Green Jobs: Mit Blick auf das Mehr

Ein Arbeiter installier Wind- und Solaranlagen. Symbolbild für den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Der Ausbau der erneuerbaren Energie bringt auch für den Arbeitsmarkt neue Herausforderungen. | © Adobestock
Green Jobs gelten als besonders zukunftsfit und chancenbringend. Warum ist der Arbeitsmarkt dann gerade hier ausgetrocknet? Wie uns neue Initiativen und eine Umweltstiftung zu mehr Elektrotechniker:innen oder Heizungsinstallateur:innen verhelfen sollen. Eine Reportage.
In der sommerlichen Hitze zwischen den meterhohen Gärtürmen flirrt die Luft. Ein Schaufelbagger durchbricht die Stille. Die Schaufel lädt sich einen Mix an verdorbenen Kartoffeln, Karottenschalen, Stallmist und Maisspindeln auf und kippt den Inhalt kurz darauf in den Gärtank. Aus den Rohstoffen aus der näheren Umgebung gewinnt man im niederösterreichischen Margarethen am Moos Biogas – ein Rohstoff der Zukunft.

Die Anlage läuft an 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche und 52 Wochen hindurch. Neun Beschäftigte arbeiten hier – zum Teil im Schichtbetrieb. Ein Gärungstechniker, ein Kraftfahrer, zwei Schlosser, ein Substratbewirtschafter, ein Lagerverwalter, eine Bürokraft, ein Student, ein Geschäftsführer. Hinzu kommen durchschnittlich weitere sechs Servicetechniker:innen, die die Produktionsanlage laufend warten und reparieren – sie haben sogenannte Green Jobs und bringen viel Enthusiasmus mit.

Green Jobs: Engagement, Initiativen, Mut!

Um dem Klimawandel und mittlerweile auch der Teuerung entgegenzutreten, braucht es neue Technologien wie diese. „Erneuerbare Energien bringen uns eben auch ein Stück in Richtung Versorgungssicherheit“, sagt Markus Wieser, Präsident der NÖ Arbeiterkammer.

Aber „die Transformation ist bei weitem noch nicht geschafft“, ergänzt Sigrid Stagl. Die Uniprofessorin am Department für Sozioökonomie am Institut für Ecological Economics findet, dass „wir neue Technologien brauchen, aber nicht nur neue Technologien, denn es sind soziotechnische Systeme. Technologien installieren sich nicht von allein.“ Es braucht also Initiativen, Engagement und auch Mut.

Studien besagen, dass Österreich zum Beispiel allein beim Biogas das Potenzial an Reststoffen hätte, um weitere 600 ähnlich große Anlagen wie in Margarethen am Moos zu errichten. Mit derartigen Anlagen lässt sich mittelfristig einerseits die Hälfte von importiertem russischem Erdgas durch Biogas regionaler Herkunft ersetzen, andererseits können rund 10.000 Green Jobs entstehen.

„Die größte Herausforderung ist die grundsätzliche Leistbarkeit von Weiterbildung“, bringt es Sylvia Ledwinka, ÖGB, auf den Punkt.

Natürlich aus Berufung

Aber was sind Green Jobs? Laut der Europäischen Union (EU) sind Green Jobs „Arbeitsplätze in der Herstellung von Produkten, Technologien und Dienstleistungen, die Umweltschäden vermeiden und natürliche Ressourcen erhalten“, also auch Berufe, die nachhaltiges Bauen und Sanieren sowie Wasser- und Abwassermanagement zum Inhalt haben. Weitere nachhaltige Berufe können aber auch Manager für Green Finance und auch Gärtner:innen und Landschaftspfleger:innen sein.

Wir setzen mit dem Projekt eine konkrete Maßnahme, weil es uns wichtig ist,
nicht nur zu reden. 

Markus Wieser, Präsident AK Niederösterreich

Laut Bundesministerium für Umweltschutz waren 2008 in Vollzeitäquivalenten rund 167.700 Beschäftigte in der Umweltwirtschaft tätig. Dieser Wert nahm bis 2015 weiter auf 183.378 zu. Jüngere Zahlen waren zum Redaktionsschluss nicht verfügbar. Laut Ministerium sind das 4,4 Prozent der Gesamtbeschäftigten. Bis zu 300.000 sogenannte Green Jobs will man mittelfristig schaffen.

Nachhaltiges Marktversagen

Immer öfter fehlen Bewerberinnen und Bewerber. Wie sehr, schildert EVN-Vorstandssprecher Stefan Szyszkowitz: „Wir haben derzeit mehr als 2.000 Mitarbeiter:innen in Niederösterreich. Wir haben aber rund 60 Stellen, bei denen wir derzeit keine qualifizierten Mitarbeiter:innen finden.“ Dieses Defizit versucht er abzubauen. Eine der Hauptursachen für den Mangel an Fachkräften ist bei vielen Unternehmen zu finden. Immer weniger investieren selbst in die qualifizierte Weiterbildung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Um gegen dieses Marktversagen vorzugehen, brauche es ein Modell, das eine laufende Weiterbildung beziehungsweise Neuqualifizierung für Arbeitnehmer:innen auch finanziell gut ermöglicht. „Es muss einen Anspruch darauf geben und Arbeit und Weiterbildung müssen gleichwertig sein“, formuliert die ÖGB-Arbeitsmarktexpertin Sylvia Ledwinka ihre Forderung.

Umwelt stiften

Umin Zukunft mehr benötigte Fachkräfte ausbilden zu können, hat die Regierung im April die Umweltstiftung, eine langjährige Forderung des ÖGB, ins Leben gerufen. Sie soll Menschen zu Facharbeiter:innen in zukunftssicheren Bereichen ausbilden, etwa Elektroinstalleur:innen. Die Berufsaussichten sollen langfristig stabil sein.

Das sieht der Landesgeschäftsführer des niederösterreichischen Arbeitsmarktservice Sven Hergovich im Moment bei Elektroinstallateuren gegeben: „Wir haben eine Stellenandrang-Ziffer von 0,7. Das heißt: Auf eine offene Stelle kommen in diesem Bereich im Schnitt 0,7 Arbeitssuchende.“ Anders gesagt: Bei zehn offenen Stellen fehlen drei Bewerber:innen.

Die Umweltstiftung soll helfen, diese Lücke zu schließen. Lehrabsolvent:innen sollen sowohl im Bereich der sogenannten Green Jobs arbeiten, jedoch im Rahmen ihrer Ausbildung auch klassische Installationstätigkeiten verrichten lernen. Damit sie für den Arbeitsmarkt wertvoll bleiben, wenn eines Tages keine Solarpaneele mehr verbaut werden.

Laut ÖGB-Arbeitsmarktexpertin Sylvia Ledwinka sollen die Teilnehmer:innen in Partnerbetrieben der Umweltstiftung „aufgrund des Stiftungsmodells nahe am Betrieb“ sein. Das ist vor allem dann wichtig, wenn es um die nachhaltige Arbeitsmarktintegration der Teilnehmer:innen geht. „Denn bei einem großen Teil der Menschen in Trainings handelt es sich um Personen, die keine Berufsausbildung haben und die nun eine zweite Chance bekommen“, sagt sie weiter.

Hohe Lehrabschlussquoten

Die berufliche Qualifizierung erfolgt über eine auf eineinhalb Jahre verkürzte Lehrausbildung mit Theorie- und Praxisteilen bei den teilnehmenden Betrieben. So sollen möglichst viele Menschen einen Lehrabschluss nachholen können. Das Spektrum der beruflichen Ausbildung der Umweltstiftung reicht von Helfer:innen im Bereich der Installation von Photovoltaikanlagen bis hin zu einem Angebot für Akademiker:innen, die sich etwa im Bereich Umweltmanagement weiterbilden können.

Ziel ist bei allen Berufsausbildungen: möglichst hohe Lehrabschlussquoten. Diese sollen vor allem mit begleitendem Case-Management gelingen, also mit Betreuer:innen, die die Menschen durch Ausbildung und Qualifizierungsschritte begleiten. Besonders bei Menschen mit wenig Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt sei das noch wichtiger als sonst.

200 Euro Stiftungsbeihilfe

Die größte Herausforderung liegt in den Augen von Sylvia Ledwinka jedoch „in der grundsätzlichen Leistbarkeit von Weiterbildung“. Es braucht ein Qualifizierungsgeld für all jene interessierten Arbeitnehmer:innen, die berufstätig sind und sich umqualifizieren möchten. Da gibt es aktuell keine ausreichende finanzielle Unterstützung. Für den Großteil der Personen sei die Ausbildung schlichtweg oft „nicht leistbar“. Während der Ausbildung bekommen die Teilnehmer:innen zusätzlich zum Arbeitslosengeld mindestens weitere 200 EUR Stiftungsbeihilfe.

Schauplatzwechsel. In Lehrwerkstätten in ganz Österreich werden Jugendliche, aber auch Erwachsene zu Elektrotechniker:innen ausgebildet. Alle jene, die gerade in Schulungsräumen und zu Hause büffeln, werden in wenigen Monaten von der Wirtschaft wie ein Bissen Brot aufgesaugt werden. Sie können zum Beispiel mitarbeiten, damit in den kommenden Jahren rund 600.000 Einfamilien-, aber auch Mehrparteienhäuser von der Ölheizung auf erneuerbare Heizsysteme umgestellt werden können. Mit den Fertigkeiten, die sie hier erwerben, sollen sie in die Lage versetzt werden, Photovoltaikpaneele aufzustellen und ans Netz anzuschließen.

Das ist auch dringend notwendig, sagt Sven Hergovich vom niederösterreichischen AMS. Er schätzt, dass sich die schon jetzt schwierige Situation bei Fachkräften „weiter verschärfen“ wird. Er sieht angesichts „der sich immer weiter verschlimmernden Klimakrise“ einen immer weiter steigenden Bedarf an Fachkräften im Bereich der Energiewirtschaft und Umwelttechnologie. Aus dem Aspekt der Versorgungssicherheit sowie der Energieunabhängigkeit ist es aus seiner Sicht „sehr, sehr wichtig, zusätzliche wirtschaftliche Impulse zu setzen“.

Erste Klimaschutz-Ausbildung

Einen dieser Impulse will Hergovich mit dem europaweit ersten Klimaschutzausbildungsprojekt im Waldviertel umsetzen – hier werden nur noch klimaschutzrelevante Ausbildungen angeboten mit der Idee „die Technikerin oder den Techniker auszubilden, die wir für die Energiewende benötigen“. Der NÖ AK-Präsident Markus Wieser: „Wir setzen konkret mit diesem Projekt eine Handlung, weil es uns wichtig ist, nicht nur zu reden, sondern auch konkrete Taten zu setzen. Und das natürlich ganz bewusst, im Sinne der Beschäftigten, im Sinne der Arbeitsplätze und auch, ich sage es ganz bewusst, im Sinne des Wirtschaftsstandorts Niederösterreich.“

Für das Projekt im Waldviertel stellt der regionale AMS-Vorstand ein Investitionsvolumen von etwas mehr als sechs Millionen Euro zur Verfügung. Ab Herbst 2023 sollen an 250 Ausbildungsplätzen in Sigmundsherberg, im strukturschwachen Waldviertel, jährlich 400 Technikerinnen beziehungsweise Techniker ausgebildet werden – auch „zur Belebung der Region“, wie der AMS-Vorstand betont. Gleichzeitig sei es die bislang größte Ausbildungsinitiative, die es in Österreich im Umweltbereich bisher je gegeben hat.

„Angesichts der Energiewende wird sich die jetzt schon schwierige Situation bei Fachkräften im Bereich der erneuerbaren Technologien weiter verschärfen“, zieht Sven Hergovich, AMS Niederösterreich, Bilanz.

Einfach aufbauend

Dazu wird der Standort mit dem seit Mitte der 1970er-Jahre bestehenden beruflichen Bildungszentrum in der Maigener Straße in Sigmundsherberg, das vom Berufsförderungsinstitut (BFI) betrieben wird, umgebaut und modernisiert. „Das ist gut investiertes Geld, weil es für eine zukunftsträchtige Ausbildung sorgt und vor allem für Ausbildungs- und Arbeitsplätze im Zusammenhang mit neuen Technologien“, sagt Markus Wieser, der auch Eigentümervertreter des BFI NÖ ist, das das Ausbildungszentrum betreibt. Das schlichte, zweistöckige Gebäude wird zunächst nach modernsten ökologischen Standards ausstattet. „Was wir anbieten, wollen wir auch leben“, sagt Hergovich.

Der Umbau erfolgt nach höchst ökologischen Standards: Das Gebäude bekommt eine begrünte Fassade. Es wird mit einer Elektrotankstelle ausgestattet sein und das Dach mit Photovoltaikmodulen. Damit die Teilnehmer:innen ihre Ausbildungsstätte zukünftig gut erreichen können, wird sie an den öffentlichen Verkehr angeschlossen. Aber auch Unterkünfte werden bereitgestellt, und die Verpflegung soll möglichst regional und biologisch werden. Alle Teilnehmer:innen beginnen die Ausbildung mit einem Energieführerschein. Das weitere Training ist modular aufgebaut. Wer also Module auch vor Ende der Lehrabschlussprüfung abschließt, etwa als Elektropraktiker:in, soll später zumindest Photovoltaikmodule aufs Dach schrauben dürfen.

Je nach Interesse und Begabung können sie ihre verkürzte Klimaschutz-Ausbildung nach eineinhalb Jahren mit der Lehrabschlussprüfung abschließen. Und zwar in den Berufsfeldern Gas- und Sanitärtechnik, Lüftungstechnik sowie Weiterbildungen in den Bereichen Photovoltaik, Elektromobilität, Ausbildungen für Elektropraktiker:innen für Elektrotechnik und Befestigungstechnik und im Bereich Gebäudetechnik alles, was unter dem Begriff Smart Home zusammengefasst wird.

Frauen in die Technik

In Sigmundsherberg liegt der Frauenanteil zwar schon jetzt bei mehr als 35 Prozent. Für die Zukunft soll aber jede zweite Person, die an dem Standort ausgebildet wird, eine Frau sein. Jedenfalls sollen es Personen sein, die aufgrund einer nicht abgeschlossenen Ausbildung schon jetzt wenig Chancen am Arbeitsmarkt haben. Denn: Eine abgeschlossene Berufsausbildung senkt das Risiko, arbeitslos zu werden um rund zwei Drittel. Massiv gesteigert wird bei abermaliger Arbeitslosigkeit die Chance, wieder Arbeit zu finden. Wie die Zahlen zeigen, geht auch die Dauer der Arbeitslosigkeit durch Bildung stark zurück. „Die These ist ja, dass es volkswirtschaftlich effizient ist, hier zu investieren. Und je rascher investiert wird, umso billiger kommt das Ganze mittelfristig“, erklärt Hergovich abschließend.

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