Interview: „Die Flexibilität braucht auch Sicherheit“

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Der Wiener Arbeits- und Sozialrechtler Martin Risak warnt vor fehlender Sicherheit bei atypischen Arbeitsverhältnissen und plädiert für einen Zusammenschluss der Betroffenen.

Seit wann haben atypische Arbeitsverhältnisse in Österreich zugenommen und mit welchen makroökonomischen Faktoren ist das verbunden?

Diese Entwicklung erfolgte in Phasen. Wenn wir uns die Teilzeitbeschäftigung anschauen, hat sie zwei typische Ursachen: Die erste war ein verstärktes Kommen von Frauen auf den Arbeitsmarkt und das Fehlen von ausreichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Dadurch hatten viele Frauen nur die Teilzeitbeschäftigung als Möglichkeit, zum Familieneinkommen bei-zutragen. Die zweite Ursache war, dass es immer schwieriger wurde, von einem Gehalt die ganze Familie finanziell zu erhalten. Als Resultat hatten wir zwar mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt, aber sie sind immer noch überproportional teilzeitbeschäftigt. In späteren Phasen wurden immer mehr befristete Verträge angeboten, weil es den Arbeitgebern wichtig war, Flexibilität zu gewinnen. Um die Flexibilität geht es auch bei modernen Formen der atypischen Arbeitsverhältnisse wie dem Crowdworking.

Was bedeutet hier konkret die Flexibilität?

Im Großen und Ganzen wollen die Arbeitgeber nur dann zahlen, wenn die Arbeit verrichtet ist. Es geht schlicht und einfach darum, unproduktive Arbeitszeiten so stark wie nur möglich zu reduzieren.

Welche Rolle spielten die Globalisierung und das Internet?

Sie haben einen ordentlichen Druck auf die Arbeitsmärkte ausgeübt, insbesondere was Arbeitskosten betrifft. Dies nutzten insbesondere die Arbeitgeber, die in diesem Zusammenhang immer Wettbewerbsfähigkeit und steigende Lohnnebenkosten als Argumente vorbrachten. Um wieder auf die Frage der Flexibilität zurückzukommen: Für den Arbeitgeber ist besonders schlimm, für die Zeit zu zahlen, in der die ArbeitnehmerInnen nicht arbeiten. Jede Form von Flexibilisierung versucht also die Präsenz der Arbeitskraft mit dem Arbeitsbedarf zu koppeln. So funktionieren bereits aktuelle flexible Arbeitszeitmodelle: Der Zeitausgleich erfolgt 1:1 über möglichst kurze Zeiträume und ohne Überstunden. Kurz gesagt: Arbeitgeber haben einen geradezu unstillbaren Hunger nach Flexibilität, und das bedeutet, Arbeitskosten werden gesenkt, weil ich ArbeitnehmerInnen nur dann bezahle, wenn ich sie wirklich brauche.

Foto (C) Michael Mazohl
„Wir müssen definieren, was wir in
Österreich entwickeln wollen: eine Start-up-, eine Selbstständigen- oder eine GründerInnenkultur.“

Vor welche Herausforderungen stellen diese Umstände das österreichische Arbeitsrecht?

Das Arbeitsrecht ist zur Zeit der Industrialisierung entstanden, in der die Arbeit vorwiegend männlich, ortsgebunden und von gleicher Identität geprägt war. Heutzutage sehen sich Leute unterschiedlich: Wir haben keine einheitliche ArbeiterInnenkultur mehr. In dieser Situation ist das Arbeitsrecht auch schwierig zu gestalten. Der heutige Diskurs verläuft zum Beispiel auch auf der Linie: Das Arbeitsrecht verbietet Menschen zu arbeiten, wann sie wollen. Oder: Es nimmt ihnen jeglichen unternehmerischen Geist weg.

Wir sollen also ArbeitnehmerInnen Freiheiten geben, damit sie sich angeblich entfalten können. Hatten wir früher eine klar ausgesprochene Forderung nach der Beschränkung der Arbeitszeit, ist der gesellschaftliche Diskurs heute eher darauf ausgerichtet, jede freie Minute entsprechend zu verwerten.

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