Ablenkungsmanöver

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  1. Seite 1 - Vermögensarme Mehrheit
  2. Seite 2 - Grundlegende Reform nötig
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Die Abschaffung der Notstandshilfe trifft die Mittelschicht mit voller Wucht - und sie verschiebt den Blick weg von einer Vermögenssteuer für die Superreichen.
Die meisten Arbeitslosen sind vermögensarm: Die Hälfte besitzt weniger als 2.200 Euro Nettovermögen. Diese Maßnahme hat allerdings große Auswirkungen auf die Mittelschicht. Sie trifft jene, die das Pech hatten, nach dem Jobverlust etwa wegen ihres Alters keinen Arbeitsplatz zu finden, aber vielleicht am Land ein bescheidenes Eigenheim aufgebaut haben. Die Überlegung, diesen noch etwas wegzunehmen, verschiebt den Blick weg von einer Vermögenssteuer für die Superreichen hin zu Menschen mit einem Notgroschen oder einem Auto.

Notwendigste materielle Absicherung

Doch zunächst einmal einen Schritt zurück. Die Streichung der Notstandshilfe bedeutet, dass Betroffene zunächst ihr Vermögen bis zu rund 4.000 Euro aufbrauchen müssen, um die Mindestsicherung als letzten Rettungsring in Anspruch nehmen zu können. Die Daten zeigen eindeutig: Der Großteil der Arbeitslosen kann privat nur auf die notwendigste materielle Absicherung zurückgreifen. Wenn etwas Vermögen vorhanden ist, handelt es sich oft um ein Eigenheim. Eigenheime in „angemessener“ Größe müssen zwar nicht verkauft werden, aber die Behörde kann sich bei Bezug der Mindestsicherung ins Grundbuch eintragen lassen. Selbst wenn die Person mit Mindestsicherungsbezug dann wieder eine Arbeit findet, bleibt die Grundbuchseintragung weiter bestehen. Wird das Haus oder die Wohnung vererbt bzw. verkauft, holt sich die öffentliche Hand das ausbezahlte Geld zurück – das Vermögen wird also um den Betrag der Mindestsicherung „besteuert“.

Für Fragen zu Vermögen ist die Vermögenserhebung HFCS der Österreichischen Nationalbank die beste Quelle. Sie ist die umfassendste Haushaltsbefragung zur Finanzlage und zum Konsumverhalten von Haushalten.

Vermögensarme Mehrheit

2014 wurden penibel die Vermögenswerte von österreichischen Haushalten erhoben. Bei den folgenden Berechnungen gelten jene Haushalte als arbeitslos, deren Referenzperson (mit der das Interview durchgeführt wurde) arbeitslos ist. Allerdings sind die Ergebnisse aufgrund der niedrigen Fallzahl mit großer Vorsicht zu interpretieren. Und doch lässt sich Folgendes sagen: Die meisten arbeitslosen Haushalte sind vermögensarm. Die Hälfte der arbeitslosen Haushalte hat weniger als 2.200 Euro Nettovermögen (Sachvermögen plus Finanzvermögen minus Schulden). Sie gehören damit zu den ärmsten in Österreich. Denn dieses Vermögen ist viel geringer als jenes der Gesamtbevölkerung, deren mittlerer Haushalt gut 85.000 Euro besitzt.

Auch beim Durchschnitt zeigt sich diese Schieflage: Das durchschnittliche Nettovermögen von arbeitslosen Haushalten beträgt rund 40.000 Euro und ist damit weit geringer als das Durchschnittsvermögen aller österreichischen Haushalte, das bei etwa 260.000 Euro liegt. Weil die große Mehrheit der Arbeitslosen kaum Vermögen besitzt, wohnt sie meist zur Miete. Weniger als die Hälfte hat ein Auto, und wenn eines vorhanden ist, so ist dieses im Schnitt 6.000 Euro wert. Auch das Finanzvermögen ist sehr gering: Die Hälfte der Arbeitslosen konnte weniger als 1.100 Euro als Notgroschen zur Seite legen.

Was Langzeitarbeitslose betrifft, finden sich im Mikrozensus der Statistik Austria aufschlussreiche Daten. Demnach besitzen rund 20.000 Langzeitarbeitslose ein Haus oder eine Wohnung. Von allen Arbeitslosen (die also sowohl kürzer als auch länger als ein Jahr arbeitslos sind) wohnen laut Mikrozensus nur etwa 27 Prozent im Eigentum. Das heißt, bei den meisten Langzeitarbeitslosen ist kaum etwas zu holen. Aber dort, wo die Mindestsicherung greift, trifft es die Mittelschicht, die durchaus etwas Vermögen aufgebaut hat. Dieses besteht hauptsächlich aus einem Eigenheim, das mit zwei Dritteln den Löwenanteil des Nettovermögens der Arbeitslosen ausmacht.

Langzeitarbeitslose betroffen

Die Streichung der Notstandshilfe trifft zudem Menschen, die das Pech hatten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und nicht innerhalb eines Jahres einen neuen zu finden – das sind die Langzeitarbeitslosen. Besonders über 50-Jährige sind davon oft betroffen, gerade in ländlichen Regionen. Diese Gruppe hat auch am ehesten bereits ein bescheidenes, abbezahltes Eigenheim, ein Auto, um mobil zu sein, und ein Sparbuch für unerwartete Reparaturen.

Weshalb steht also statt einer Diskussion über eine Millionärssteuer ausgerechnet das Vermögen von Langzeitarbeitslosen zur Debatte? Es wird nicht über das exorbitante Vermögen von Superreichen und MillionärInnen geredet, sondern über die Ersparnisse jener, die schon jetzt jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Eine dauerhafte Gegenfinanzierung für die von der Regierung geplanten Maßnahmen, wie die höhere Unterstützung am Beginn der Arbeitslosigkeit oder gar die geplanten Abgabensenkungen für Unternehmen und Besserverdienende, kann ein Vermögenszugriff bei den Arbeitslosen niemals leisten. Auch der bürokratische Aufwand ist durch das geringe Vermögen der langzeitarbeitslosen Mittelschicht wohl kaum gerechtfertigt.

Grundlegende Reform nötig

Dringend überfällig wäre stattdessen eine grundlegende Reform der Vermögensbesteuerung. Denn alle wissenschaftlichen Untersuchungen stellen für Österreich eine extreme Konzentration des Vermögens fest. Die reichsten fünf Prozent der Haushalte besitzen etwa 43 Prozent des gesamten Nettovermögens – das ist der vierthöchste Wert in der Eurozone. Der Gini-Index, mit dem die Ungleichheit bei der Verteilung von Vermögen beschrieben wird, ist ebenfalls nur in drei anderen Ländern der Eurozone höher. Dabei darf aber eines nicht übersehen werden: Dieses Ranking ist keine Reihung der Länder nach sozialer Ungleichheit. Denn Österreich bietet eine sehr gut ausgebaute öffentliche Daseinsvorsorge mit einer Vielzahl an wohlfahrtsstaatlichen Leistungen. Nicht zuletzt dank des Wohlfahrtsstaates ist die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit deshalb in Österreich geringer als in den meisten EU-Ländern.

Ein ausgedehnter gemeinnütziger Wohnbausektor, die gut ausgebauten öffentlichen Verkehrssysteme, ein überwiegend frei zugängliches Bildungswesen und eine breite Absicherung gegen einen Verdienstausfall, vor allem in Form eines lebensstandardsichernden sozialen Pensionssystems: All diese staatlichen Angebote bieten auch Menschen ein gutes Leben, die nicht auf große Vermögen zurückgreifen können.

Die Vermögenskonzentration bedeutet allerdings dennoch eine massive Verschiebung von ökonomischer und politischer Macht hin zu einer kleinen Besitzelite, die über unverhältnismäßigen Einfluss auf Medien, Politik und öffentliche Meinung verfügt. Dieser Macht der Multimillionäre gilt es im Interesse der Aufrechterhaltung eines demokratisch verfassten Gemeinwesens entgegenzutreten.

Vom Schicksal Begünstigte

Die Forderung nach progressiven Vermögenssteuern stellt ein wesentliches Element dieser Auseinandersetzungen dar. Unmittelbar betrifft das in Österreich die Pläne zur Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer, deren Aufkommen für den Ausbau des Pflegesystems zweckgewidmet sein könnte. Die Zweckbindung verknüpft die Besteuerung von hohen Erbschaften mit den (finanziellen) Herausforderungen der familiären Pflege. Die steuerliche Belastung einer kleinen Zahl vom Schicksal begünstigter Menschen könnte so sozialpolitische Verbesserungen für die breite Masse der Bevölkerung in einer Phase des Lebens, in der diese besonders schutzbedürftig ist, ermöglichen.

Kurzum: Eine fortschrittliche Politik würde den Fokus einerseits auf die Unterstützung von Langzeitarbeitslosen legen, andererseits auf die Vermögenskonzentration bei den Reichsten abstellen, anstatt die Ärmsten ins Visier der Sparpolitik zu nehmen. Diese Regierung muss daran gemessen werden, ob ihre Politik der Vermögenselite dient oder ob sie die Lebensbedingungen für die ArbeitnehmerInnen und die Arbeitslosen verbessert. Bislang ist die „neue Gerechtigkeit“ nur Klassenkampf von oben.

Weitere Infos:
tinyurl.com/y7f4fcjf
derStandard: „Wann das Sozialamt bei der Mindestsicherung auf Immobilien zugreift“

Von
Matthias Schnetzer und Miriam Rehm

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/18.

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