Volle Kraft voraus! Der vormalige Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) war sich im Wahlkampf im Herbst noch sicher, dass Österreichs Budgetdefizit 2024 unter 3 Prozent liegen würde. Wirtschaftsforscher:innen warnten da schon lange davor, die Situation zu unterschätzen. Heuer wurde nach und nach das Ausmaß der Budgetmisere klar, die Alarmglocken schrillten: 4,7 Prozent Defizit, ohne Sanierungsmaßnahmen ein Anstieg auf 5,8 Prozent für das Jahr 2025. Österreich als Titanic, unterwegs Richtung Eisberg. Ist Österreichs Budget noch zu retten? Höchste Zeit, bei einer der renommiertesten Budgetexpert:innen des Landes nachzufragen, wie es so weit kommen konnte.
Arbeit&Wirtschaft: Frau Schratzenstaller, wie sind wir in dieses Schlamassel geraten?
Margit Schratzenstaller: Auf der einen Seite ist die geopolitische Lage sehr unsicher. Das belastet die globale Wirtschaftsentwicklung – und damit natürlich auch Österreich. Dann gibt es aber auch Faktoren, für die die heimische Politik Verantwortung trägt. Auf die Krisen wurde mit umfangreichen Unterstützungspaketen reagiert. Das ist grundsätzlich richtig, um soziale und wirtschaftliche Härten abzufedern, allerdings waren viele dieser Maßnahmen wenig zielgerichtet. Es gab eine Art Gießkannenprinzip, und das war teuer.
Ein häufiger Kritikpunkt an der ehemaligen schwarz-grünen Regierung ist, dass vieles nicht gegenfinanziert war. Ist das nicht fahrlässig?
Es wurden tatsächlich viele Maßnahmen gesetzt, ohne für die entsprechende Gegenfinanzierung zu sorgen. Gerade nach der Pandemie hätte man aus den Erfahrungen lernen können: Unterstützungsmaßnahmen sollten zielgerichteter sein, man hätte sich überlegen müssen, wie man das in künftigen Krisen besser steuern kann. Diese Lehren wurden aber nicht gezogen.
Wurden Expert:innen wie Sie nicht genug gehört?
Man muss akzeptieren, dass Politik eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. Als Wirtschaftsforscherin kann ich nur aufklären: öffentlich, mit Zahlen, Daten, Fakten – und natürlich in direkten Beratungsgesprächen. Aber der wichtigste Hebel ist oft der Weg über die Öffentlichkeit: Eine informierte Bevölkerung kann politischen Druck erzeugen – zum Beispiel bei Wahlen. Wir müssen nun auf zwei Dinge schauen:
erstens, das Budget tatsächlich wieder ins Gleichgewicht zu bringen – auch, weil das die Voraussetzung für das zweite Ziel ist, nämlich dringend notwendige Investitionen in Zukunftsbereiche zu tätigen. Wenn wir uns „nur“ auf die Konsolidierung konzentrieren und Schulden abbauen, wird das langfristig nicht funktionieren – im Gegenteil: Das würde das Wachstum und die Konjunktur schwächen.
Ich glaube nicht an sogenannte
‚Big Bang‘-Reformen. Aber ich denke,
wir sollten die derzeitige Situation und den
Lüge und hemmungslosen
steigenden Reformdruck nutzen.
Margit Schratzenstaller, Ökonomin am Institut für Wirtschaftsforschung
Es gab ja viel Kritik an nun angekündigten Kürzungen, nicht zuletzt bei der Klimapolitik. Finanzminister Markus Marterbauer hat sinngemäß gesagt, die müssten jetzt sein. Wie sehen Sie das?
In den vergangenen Jahren sind die Klimaförderungen stark gewachsen, auch um die Klimaziele zu erreichen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um zu überprüfen: Sind diese Förderungen effektiv und effizient? Jetzt müssen zwei Dinge folgen: Erstens braucht es neue Regulierungen, um die Klimaziele trotz gekürzter Förderungen zu erreichen. Denn einfach nur kürzen und die Ziele verfehlen wäre weder klug noch günstig – das würde langfristig teuer, etwa durch Strafzahlungen oder teurere Klimafolgenanpassungen. Zweitens müssen auch klimaschädliche Subventionen angegangen werden.
Wie realistisch ist es, dass die Dreierkoalition große Brocken angehen und umsetzen kann?
Die Herausforderungen sind so gewaltig, dass ich denke: Wann, wenn nicht jetzt? Man kann sagen, die Unterschiede zwischen den drei Parteien sind so groß, dass nur ein Minimalkompromiss herauskommen kann. Oder man sieht gerade in diesen unterschiedlichen Perspektiven eine Chance – nämlich, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Ich finde, in den ersten Wochen Regierungsarbeit gibt es durchaus Anzeichen, dass diese Vielfalt auch produktiv genutzt werden kann. Ich hoffe, dass noch mehr in diese Richtung kommt.
Was wäre bei einer blau-schwarzen Koalition budgetär anders gewesen?
Da gäbe es einige Unterschiede: Bei Blau-Schwarz wäre ein größerer Teil der Maßnahmen auf der Ausgabenseite gelegen. Die zusätzlichen „Offensivmaßnahmen“ der jetzigen Regierung – also Maßnahmen, um etwa gezielt zu investieren – waren bei Blau-Schwarz nicht vorgesehen.

Sie sagen, dass die Mischung aus einnahmen- und ausgabenseitigen Maßnahmen im neuen Budget gut ist. Aber bräuchte Österreich nicht stärkere Maßnahmen auf der Einnahmenseite – Stichwort vermögensbezogene Steuern?
In den nächsten Jahren wird es wohl so sein, dass die Einnahmenseite etwa ein Drittel zur Budgetkonsolidierung beiträgt und die Ausgabenseite zwei Drittel. Ich bin aber der Meinung, bevor man die Einnahmen noch weiter erhöht – zumal die Abgabenquote in Österreich ohnehin schon hoch ist –, sollte man zuerst strukturell bei den Ausgaben ansetzen.
Aber geht es nicht auch darum, vor allem Wohlhabende mehr in die Pflicht zu nehmen?
Absolut. Deshalb finde ich es richtig, dass es auch einnahmenseitige Maßnahmen gibt, die Sektoren betreffen, die in den vergangenen Jahren hohe Gewinne gemacht haben. Was ich mir darüber hinaus im Rahmen einer aufkommensneutralen Abgabenstrukturreform wünschen würde, wären mehr vermögensbezogene Steuern. Da denke ich an eine reformierte Grundsteuer und auch an die Wiedereinführung der Erbschaftsteuer. In Österreich wird Arbeit zu stark und Vermögen zu gering besteuert.
Österreich hat einen gut funktionierenden Sozialstaat – international gilt er oft als Vorbild. Der braucht natürlich ausreichend finanzielle Mittel.
Österreich hat eine sehr hohe Abgabenquote – aktuell rund 45 Prozent. Auch die staatliche Einnahmenquote liegt bei über 50 Prozent der Wirtschaftsleistung, was international ein hoher Wert ist. Wir haben also hohe Einnahmen und hohe Ausgaben. Deshalb sollte man zuerst das Effizienzpotenzial auf der Ausgabenseite ausschöpfen. Erst, wenn das geschehen ist, kann man überlegen, ob zusätzliche Einnahmen nötig sind.
Was bräuchte es denn, damit es wieder eine Erbschaftsteuer gibt?
Politischen Willen. Auch internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds oder die OECD fordern das seit Jahren von Österreich.
#WIFOMonatsberichte: Die heimische Wirtschaft durchlebte 2024 das zweite Rezessionsjahr in Folge. Neben der rückläufigen Industriekonjunktur schwächelten die Bauwirtschaft und einige Dienstleistungsbereiche. @josbaumgartner.bsky.social @benbitt.bsky.social @margitschratz.bsky.social buff.ly/NiK6kPT
— WIFO (@wifo.bsky.social) 16. Mai 2025 um 09:01
Sie wollen Bereiche wie das Gesundheitssystem „effizienter“ machen. Wie kann man sicherstellen, dass dabei nicht etwas kaputtgeht? In den USA sehen wir aktuell Extrembeispiele davon in der öffentlichen Verwaltung.
Das ist ein wichtiger Punkt. Es gibt aber zahlreiche Studien, die zeigen, dass man in vielen Bereichen die Ausgabendynamik bremsen kann, ohne dass die Qualität leidet. Im Gegenteil: In manchen Bereichen könnte die Qualität sogar steigen – im Gesundheitssystem etwa durch mehr Spezialisierung, bessere Koordination der Spitalskapazitäten über Bundesländergrenzen hinweg und mehr ambulante statt stationärer Versorgung.
Sie sprechen immer wieder Strukturreformen an, unter anderem in Hinblick auf den Föderalismus. Mit Verlaub, das wirkt manchmal wenig realistisch – zumindest bei einem mittelfristigen Zeithorizont. Wie stellen Sie sich das konkret vor?
Ich glaube nicht an sogenannte „Big Bang“-Reformen, also an einen großen Plan, der dann rasch umgesetzt wird. Aber ich denke, wir sollten die derzeitige Situation und den steigenden Reformdruck nutzen. Es betrifft nicht nur den Bund – auch Länder und Gemeinden stehen unter finanziellem Druck. Daher braucht es einen gemeinsamen Prozess aller Gebietskörperschaften. Man muss sich zusammensetzen und überlegen, wie sich Zuständigkeiten klarer regeln lassen, wie man Doppelgleisigkeiten beseitigt und die Finanzierung strafft.
Gerade die Gemeinden sollen viel umsetzen – von mehr Kinderbetreuung bis Klimaschutz –, aber ihnen fehlen das Geld und die Handhabe.
Genau deshalb ist eine Föderalismusreform erforderlich, die die künftigen Einnahmen- und Ausgabenbedarfe auf allen Ebenen berücksichtigt.
Die zentrale Ebene zwischen Bund und Gemeinden sind die Bundesländer …
Ich hoffe, dass der zunehmende Druck auch auf Länderebene zu einer größeren Offenheit für Reformen führt.
Wird durch den Plan der neuen Regierung mehr Zuversicht zurückkehren?
Ja, ich denke schon. Die Unsicherheit sieht man etwa in der hohen Sparquote und der Konsumzurückhaltung. Wenn jetzt die Konsolidierungs- und Investitionsmaßnahmen gut eingebettet werden und weitere Schritte folgen – etwa in Richtung Zukunftsbereiche und strukturelle Reformen –, dann kann das Vertrauen wieder gestärkt werden.
Welche Wirkung erwarten Sie sich vom deutschen Infrastrukturpaket auf Österreich?
Begrenzte positive Impulse – ab dem nächsten Jahr. Es hängt natürlich davon ab, wie schnell und wie konsequent die Vorhaben umgesetzt werden.
Wie lassen sich angesichts der Politik der USA derzeit überhaupt sinnvoll Prognosen erstellen?
Man muss akzeptieren, dass Prognosen momentan eine kurze Halbwertszeit haben – deshalb arbeiten wir auch mit Szenarien. Aber man braucht einen Referenzpunkt, sonst wäre die Wirtschaftspolitik im Blindflug unterwegs.
Was würden Sie jungen Frauen raten, die sich für Ihren Bereich der Wirtschaftsforschung interessieren?
Sich nicht abschrecken zu lassen. Es ist ein männerdominierter Bereich, aber ein unglaublich spannender. Ich würde jeder Frau, die sich für diese Themen interessiert, unbedingt raten, in diesen Bereich zu gehen. Hier dreht man an den großen Hebeln – bei den öffentlichen Ausgaben und Einnahmen. Diese Hebel sind entscheidend, um große Herausforderungen wie den Klimawandel, die Digitalisierung oder Fragen von Bildung, Verteilung und Gleichstellung zu bewältigen.
Man bewegt große Hebel, aber die Politik muss einem auch folgen…
Ja, man braucht definitiv eine gewisse Frustrationstoleranz. Aber ich bin jetzt lange genug in dem Bereich, um sagen zu können: Manchmal verändern sich die Dinge tatsächlich.