Das habe ich nicht mal von der Geschäftsführung erfahren“, sagt Fabian Warzilek, Betriebsrat bei Lieferando. „Ich war gerade im Taxi, da ruft mich eine Journalistin an und sagt: ‚Die Logistikabteilung sperrt mit Ende Juni zu: Wie geht’s Ihnen damit?‘ Ich habe gesagt: ‚Sie sind gerade die erste Person, die mir das erzählt.‘“ Warzilek arbeitet seit August 2021 für den Zustelldienst Lieferando, erst war er Schichtleiter, später wurde er in den Betriebsrat gewählt – ein Gremium, das gerade unter großem Druck steht.
Ich muss ihnen erklären: ‚Du hast nie einen schlechten Job gemacht.
Du hast alles gegeben – und jetzt bist
du dem Unternehmen trotzdem nichts mehr wert.
Fabian Warzilek, Lieferando-Betriebsrat
„Wir wurden für fünf Jahre gewählt, also hätten wir eigentlich noch drei vor uns.“ Denn Lieferando stellt sein Geschäftsmodell in Österreich um: Ende Juli 2025 wurden sämtliche angestellten Fahrer:innen gekündigt und durch freie Dienstnehmer:innen ersetzt. Diese Entscheidung markiert eine Abkehr von der bisherigen Praxis, Fahrer:innen fest anzustellen – was Lieferando seit 2016 von Mitbewerbern wie Foodora und Wolt unterschieden hat. Aber mit fixen Anstellungen sei nicht mit der Konkurrenz mitzuhalten, heißt es von Lieferando.
Laut einer aktuellen Meldung im Standard kündigt Lieferando Österreich alle angestellten Fahrer:innen. Die „Rider“ werden nur noch als „freie Dienstnehmer:innen“ beschäftigt.
Wir haben im Frühjahr 2024 mit Lieferant:innen gesprochen – ihre Arbeitsbedingungen waren schon damals alarmierend. 👇
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 18. März 2025 um 16:15
Prekäre Arbeitsbedingungen
950 Angestellte sind laut Warzilek von der Entscheidung betroffen – neben 650 Fahrer:innen auch Logistikmitarbeiter:innen sowie jene, die in befristeten Dienstverhältnissen waren. „Viele von denen, die bei uns arbeiten, kennen nichts anderes“, erklärt Warzilek. „Die haben vielleicht Deutsch auf A2-Niveau. Die wissen gar nicht, warum das jetzt eigentlich passiert.“ Und sie hätten kaum Alternativen: „Die Menschen haben Existenzängste, und ich muss ihnen erklären: ‚Du hast nie einen schlechten Job gemacht. Du hast alles gegeben – und jetzt bist du dem Unternehmen trotzdem nichts mehr wert.‘“
Um die Härten abzufedern, verhandelte der Betriebsrat einen Sozialplan in Höhe von 1,7 Millionen Euro. „Wenn man die 400.000 Euro offene Urlaubsersatzleistungen draufrechnet, sind wir bei über zwei Millionen Euro. Im Schnitt kriegen die Leute jetzt 2.000 Euro. Das ist nicht die Welt, aber besser als nichts.“

Herausforderungen der Arbeitswelt
Für Warzilek bleibt ein schaler Nachgeschmack: „Der Konzern wird gerade um über vier Milliarden Euro verkauft. Und uns bieten sie zwei Millionen. Das ist traurig. Man hätte leicht sagen können: ‚Komm, nimm mal fünf Millionen in die Hand.‘ Da hätten wir die Menschen würdig verabschieden können, die dieses Unternehmen aufgebaut haben.“ Für ihn sei die Richtung, in die sich die Branche bewegt, gefährlich. „Wir haben es immer wieder gesagt: Wenn der erste Dominostein fällt, dann fällt die ganze Branche. Plattformarbeit kann jeden treffen. Das kann man mit Busfahrer:innen machen, mit Friseur:innen – mit allen.“
Der Fall verdeutlicht die Herausforderungen, die mit der zunehmenden Plattformisierung der Arbeitswelt einhergehen. Ohne entsprechenden gesetzlichen Rahmen droht eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für viele. Der Fall Lieferando könnte somit als Weckruf dienen, um die Rechte von Plattformarbeiter:innen stärker zu schützen und faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Was die Politik hätte tun können, sei längst klar, sagt Warzilek: „Ein einziger Satz im Arbeitsverfassungsgesetz: ‚Dies gilt auch für freie Dienstnehmer:innen.‘“