Portugal – das ist Cristiano Ronaldo, Surfen an windigen Küsten und eingelegter Fisch aus der Buchse. Was wenige wissen: Das Land ist auch ein Eldorado für Lohndrücker. Spotify, Nespresso, Estée Lauder, Microsoft – die Liste internationaler Konzerne, die dort – oftmals über Subunternehmen oder andere Firmen – Hotlines betreiben lassen, ist lang. Was sie lockt, ist nicht die Meeresbrise, sondern der Mindestlohn: der gehört mit aktuell 870 Euro brutto pro Monat (14-mal im Jahr) zu den niedrigsten in Europa – und das bei oft prekären Arbeitsbedingungen für die rund 104.000 Beschäftigten.
Überstunden sind Alltag
„Für mich war es eine enorme Anstrengung, stundenlang in der Leitung zu bleiben. Am Ende verschrieb mir ein Arzt Antidepressiva. Oft kam ich weinend nach Hause.“ Isabella Costa* holt tief Luft, bevor sie das erzählt. Zwischen 2017 und 2019 arbeitete sie in einem Callcenter in Lissabon. Sie träumte als 20-Jährige von einer eigenen Wohnung, mehr Freiheit, einem Aufbruch. Nichts davon wurde Wirklichkeit.
Die Arbeit war gnadenlos getaktet: Costa musste 80 bis 100 Anrufe am Tag annehmen, das Telefon klingelte ununterbrochen mit Anfragen zu Hotelbuchungen. Überstunden gehörten zum Alltag, doch sie wurden nicht bezahlt. Das, so Costa, sei in Portugal ohnehin nicht unüblich.
Billiglohn im Binnenmarkt
Warum es internationale Konzerne seit Jahren nach Portugal zieht? Zur brachialen Profitmaximierung ist das Land ideal: niedrige Löhne, hohe Arbeitslosigkeit und gleichzeitig viele gut ausgebildete Arbeitskräfte, die dringend Arbeit suchen. Fachleute sprechen von „Nearshoring“, wenn Unternehmen , die schon in Europa ansässig sind,ihre Dienstleistungen nicht nach Indien oder auf die Philippinen sondern nach Portugal, Bulgarien oder Irland verlagern. Übersetzt heißt das: Unternehmen müssen ihre Callcenter nicht am anderen Ende der Welt betreiben. Schlechte Arbeitsbedingungen und miese Löhne gibt es auch in Europa.
Albtraum mitten in Lissabon
„Mein Gehalt lag damals bei knapp 705 Euro netto pro Monat. Mit Zuschlägen kam ich auf 755 Euro“, erzählt Nicolau Ramos*, der 2022 in einem Lissabonner Callcenter anfing. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Miete für eine Einzimmerwohnung in der Stadt liegt je nach Studie zwischen 1.400 und 2.000 Euro.
Doch damit nicht genug: Ehemalige Mitarbeiter:innen verschiedener Callcenter berichten von maroden, unhygienischen Büros, von Flöhen am Arbeitsplatz – und sexuellen Übergriffen durch Vorgesetzte. „Ein Supervisor musste gehen, weil mehrere Frauen ihn wegen Belästigung meldeten“, erinnert sich Isabella Costa. Der Niederländer Jost Bakker*, ebenfalls ein ehemaliger Beschäftigter eines Callcenters, sagt: „Ich erinnere mich an Vorgesetzte, die völlig die Fassung verloren und Leute angeschrien haben. Das kam regelmäßig vor.“ Auch Filipa Costa kennt solche Geschichten nur zu gut. Sie ist Vorsitzende der Gewerkschaft CESP und setzt sich für Handels-, Büro- und Dienstleistungsbeschäftigte in Portugal ein. „Die Berichte über zunehmende Repression am Arbeitsplatz häufen sich im Callcenterbereich. Viele Mitarbeitende berichten von schlechter Führung, massivem Leistungsdruck und Einschüchterung durch Vorgesetzte.“
Profit über Schutz
Gegen diese Missstände versuchen Gewerkschaften seit Jahren vorzugehen. Vor allem in den vergangenen sechs Jahren legten Callcenter-Beschäftigte häufig ihre Arbeit nieder, um höhere Löhne und bessere Bedingungen zu erwirken. Ein Ziel ist es, direkt in die Konzerne integriert zu werden, für die sie arbeiten, statt über Subunternehmen beschäftigt zu sein.
Nach massivem Lobbying der Wirtschaft schwächt der EU-Rechtsausschuss das #Lieferkettengesetz.
@wolfgangk.bsky.social: „Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie Konzerne ihre Wunschliste abarbeiten – ohne Rücksicht auf Beschäftigte, Klima und Menschenrechte.“
Doch der Weg bis dahin ist lang, denn die gewerkschaftliche Organisation ist alles andere als einfach: „Die Arbeit ist stark individualisiert, die Fluktuation hoch. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Unternehmen auf Subunternehmer setzen – Outsourcing ist die Regel, nicht die Ausnahme“, sagt Filipa Costa, die Vorsitzende des CESP. Umso mehr versucht die Gewerkschaft deshalb, gegen die Niedriglohnpolitik vorzugehen und so dauerhaft prekäre Arbeitsbedingungen zu bekämpfen. Bis es allerdings so weit ist, kassieren internationale Konzerne in Portugal weiter Profite. Den Preis dafür zahlen letztlich die Beschäftigten.
*Namen von der Redaktion geändert