Arbeitnehmerinnen zwischen Arbeitslosigkeit und prekären Jobs

Frau arbeitet in einem Lager und transportiert eine Palette. Symbolbild für entmutigte Arbeitnehmerin.
Arbeitnehmerinnen sind vom Arbeitsmarkt zunehmend entmutigt. | © Adobestock/industrieblick
Der Arbeitsmarkt entmutigt viele Frauen. Dabei muss das nicht sein. Unternehmen und Staat müssen sich auf Arbeitnehmerinnen zubewegen. Auch zu ihrem eigenen Nutzen.
Statt über „Fachkräftemangel“ zu klagen, müssten sich Unternehmen überlegen, wie sie die Rahmenbedingungen für Arbeit besser gestalten, um bestehende Arbeitnehmer:innen zu halten und neue zu gewinnen, betont Gerlinde Hauer von der Abteilung Frauen und Familie der Arbeiterkammer Wien (AK). Mehr bemühen müssten sich Unternehmen dabei vor allem um Frauen. Unter ihnen gibt es Zehntausende, die eigentlich arbeiten möchten, derzeit aber nicht einmal nach einem Job suchen. Hier kommen drei von 38.900 Frauen im erwerbsfähigen Alter zu Wort, die laut Daten der Statistik Austria für das dritte Quartal 2022 grundsätzlich arbeiten wollen, sich aber nicht aktiv nach einem Arbeitsplatz umsehen.

Arbeitnehmerinnen kommen zu Wort

Im Auftrag der AK Wien sah sich das Sozialforschungsinstitut SORA die Motive der Betroffenen näher an. Die Wirtschaft spricht hier gerne von „stiller Reserve“ – Hauer nennt sie lieber „entmutigte Menschen“. Als Studientitel wurde daher auch „Von der Arbeitswelt entmutigt“ gewählt.

Also, das waren manchmal schon schwierige, sehr sehr anstrengende Jobs, hart ja. Putzen war das schwerste. Und der Chef immer unzufrieden, immer sollte ich schneller und noch mehr. (…) Und ich verstehe, die Leute sind gestresst und so, aber auch die Kolleginnen oft waren nicht nett. Ich habe gearbeitet durch und ich habe allen geholfen, wenn sie Hilfe gebraucht haben, aber wenn ich Hilfe gebraucht hatte, war fast niemand da.

Aus: „Von der Arbeitswelt entmutigt“, SORA-Studie

 

SORA hat für die Studie einerseits Daten der Statistik Austria ausgewertet und andererseits zwölf Frauen qualitativ befragt. In den Interviews zeigte sich, dass das Gros der betroffenen Frauen in ihrem bisherigen beruflichen Leben vor allem negative Erfahrungen gemacht hat. Erzählt haben sie von großen physischen und psychischen Arbeitsbelastungen, familienunfreundlichen Arbeitszeiten an den Tagesrändern, kleineren und größeren Abwertungen, Diskriminierungen, keinen Mitsprache- und kaum Aufstiegsmöglichkeiten, Mobbingerfahrungen, aber auch von sexueller Belästigung. Einige kämpften zudem mit gesundheitlichen Problemen.

Von der Arbeitswelt entmutigt

Die Betroffenen sind zudem meist jünger, häufig niedrig qualifiziert und waren bisher zum Großteil in Dienstleistungsberufen (z.B. Friseurin, Kellnerin) oder im Handel tätig. Viele leisteten auch Hilfsarbeiten. Auffällig ist in den vergangenen zwei Jahren eine stärkere Steigerung der Betroffenheit bei Müttern und bei Frauen mit Migrationshintergrund.

Eine Friseurin schneidet einer Frau die Haare. Symbolbild für entmutigte Arbeitnehmerinnen.
Vor allem Dienstleistungsberufe und der Handel führen zu Frustration bei Arbeitnehmerinnen. | © Adobestock/Kzenon

„Für diese Frauen bedeutete Erwerbstätigkeit oft einen Kampf um Gesundheit, um finanzielle Absicherung, um Würde und Anerkennung“, so Hauer. Die Studie zeigt auch, dass Betreuungspflichten eine große Rolle spielen. Vor allem im ländlichen Raum ist das Angebot sehr lückenhaft. Das ist ein großes Erwerbshindernis.“ Betroffene arrangieren sich daher für eine Zeit lang damit, dass sie nicht arbeiten können. Größtenteils werden sie durch ihren Partner oder ihre Familie finanziell unterstützt, wissen aber, dass das keine Lösung für immer ist.

(…) also volle Konzentration aufs Gesundwerden wieder. Das war am wichtigsten. Und irgendwie war ich auch froh, nicht mehr jeden Abend dann so kaputt nach Hause zu kommen.

Aus: „Von der Arbeitswelt entmutigt“, SORA-Studie

 

Wichtig wäre, dass solche Frauen, wenn sie dann wieder versuchen, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren, „nicht gleich in den nächsten prekären Job vermittelt werden“, fordert die AK-Expertin. „Sie müssen wieder eine Perspektive sehen und aus dieser Drehtüre zwischen Arbeitslosigkeit und prekären Jobs herauskommen.“

Mehr Wertschätzung für Arbeitnehmerinnen

Doch was ist dazu nötig? Einerseits ein kollektivvertraglicher Mindestlohn in allen Branchen in Höhe von 2.000 Euro brutto. Andererseits der Ausbau von Kindergartenplätzen und die Ausweitung der Öffnungszeiten. Hier brauche es eine Milliarde Euro mehr pro Jahr für mehr Kinderbildungseinrichtungen und einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag eines Kindes, so Hauer. Es gibt aber auch noch andere Betreuungspflichten – dann etwa, wenn sich Frauen um pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen. Eine Pflegereform mit einer Ausbildungsoffensive und der Ausbau professioneller Pflegeleistungen könne hier Abhilfe schaffen.

Es brauche aber auch konkrete arbeitsmarktpolitische Angebote für diese Gruppe. Hauer führt etwa an, dass zum Beispiel eine arbeitslose Frau mit Lehrabschluss, die als Verkäuferin gearbeitet und nun einen Weiterbildungswunsch hat, vom Arbeitsmarktservice (AMS) keine Umschulung angeboten bekomme. „Die Vermittlung ist prioritär. Eine Umschulung wäre aber sinnvoll, damit sich ihre Perspektiven verbessern und sie nicht in prekären Jobs festhängt. Auch braucht es Beratung und längerfristige Unterstützung bei Vermittlungshemmnissen, beispielsweise bei gesundheitlichen Problemen oder bei Schwierigkeiten einen Kinderbetreuungsplatz zu finden.“ Hier müsse es ein Umdenken der Arbeitsmarktpolitik geben.

(…) endlich durchatmen können, durchschlafen, also das war – also wie ich das erste Mal wieder eine ganze Nacht durchgeschlafen hab, das war unbeschreiblich, das hab ich ja gar nimmer geglaubt, und ja, also das war wie Tag und Nacht, und dann ging’s mir auch sehr langsam wieder besser.

Aus: „Von der Arbeitswelt entmutigt“, SORA-Studie

 

Benötigt wird auch ein Umdenken der Arbeitgeber:innen. Sie müssten an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen arbeiten, das reiche von einer besseren Planbarkeit von Arbeits- und Freizeit (Stichwort: Vereinbarkeit) über mehr Wertschätzung für die Beschäftigten bis hin zu einer fairen Entlohnung.

Zur Teilzeit gezwungen

Viele Frauen arbeiten Teilzeit, weil sie Betreuungspflichten haben, was wiederum zu einem niedrigen Einkommen und Prekariat trotz Erwerbsfähigkeit führt. Besonders stark ist Teilzeitarbeit im Handel – sie beträgt in dieser Branche rund 60 Prozent. Hier säßen Frauen oft in niedriger Teilzeit fest, so Hauer. Handelsketten erhöhen damit ihre Flexibilität, denn mit Teilzeitkräften können sie Ausfälle durch Krankenstände und Urlaube in Form von Mehrstunden abfedern. So kann die Personaldecke dünn gehalten, gleichzeitig aber Dienste immer besetzt werden.

Die zunehmenden Probleme, Arbeitskräfte zu finden, bringen den Handel allerdings dazu, hier stärker als bisher auf die Arbeitnehmer:innen zuzugehen. „Es geht darum, Mitarbeiter:innen zu halten, nicht zu vertreiben“, sagt dazu Maria Gluchman, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von Billa. Seit Beginn 2022 gibt es im Handels-KV die Möglichkeit, Mitarbeiter:innen mit einer Betriebsvereinbarung zu ermöglichen, ihre vertragliche Wochenarbeitszeit zu erhöhen, wenn sie über einen längeren Zeitraum immer wieder für Mehrstunden herangezogen wurden. „Ende des Vorjahres haben wir für die ganze REWE-Gruppe eine solche Betriebsvereinbarung abgeschlossen.“

Automatismus gebe es hier aber keinen, „es gibt ja auch Mitarbeiter:innen, die nicht grundsätzlich länger arbeiten wollen“. Aber wer seine vertragliche Arbeitszeit ausweiten wolle und eben bereits regelmäßig mehr Stunden gearbeitet habe, könne das nun beantragen und habe dann auch einen Anspruch darauf. Der Betriebsrat sei derzeit dabei, die Belegschaft in allen Filialen über diese Möglichkeit zu informieren. „Wir gehen davon aus, dass das dann hoffentlich auch in Anspruch genommen wird.“

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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