Aus dem Kontext gerissen
In Wirklichkeit zeigt das Aufreger-Video den AfD-Politiker Jens Maier, der nie EU-Parlamentarier war und bis 2021 im Deutschen Bundestag saß. Er ist bekannt für seine Vorliebe für Schnupftabak, wie im Originalvideo der ARD erkennbar ist. Die Aufnahme wurde völlig aus dem Kontext gerissen und bewusst inszeniert. Das ist die Art von Desinformation, gegen die das Team rund um Sara Ahnborg aus der Generaldirektion Kommunikation und Sprecherdienst im EU-Parlament arbeitet. Aber was lässt sich dagegen tun?
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— European Parliament (@europarl.europa.eu) 2. April 2025 um 17:00
Desinformation erkennen: Eine schwierige Aufgabe
Prinzipiell nicht viel. Niemand weiß vorher, zu welchen Themen und mit welchen Clips die Trolle als Nächstes angreifen. Ein großer Teil der Diskussionen und Sitzungen des Europäischen Parlaments ist online frei zugänglich. Tausende Stunden Material lassen sich gezielt nach einzelnen Sätzen oder Bildern durchforsten. Die Angreifer:innen benutzen die Videos, um zu zeigen: Die EU-Politik besteht aus Clowns, die unsere Probleme nicht ernstnehmen. Oder sie behaupten das Gegenteil: Die denken genau wie wir und wollen dasselbe. Sara Ahnborg erklärt: „Die Hauptnarrative sind, dass die Elite gegen das Volk arbeitet, dass unsere Souveränität oder Werte bedroht sind, ein Kollaps bevorsteht oder dass es denen egal ist, was wir brauchen oder wollen.“
Russland und China als Hauptakteure der hybriden Kriegsführung
Die Angriffe zielen darauf ab, die Demokratie zu zersetzen. Das ist eine moderne Art der hybriden Kriegsführung. „Die meisten Angriffe kommen aus Russland und China. Russland kennt sich sehr gut mit Desinformation aus, besonders wenn es um die Verbreitung von Texten, Bildern oder Videos geht. China hingegen ist ökonomisch stärker und besitzt mehr notwendige Infrastruktur wie die Plattform TikTok“, so Ahnborg. Telegram ist beispielsweise eine russische Plattform, TikTok ist chinesisch. Die akute Antwort auf die Angriffe seitens des EU-Parlaments sei meistens nur, klarzustellen, dass die Videos gefälscht sind. Langfristig setze man auf Aufklärung: bei der Grundbildung, der Meinung über die EU und den Narrativen, die in den Köpfen der Bürger:innen verankert sind.
Die meisten Angriffe kommen aus Russland und China. Russland kennt sich sehr gut mit Desinformation aus, Pensionsausgaben gedämpft. besonders wenn es um die Verbreitung von Texten, Bildern oder Videos geht.
Sara Ahnborg, Europäisches Parlament
Gerüchte vor Wahlen
Zwischen 50 und 60 Personen im Europäischen Auswärtigen Dienst beobachten die unterschiedlichen EU-Regionen sowie die dort kursierenden Inhalte und Videos. Das ist je nach Land und Social-Media-Algorithmus sehr unterschiedlich. „In Italien und Slowenien gab es vor der Wahl zum Beispiel das Gerücht, die Wahlen würden manipuliert werden – etwa mit Stiften, deren Tinte wieder verschwindet, sodass die Wahl ungültig ist“, erzählt die Expertin.
Taucht Desinformation auf, gilt es abzuwägen, ob sich die Sprecher:innen des Parlaments überhaupt dazu äußern. Dafür muss geprüft werden, wie viele Menschen die Falschinformation gesehen haben. Sara Ahnborg: „Es besteht das Risiko, dass man durch ein offizielles Statement noch mehr Aufmerksamkeit auf die Geschichte lenkt.“
Internationale Zusammenarbeit und Aufklärung
Proaktiv arbeiten kann das Team kaum. Stattdessen kooperiert es mit den Verteidigungs- und Innenministerien, und die einzelnen Länder sind eng miteinander vernetzt. So werden andere Staaten rechtzeitig gewarnt, wenn ähnliche Falschmeldungen wie in Italien oder Slowenien auch in anderen Mitgliedstaaten auftauchen könnten.
Auch andere Abteilungen wie der auswärtige Dienst und der Ausschuss zur Einflussnahme aus dem Ausland des EU-Parlaments kämpfen gegen Desinformation. Zudem wird aktiv mit Influencer:innen und jungen Menschen gearbeitet, und es gibt Aufklärung an Schulen. Ziel ist es, dass Jugendliche Social-Media-Videos kritisch hinterfragen. Doch nicht nur junge Menschen teilen unreflektiert Informtion. Eine der größten Herausforderungen sei die Zielgruppe der über 55-Jährigen, so die Expertin. Hier fehle es intensiv an Medienkompetenz und es sei schwerer diese mit Schulungsmöglichkeiten zu erreichen. „Wir arbeiten gezielt mit Gemeinderätenetzwerken zusammen, an denen ungefähr 1.000 Gemeinden beteiligt sind“, so Ahnborg.