Auch ohne Pensionist:innen gibt es genug Arbeitskräfte

Ein älterer Mann, der in einer Werkstatt arbeitet. Symbolbild Pensionist:innen Arbeitskräfte.
Die ÖVP wünscht sich, dass Pensionist:innen zurück in den Beruf kommen. Die Nachfrage nach Arbeitskräften dürfte so aber nicht befriedigt werden. | © Adobestock/auremar
Pensionist:innen den Weg zurück in die Arbeit zu erleichtern, wird die Nachfrage nach Arbeitskräften nicht signifikant senken. Der Vorschlag geht an der Lebenswirklichkeit der Österreicher:innen vorbei.
Österreicher:innen, die schon in Pension sind, sollen zurück an den Arbeitsplatz. Bei der Regierungsklausur schlug das die ÖVP vor. So will die Kanzlerpartei die Nachfrage nach Arbeitskräften entgegenwirken. Das geht jedoch an der Lebenswirklichkeit und den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes vorbei. „Ich glaube, dass dieses Potenzial – in der Pension dazuzuverdienen – relativ gering ist“, fasst Silvia Hruška-Frank, Sozialexpertin und Direktorin der Arbeiterkammer Wien, den Vorschlag zusammen. Statistiken und Praxiserfahrungen legen ganz andere Lösungen nahe.

Pensionist:innen als Arbeitskräfte sind nicht die Lösung

Die Idee, Pensionist:innen wieder zurück an den Arbeitsplatz zu holen, um so die Nachfrage nach Arbeitskräften zu befriedigen, scheitert an den aktuellen Arbeitsbedingungen und der Zusammensetzung des Arbeitsmarktes. „Wir haben eine Million Arbeitnehmer:innen, die sagen, dass die Arbeitsbedingungen so sind, dass sie befürchten, nicht bis zum Pensionseintrittsalter gesund arbeiten können“, bringt Hruška-Frank das Problem im Ö1-Morgenjournal auf den Punkt. Von diesen Menschen kann man nicht verlangen, dass sie im Anschluss noch einmal zurück an den Arbeitsplatz kommen.

Ein Mann, der in einer Gärtnerei arbeitet, kniet erschöpft am Boden. Symbolbild Pensionist:innen Arbeitskräfte.
Viele Österreicher:innen erreichen das reguläre Pensionsalter aus gesundheitlichen Gründen nicht. | © Adobestock/Robert Kneschke

Tatsächlich sei die Zahl der Personen, die im Pensionsalter noch einmal zurück in die Arbeit wollen und können, sehr gering. Hruška-Frank spricht von rund 20.000 Menschen. Zwei Drittel von Ihnen würden aber als Selbstständige arbeiten. Das bedeutet, dass sie nur für bestimmte Arbeiten und Projekte zur Verfügung stehen und auch nur in einem sehr individuellen Rahmen. „Das heißt, dass die Arbeitsbedingungen sehr speziell und mit der Pension und dem Ruhebedürfnis vereinbar sein müssten.“

Viele Arbeitnehmer:innen warten auf einen Job

Bei den Plänen der Regierung gäbe es außerdem noch ein weiteres Problem, so Hruška-Frank. Während der Pension zu arbeiten, sei steuerlich bereits sehr attraktiv. Eine weitere Verbesserung sei hier nicht zielführend. „Ich weiß nicht, warum man Pensionist:innen unbedingt besserstellen muss als aktive Beschäftigte, die noch nicht in Pension sind.“ Zumal der Arbeitsmarkt einiges an Potenzial bereithalten würde, mit dem sich die Nachfrage nach Arbeitskräften decken ließe.

Drei Punkte seien entscheidend. Zum einen müsse das tatsächliche Pensionseintrittsalter an das gesetzliche herangeführt werden. Immer mehr Menschen gehen früher in Pension. Entweder, weil sie zuvor schon arbeitslos wurde oder aber, weil die Arbeitgeber:innen sie frühzeitig loswerden wollen, wie Hruška-Frank berichtet. So gäbe es aktuell in Österreich 350.000 Menschen zwischen 60 und 65 Jahren, die nicht mehr arbeiten würden.

Auch der zweite Punkt setzt hier an. In Österreich gibt es aktuell rund 100.000 arbeitslose Menschen, die über 50 Jahre alt sind. Doch Firmen scheuen eine balancierte Altersstruktur. Nur 3,6 Prozent aller Unternehmen haben eine ausgewogene Altersverteilung der Beschäftigten. Lösungsmöglichkeit drei betrifft Frauen. Aus mehreren Gründen. Zum einen gibt es in Österreich fast eine Million Frauen, die in Teilzeit arbeiten. Viele davon wollen allerdings Vollzeit arbeiten, müssen jedoch kostenlos Care-Arbeit erledigen. Zum anderen wechselt nur jede zweite Frau aus einer Arbeitsstelle heraus in die Pension. Die andere Hälfte war zuvor arbeitslos gemeldet.

Pensionist:innen als Arbeitskräfte: Wirtschaft bevorzugt andere Lösungen

Die Gesamtwirtschaft scheint ebenfalls Zweifel an der Wirkung der ÖVP-Idee zu haben. Zumindest präferiert sie andere Lösungen. Und ist in Teilbereichen auch einer Meinung mit Hruška-Frank. So heißt es in einer Mitteilung der Wirtschaftskammer Österreich: „Das Potenzial älterer Arbeitnehmer:innen wird derzeit bei Weitem nicht ausgeschöpft. Der Anteil der 60- bis 64-jährigen Erwerbstätigen in Österreich ist mit 32,2 Prozent vergleichsweise niedrig. Ein Blick nach Deutschland (62,9 Prozent) zeigt, dass diese Altersgruppe noch großes Potenzial für den österreichischen Arbeitsmarkt birgt.“

Ein Vorschlag, der deutlich macht, dass zumindest theoretisch der Wille der Unternehmen da ist, Menschen in diesem Alter auch eine mittel und langfristige Perspektive zu geben. Das müsste allerdings noch in der Praxis umgesetzt werden.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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