Mit voller Energie in die Zukunft

Ein Arbeiter installier Wind- und Solaranlagen. Symbolbild für den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Der Ausbau der erneuerbaren Energie bringt auch für den Arbeitsmarkt neue Herausforderungen. | © Adobestock
Die Klimakrise schafft nicht nur neue Jobs, sondern bringt auch ungeahnte Herausforderungen für den Arbeitsmarkt und die Mitarbeiter:innen. Ein Umbruch mit vielen Fragezeichen.
Über zu wenige Anfragen kann sich Mathias Equiluz, Dachdeckermeister aus dem niederösterreichischen Mannersdorf, nicht beklagen. Er ist mittendrin im Ausbau der erneuerbaren Energien. „Mittlerweile entfallen rund 70 Prozent der Arbeiten auf die Montage von Photovoltaik-Anlagen.“ Da dafür derzeit aber kaum qualifizierte Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind, bildet er seine Mitarbeiter:innen selber aus oder lernt sie an. Das braucht jedoch Zeit – Zeit, die es laut Klimafahrplan nicht gibt.

Ausbau der erneuerbagen Energien: Politik gefordert

Der Arbeitsmarkt befindet sich derzeit im größten Umbruch seit der Industrialisierung. Gut ausgebildete und qualifizierte Mitarbeiter:innen sind gefragter denn je, erklärt Sven Hergovich, Geschäftsführer AMS NÖ (zum Redaktionsschluss). Er begrüßt daher die Maßnahmen der Bundesregierung zur Förderung von klimarelevanten Jobs. „Die Klima- und Transformationsoffensive der Regierung, in deren Rahmen bis 2026 etwa 600 Millionen Euro für die Förderung von angewandter Forschung, Investitionen und Qualifizierungsmaßnahmen bereitgestellt werden, ist ein wichtiger Schritt zur Realisierung der Ziele des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes.“ Allein durch die Energiewende rechnet das AMS in den kommenden zehn Jahren mit zusätzlichen 66.000 Beschäftigungsplätzen in Österreich. Dieser Wandel stelle die heimische Wirtschaft und die Arbeitskräfte aber vor große Herausforderungen und erfordere weitere politische Maßnahmen, ist Hergovich überzeugt.

Jakob Sturn, Experte für Arbeitsmarkt, Löhne, Verteilung und Steuerpolitik im Momentum Institut, kann den angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung auch sehr viel Positives abgewinnen. Allerdings: „Für die Transformation unserer Wirtschaft braucht es Arbeitskräfte mit allen Qualifikationsniveaus – vom Hochschulstudium über die Lehre bis hin zu Hilfsarbeitskräften.“ Jene, die eine längere Ausbildung benötigen, sollten dabei besonders im Fokus stehen, da sie nicht kurzfristig ausgebildet werden können, wenn der Bedarf in den kommenden Jahren steigt. Für den Momentum-Experten führe die „grüne Transformation“, wie er es nennt, insgesamt zu mehr Jobs als sie in C02-intensiven Branchen kostet. „Diesen Menschen muss mit geförderten Ausbildungen und Vermittlungen in Klimajobs eine neue Perspektive gegeben werden“, so Sturn.

Waldviertler Avantgarde

„Aktuell liegt das AMS-Stellenangebot beispielsweise für Elektroenergietechniker:innen deutlich über der Nachfrage und hat sich gegenüber dem Vorkrisenjahr mehr als verdoppelt“, rechnet Hergovich vor. Insgesamt sei die Anzahl der offenen Stellen in den Bereichen Energietechnik und Umwelttechnologie im Dezember 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat um über 200 Prozent gestiegen. Er und das AMS gehen davon aus, dass dieser Trend weiter anhält und sich verschärft, wenn die Energieversorgung auf erneuerbare Quellen umgestellt wird.

Als einen Vorreiter für die Ausbildung in den Bereichen erneuerbare Energie, umweltbezogene Gebäudetechnik und moderne, energieeffiziente Haustechnologie sieht der bis 30.1.2022 amtierende AMS-GF das vom BFI NÖ betriebene Ausbildungszentrum in Sigmundsherberg in Niederösterreich, das bis Herbst 2023 zum 1. Klimaschutz-Ausbildungszentrum erweitert werden soll. Für Hergovich werde es dort „eine optimale Vorbereitung auf den Berufseinstieg und für die Wirtschaft jene Fachkräfte geben, die künftig gebraucht werden“. Über 400 Personen jährlich sollen hier in den Berufsfeldern Metall, Elektro, Gas- und Sanitärtechnik sowie Lüftungstechnik ausgebildet werden. Zusätzliche Schwerpunktausbildungen in der Photovoltaik, Elektromobilität, Befestigungs- und Gebäudetechnik ergänzen das Angebot. Auch in Wien sei laut Hergovich ein Klimaschutzausbildungszentrum geplant. Details dazu nannte er nicht.

Beim Ausbau der erneuerbaren Energien an einem Strang ziehen

Für den Experten vom Momentum Institut werde mit den Förderungen für Qualifikationsprogramme, konkret mit dem Klimaschutz-Ausbildungszentrum, der richtige Weg eingeschlagen. Gehe es nach ihm, sollten auch die Betriebe in die Ausbildung der Arbeitskräfte kräftig investieren, denn diese würden am besten wissen, welche Anforderungen relevant seien. Damit könnten sie maßgeblich zum Erfolg des Ausbildungsprojekts beitragen und so von mehr Arbeitskräften profitieren.

Ein Patentrezept, um mehr Arbeitskräfte anzuziehen, Stellen zu besetzen und sie zu entlasten, hat Jakob Sturn aber keines. Attraktive Arbeitsplätze seien für ihn jene mit fairem Gehalt, guten Arbeitsbedingungen und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch helfen flexible Arbeitszeiten oder sonstige Betriebsleistungen, um Mitarbeiter:innen zu überzeugen. Dass der Fachkräftemangel auch zu einem verstärkten Druck unter den vorhandenen führe, kann Jakob Sturn bestätigen. „Ich halte Erfahrungsberichte von Arbeitnehmer:innen aus jenen Branchen, die zunehmend unter Druck stehen, für plausibel.“

Hohe Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien nötig

Nicht nur Mitarbeiter:innen, auch Unternehmen müssen sich an den von der Regierung beschlossenen Zielen beteiligen. Das fordert Sigrid Stagl, Ökonomin am Department für Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien. „Beim Klimaschutz ist in den vergangenen drei Jahren mehr geschehen als in den 30 Jahren davor“, freut sich Sigrid Stagl. Rahmenbedingungen seien erforderlich, die für Unternehmen und Haushalte nachhaltiges Handeln einfacher und unausweichlich machen. Eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, die sich in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum hinzog, muss bei der Umstellung auf Klimafreundlichkeit wesentlich schneller erfolgen. Die Geschwindigkeit des Wandels stellt hohe Ansprüche an die Qualifizierung von Mitarbeiter:innen.

Durch das Setzen von klaren Leitplanken für die Zukunft kann die Regierung Unternehmen nicht nur von der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen überzeugen, sondern auch Unsicherheit nehmen. Da die strengen Umweltregelungen EU-weit umgesetzt und durch Grenzausgleichsmechanismen ergänzt werden, widerfahren den Unternehmen keine Wettbewerbsnachteile. Großzügigen Förderungen nach dem Gießkannenprinzip, die Unternehmen bei der Umstellung zugutekommen, erteilt die Wissenschaftlerin jedoch eine Absage: „Wir müssen vom Reflex der Förderung von Unternehmen wegkommen und stattdessen auf Planungssicherheit, Innovation und Wettbewerbsvorteile für rasches Handeln setzen.“

Nicht nur Mitarbeiter:innen, auch Unternehmen müssen sich an den von der Regierung beschlossenen Zielen beteiligen, fordert Sigrid Stagl und spricht sich gegen ein Gießkannenprinzip bei der Förderung von Unternehmen aus.

Deswegen müssen innovative Unternehmen vor den Vorhang, damit sie die Nachzügler mitziehen. Denn weder die österreichische Bundesregierung, die Industriellenvereinigung noch die Wirtschaftskammer Österreich nehmen sie in die Pflicht.  Dieses Vorgehen, das sich am Fortbestand und Unternehmenserfolg der Klimasünder orientiert, kritisiert Sigrid Stagl, da es Pioniere und Vorreiter behindert. Letztere seien aber die Triebfedern der Transformation und können sich an die neuen Gegebenheiten gut anpassen. „Sind die Rahmenbedingungen durchgehend auf Klimaschutz gesetzt, wird es für Unternehmen umso teurer, je länger sie brauchen, sich auf die Veränderungen einzulassen.“

Flaschenhälse verzögern Lösungen

Ein Bereich, der sich in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird, ist die Windenergie. „Um weitere Anlagen errichten und servicieren zu können, bedarf es aber weiterhin qualifizierter Fachkräfte“, sagt Martin Jaksch-Fliegenschnee. Er ist Sprecher der IG Windkraft, der Interessenvertretung der Windkraftanlagenbetreiber in Österreich. Das sei auch notwendig, denn zu den derzeit bestehenden 200 Windkraftanlagen sollen bald jedes Jahr bis zu 200 neue hinzukommen

Allein bis 2040 soll Windkraft 50 Prozent des österreichischen Energiebedarfs decken. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Behörden ihre Genehmigungsprozesse beschleunigen. Mit dem aktuellen Personalstand sei das nicht möglich. Es brauche daher eine Aufstockung des Personals in den Bundes- und Landesbehörden. Um diesen „Flaschenhals“ zu lösen, fordert der Windkraft-Sprecher daher eine rasche Verdopplung des Behörden-Personals. Kritik übt er auch an der Bundes- und Landespolitik, die ihre Zusagen zur Beschleunigung der Energiewende bis heute nur zu einem kleinen Teil umgesetzt haben.

So fehlen die Vereinfachungen der Genehmigungen ebenso wie die Bereitstellung der Flächen für den Windkraftausbau und die Anhebung der Ausbauziele der Erneuerbaren, die den Pariser Klimazielen entsprechen. Auch am Verwaltungsgerichtshof kommt es immer wieder zu Verzögerungen bei Verfahren, da dort ebenso Mitarbeiter:innen fehlen, gibt Jaksch-Fliegenschnee zu bedenken. „Das ist schon sehr verwunderlich, denn der r asche Ausbau der erneuerbaren Energien ist die Lebensversicherung für die österreichische Wirtschaft und ein Garant für einen günstigen Strompreis für die Bevölkerung.“

Förderungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien greifen zu kurz

„Wer sich mithilfe des AMS umschulen oder ausbilden lässt, bekommt zwar die Kurskosten gezahlt und eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts“, sagt der Momentum-Experte. Doch diese Unterstützung sei viel zu wenig, um in dieser Zeit über die Runden zu kommen. Knapp werde es für jene, die Kinder im Haushalt zu versorgen haben. „Für viele arbeitslose Menschen ist es wohl daher kaum machbar, sich beim AMS monate- oder jahrelange weiterbilden zu lassen, weil das Geld in dieser Zeit schlicht nicht reicht“, betont Sturn.

Deshalb suchen sie dann eher weiterhin Jobs im alten Beruf. Die Förderungen sollten daher so hoch ausfallen, dass die betroffenen Menschen einen echten Anreiz haben, die Weiterbildungsprogramme wahrzunehmen. Hier ortet der Experte noch weiteren Handlungsbedarf seitens der Regierung.

Ausbau der erneuerbaren Energien bietet neue Chancen auf dem Markt

Stark verändert habe sich in den vergangenen Jahren der Markt, berichtet Dachdeckermeister Mathias Equiluz aus Mannsdorf. Vor allem die Konkurrenz aus dem nahen Ausland schlafe nicht und mache der Branche und seinem Betrieb zusätzlich zu schaffen. „Doch auch das werde ich bewältigen“, so der Niederösterreicher optimistisch, „gemeinsam mit meinen qualifizierten Beschäftigten.“

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