiber gewährleistet sein. Dabei ist Streik ein Menschenrecht. Es muss jedem ermöglicht werden, daran teilzunehmen. Betriebliche Mitbestimmung ist man bislang im Privatkrankenanstaltenbereich schlichtweg nicht gewöhnt und es gibt auch Drohungen, die Verantwortung auf die einzelnen Beschäftigten abzuschieben. Noch gibt es ja eine Verhandlungsrunde.

Welche Reaktionen gab es auf die Möglichkeit eines Streiks?

Steer: Unterschiedlich. Manche öffnen ihre Türen, andere meinten, wir sollten möglichst unauffällig streiken. Einige Betriebsrät:innen berichteten von Druck, dass es illegal wäre und man ja Verantwortung hätte, wir geklagt werden wegen Haftung oder Schadensersatz. Ich bin jetzt einmal gespannt. Ich bin auch kein Fan von einem Streik – umgekehrt hatte ich die Ehre, bei den Ordensspitälern zu unterstützen und Streikleitung zu sein. Diese Selbstermächtigung, dass man selbst – nicht die Betriebsrät:innen, die Gewerkschaft oder die Ärztekammer – etwas tun kann, hat mich beeindruckt. Darüber hinaus bekommen auch die Interessensvertretungen mehr Legitimität, weil man gemeinsam eine Maßnahme setzt. Und ich möchte auch noch dran erinnern, dass die Ordensspitäler viel akutere Krankenanstalten haben als die Privatkrankenanstalten. Es ist aber keine Mutter und kein Kind auf einer Intensivstation zu Schaden gekommen.

Mjka: Man hat versucht, uns zu spalten und das ist sehr gefährlich. Die Vorwürfe sind immer die gleichen, es geht gegen die „Quelle“. Da wird diffamiert. Und weiters wird gesagt: „Bei uns ist eh alles gut, haltet uns da raus. Wir haben im Haus doch eine gute Gesprächsbasis.“ Das ist eine Strategie und es natürlich in Ordnung, dass sich die bestreikte Seite auch wehrt. Wir als Gewerkschaft müssen es aber wissen und unsere Leute vorbereiten, dass sie solche Spiele durchschauen.

Es wurde nur geklatscht, in der Pflege fehlt Personal, warum sehen die Arbeitgebervertreter nicht, dass sie mehr bieten müssen? Nicht jeder ist Oberarzt und schwebt durch die Gänge.

Steer: Auch die schweben nicht mehr wie früher. Sie müssen mehr Tätigkeiten übernehmen und dokumentieren. Auch sie werden ganz schön mit Arbeit beschäftigt und sie müssen viel Leistung bringen. Dieser – mögliche – Streik wird auch von den Ärzt:innen angetrieben. Alle müssen immer mehr leisten und es gibt nicht mehr Geld. Die Arbeitgeber sehen diese Themen schon auch, aber reden sich darauf aus, dass wir doch mit den Landeshauptleuten verhandeln sollen.

Mjka: Ich denke auch, dass sie es sehen. Aber man soll es für’s Team oder die Patient:innen tun, weil „es geht ja um Menschenleben“ – ich erachte es aber als unfair, diese Verantwortung weiterzugeben, vonseiten der Dienstgeber UND der Politik.

Die Lösung für den Personalmangel scheint aus Arbeitgebersicht zu sein, Menschen aus dem Globalen Süden anzuwerben.

Steer: Das sind neokoloniale Zugänge, meiner Meinung nach. So einfach ist das. Das ist einfach grauslich.

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