Wie die Regierung 10,5 Milliarden Euro Steuern liegenlässt

Oliver Picek, chefökonom vom Momentum Institut, im Portrait für ein Interview über die Budgetrede.
Oliver Picek sieht in der Krise einige Fehler in der Steuerpolitik der Regierung. Die werden sich auch in der Budgetrede zeigen. | © Markus Zahradnik
Die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der österreichischen Fiskalpolitik – Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts, rechnet nach, auf wie viel Steuergeld der Finanzminister trotz Teuerungskrise bereit ist zu verzichten.
Die Budgetrede steht an. In Zeiten multipler Krisen blickt die Republik mit besonderer Spannung darauf. Denn es droht eine Stagflation in Österreich. Das bedeutet, dass die Inflation hoch bleibt, gleichzeitig aber das Wirtschaftswachstum stagniert. Schon jetzt müssen die Bürger:innen einen Reallohnverlust abfedern. Doch das Budget gerät an seine Grenzen. Einerseits, weil es eine Steuerlücke von rund 15 Milliarden Euro gibt, andererseits, weil die Regierung dringend notwendige Steuerreformen unterlässt. Arbeit&Wirtschaft sprach mit Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts, über die Lage.

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) hält am 12. Oktober 2022 seine erste Budgetrede. Nach zweieinhalb Jahren Pandemie muss Österreich jetzt eine Energiekrise und Turboinflation schultern. Wie ist Ihre Einschätzung der Lage im Land?

Wir haben das Problem, dass wir jetzt viel mehr für Strom und Gas bezahlen müssen. Vor allem für Gas, das wir aus dem Ausland kaufen, zahlen wir mittlerweile das Fünffache. Das sind Milliardenbeträge, und dadurch wird Österreich ärmer. Wir spüren das konkret in Form der Teuerung. Viele Menschen leiden darunter und können ihren Lebensstandard nicht aufrechterhalten. Wir müssen deshalb vor allem die Teuerung dämpfen.

Oliver Picek, chefökonom vom Momentum Institut, im Portrait für ein Interview über die Budgetrede.
Oliver Picek sieht in der Krise einige Fehler in der Steuerpolitik der Regierung. Die werden sich auch in der Budgetrede zeigen. | © Markus Zahradnik
Den Lebensstandard senken heißt nichts anderes als weniger konsumieren. Der deutsche Ökonom Sebastian Dullien warnt vor einem makroökonomischen Schock. Droht auch Österreich ein Konjunktureinbruch?

Ja, es wird erwartet, dass Europa, Deutschland und auch Österreich in eine Rezession kommen. Wie schwer sie ausfällt, ist eine andere Frage. Die Teuerung wird jedenfalls auch 2023 hoch bleiben. Womit wir in einer sogenannten Stagflation landen – Inflation und Wirtschaftseinbruch gleichzeitig.

Bekommen wir jetzt alle paar Monate einen staatlichen 500-Euro-Bonus zur Abfederung der Inflation?

Damit rechne ich nicht. Es wird vielleicht Ausgleichszahlungen für Sozialhilfebezieher:innen geben, aber dass wir noch einmal diese Milliardenbeträge für Einmalzahlungen haben, damit rechne ich nicht. Es wäre auch besser, gezielter denen zu helfen, bei denen die Teuerung besonders einschlägt. Etwa mittels einer Preisbremse gegen teure Gasrechnungen, so wie in Deutschland.

Kann sich das reiche Österreich das nicht leisten?

Der Staat verzichtet in Österreich auf sehr viele Einnahmen. Es gibt keine vernünftige Übergewinnsteuer auf die aktuellen Rekordgewinne der Energieerzeuger. Da verzichtet man zumindest auf einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag – grob geschätzt drei bis fünf Milliarden –, den man in dieser angespannten Lage in Form von Sozialleistungen ausbezahlen könnte. Ab 2023 wird zudem die Körperschaftsteuer von 25 auf 24 Prozent gesenkt, und ab 2024 auf 23 Prozent. Das kostet rund 500 Millionen im kommenden Jahr und ab 2024 Richtung eine Milliarde jährlich.

Es kommt einiges zusammen …

Erschwerend hinzu kommt, dass man seit Jahrzehnten in Österreich darauf verzichtet, Vermögende an den Steuerbeiträgen ausreichend zu beteiligen. Es gibt seit 1993 keine Vermögenssteuer und seit 2008 keine Erbschaftssteuer. Auch die Grundsteuer ist in Österreich sehr niedrig. Wir haben uns das einmal ausgerechnet: Zirka fünf Milliarden Euro im Jahr fehlen aus vermögensbezogenen Steuern.

Ich ziehe mal kurz Bilanz, auf welche Einnahmen der Finanzminister 2023 verzichtet: Auf drei bis fünf Milliarden Euro aus der Übergewinnsteuer, auf 500 Millionen durch Senkung der Körperschaftssteuer und auf potenzielle fünf Milliarden aus vermögensbezogenen Steuern.

Ja. Normalerweise schaut man in einer kriegsbedingt angespannten wirtschaftlichen Situation, dass man bei Menschen und Unternehmen mit hohem Einkommen möglichst viel abschöpft. Doch wir machen in Österreich genau das Gegenteil, denn ein Teil der Bundesregierung will keine Übergewinnsteuer. Außerdem senkt sie die Gewinnsteuer. Dazu kommt noch die Abschaffung der kalten Progression. Wir senken also die Steuern für jene, die es sich leisten können, und federn die Folgen des Krieges bei vielen mit geringem Einkommen zu wenig ab. Das ist ein Problem im Budget 2023.

Wie problematisch sehen Sie eine höhere Neuverschuldung?

Ein Jahr lang mehr Budgetdefizit zu machen, das bringt die Republik nicht in Schwierigkeiten. Aber es sollte schon gelten, dass man Transfers wie die Einmalzahlungen gegen die Teuerung, die Strompreisbremse und die Energiezuschüsse für die Unternehmen auch mit Mehreinnahmen hinterlegt. Das findet aber nicht statt, solange man nicht einmal eine Übergewinnsteuer hat. Und das halte ich für ein Problem.

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