Coverstory: Weniger ist mehr

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Flexibilisierung liegt im Trend. Einige Betriebe wollen der Belegschaft mehr Zeitsouveränität verschaffen. Einzelne setzen bereits auf Arbeitszeitverkürzung. Udo Seelhofer und Sandra Knopp haben sich angesehen, wie die funktionieren kann.

Weniger Arbeit, mehr Menschen

Durch die Umstellung vom 4- auf das 5-Schicht-Modell wurde die Arbeitszeit um zehn Prozent reduziert. Die Länge der Schichten hat sich nicht verändert, nur die Verteilung ist jetzt anders. Jede/r MitarbeiterIn hat pro Woche nur noch zwei Früh-, Mittags und Nachtschichten und danach vier freie Tage zur Verfügung. Da das Werk dennoch rund um die Uhr produzieren muss, wurden zehn Prozent mehr neue MitarbeiterInnen eingestellt, damals waren es 250.

Das Modell wurde angenommen und auch auf andere Bereiche ausgedehnt. Karl Kastenhofer war damals Betriebsrat und ist nun Behindertenbeauftragter im Unternehmen. Er erzählt: „Dem Management ging es im Prozess um Kostenneutralität. Das konnten wir dokumentieren. Die verringerte Belastung ging mit einer Reduktion der Krankenstände einher. Die Fehlerquote sank, es gab weniger Ausfälle bei der Produktion.“ Die Motivation im Schichtteam war durch erhöhte Teilhabe am sozialen Leben einfach größer. Die voestalpine nahm beim AMS das „Solidaritätsprämienmodell“ in Anspruch. Die Hälfte des Lohnverlusts wird für die Dauer von zwei Jahren abgedeckt, sofern beim AMS vorgemerkte Arbeitslose eingestellt werden. So ganz ohne Lohnverlust ging es aber nicht. „Bei der zehnprozentigen Arbeitszeitreduktion blieb ein Minus von 3,5 Prozent des Bruttolohns“, so Kastenhofer. Das neue Arbeitszeitmodell wurde evaluiert. „Kein Mensch wollte mehr zurück zum alten Modell.“

Gewinne gerechter verteilen

In rund 66.000 Produktionsbetrieben leisteten unselbstständig Beschäftigte von Jänner bis April 2017 rund 480 Millionen Arbeitsstunden. Die im gesamten produzierenden Bereich auf dem Markt abgesetzten Güter und Dienstleistungen beliefen sich laut Statistik Austria auf 86 Milliarden Euro – ein Plus von 10,6 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. Michael Soder von der WU kritisiert, dass Produktivitätsgewinne oft nicht bei ArbeitnehmerInnen ankommen, sondern in Richtung Arbeitgeber und Investoren gehen. „Denn die Lohnquote ist nach wie vor rückläufig.“ Geringere Krankenstände und mehr Motivation durch Arbeitszeitverkürzung sind ein Asset für das Unternehmen. Die MitarbeiterInnen haben zwar mehr Freizeit, aber oft niedrigere Löhne. Dazu kommt, dass gerade in der Produktion der Rationalisierungsdruck hoch ist. Ein Schichtarbeitsplatz weniger bedeutet oft, dass fünf bis sechs MitarbeiterInnen eingespart werden könnten. Zentral ist, dass jede Mehrarbeit – egal, unter welchem Titel sie läuft – als Überstunden abzugelten ist, betont Borealis-Betriebsratsvorsitzender Kempinger.

Im Juli 2017 sank die Arbeitslosigkeit zwar um 2,7 Prozent, dennoch waren 370.386 Menschen auf Jobsuche oder in Schulung. Der Soziologe Jörg Flecker von der Universität Wien betont, dass eine Arbeitszeitverkürzung kurzfristig neue Jobs schafft – auch durch einen Rückgang bei der Mehrarbeit. Allein im Jahr 2014 wurden in Österreich 269 Millionen Überstunden geleistet, so eine Studie des Instituts FORBA und der Universität Wien. „In einigen Branchen könnten 10.000 bis 20.000 neue Jobs durch Überstundenabbau geschaffen werden“, betont Flecker. In der Studie zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede: Männer mit Kindern machen viele Überstunden, Frauen arbeiten oft Teilzeit und haben wenige Überstunden. Diese werden zudem seltener ausbezahlt als bei Männern. Weiters problematisch: Nur Überstunden bringen NiedrigverdienerInnen über die Armutsgrenze. Daher fordern BefürworterInnen der Arbeitszeitverkürzung vollen Lohnausgleich. Jörg Flecker spricht sich seit Langem für eine 30-Stunden-Woche aus. Denn die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden bleibt laut Statistik Austria seit Jahren mit 6,9 Milliarden stabil. Die Teilzeitquote in Österreich lag im Jahresschnitt 2016 bei 28,7 Prozent, Tendenz steigend. 47,7 Prozent der Frauen arbeiteten Teilzeit. Das Einkommen ist geringer, die Pension ebenfalls. Eine kürzere Vollzeit für Frauen und Männer könnte dem laut Flecker entgegenwirken. Bislang ist die 30-Stunden-Woche aber selten. Als Pionier gilt der steirische Eisteeproduzent Makava, der vor fünf Jahren umstellte, und das bei gleich hohen Gehältern.

Foto (C) voestalpine AG, Quelle: voestalpine.com
voestalpine: Auch der Stahlbetrieb ­reduzierte im Schichtbetrieb die Arbeitszeit um zehn Prozent. Der Bruttolohn war um 3,5 Prozent geringer, zurück zum
alten Modell will aber keiner. Die Krankenstände sanken, ebenso Ausfälle in der Produktion.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Sandra Knopp ist freie Journalistin für verschiedene Radio und Printmedien, und hat die Themen Arbeitsmarkt, Soziales und Gesellschaftspolitik als Schwerpunkte. Udo Seelhofer war früher Lehrer und arbeitet seit 2012 als freier Journalist. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, soziale Themen und Religion. Im Team wurden sie beim Journalismuspreis „Von unten“ 2017 für ihre Arbeit&Wirtschaft Reportage „Im Schatten der Armut“ ausgezeichnet.

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