Yvonne Leitner stieg in den Pflegeberuf um, nachdem sie fast 18 Jahre als Rechtsanwaltsassistentin gearbeitet hatte. „Ich hatte in meinem Job schon viel erlebt und wollte ihn nicht bis zur Pension machen“, erzählt Leitner. Sie studierte mit 43 Jahren Gesundheits- und Krankenpflege an der Hochschule Campus Wien – ein Vollzeitstudium. „Möglich war das nur, weil ich die finanzielle und familiäre Unterstützung hatte“, sagt sie.
Der demografische Wandel, die Klimakrise und technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung verändern die Arbeitswelt: Einige Berufe werden verschwinden, andere stärker nachgefragt werden. Wie können Arbeitnehmer:innen da Schritt halten? Wie reagiert der Arbeitsmarkt auf große Umwälzungen? Und wie können Staat und Arbeitgeber:innen dabei unterstützen? Die Arbeiterkammer veranschaulicht etwa mit sogenannten „Berufswanderkarten“, welche Berufe gefährdet sind, wohin sich zum Beispiel Beschäftigte aus dem Fahrzeugbau oder dem Wintertourismus umorientieren können. Ein zentraler Grundsatz: Für berufliche Weiterbildung ist es nie zu spät.
Zeit, Geld und Zugang
In der Pflege ist der Bedarf an Fachkräften besonders hoch. Bis 2030 werden rund 76.000 zusätzliche Personen benötigt. Yvonne Leitner konnte ihre Umschulung durch Weiterbildungsgeld vom AMS sowie eine Förderung vom Wiener Arbeitnehmer:innen Förderungsfonds (waff) verwirklichen. Der waff wird von der Stadt Wien finanziert und unterstützt Berufstätige sowie Arbeitssuchende in ihrer beruflichen Entwicklung. Er berät und vergibt Förderungen für Aus- und Weiterbildung. Ein Schwerpunkt ist dabei der Gesundheits- und Pflegebereich. Aktuell steigen in der Hauptstadt mehr Personen über Angebote wie „Jobs PLUS Ausbildung“ in Pflege– und Betreuungsberufe ein als über die Erstausbildung.
Leitners Studienkolleg:innen waren im Schnitt Ende 20 bis 30 Jahre alt, lebten teilweise noch bei ihren Eltern oder erhielten ebenfalls eine Ausbildungsförderung. Viele waren im Gesundheitswesen tätig und machten eine Aufschulung. Eine Kollegin war so wie Leitner Quereinsteigerin. Kinderbetreuungspflichten hatte Leitner keine, ihre Tochter war zu dem Zeitpunkt bereits 16 Jahre alt. „Mit einem kleinen Kind hätte ich die Ausbildung nicht machen wollen“, sagt Leitner und nennt auch die langen Dienstzeiten im Krankenhaus als Grund. „Ohne Partner oder Großeltern wäre das schwierig. Da brauchst du schon einen guten Background.“

„Es geht immer um die gleichen Hürden: Zeit, Geld und Zugang“, stellt Sabine Letz fest. Sie ist Geschäftsführerin des Verbands Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) und in der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ) engagiert. Letz spricht aus über 30 Jahren Erfahrung in dem Bereich. Ob sich Menschen weiterqualifizieren können oder nicht, hängt von Alter, Geschlecht, sozialem Status, beruflicher Stellung und Bildungsgrad ab. Auch der Wohnort spielt eine Rolle – sowohl bei der Verfügbarkeit von Angeboten als auch in Bezug auf die Förderungen, die in jedem Bundesland anders gestaltet sind.
Unternehmen sind gefragt
Weiterbildung sollte allen zustehen, aber es gibt keinen Rechtsanspruch, kritisieren Gewerkschaft und Arbeiterkammer. Sie fordern eine Woche Bildungsfreistellung für alle Arbeitnehmer:innen pro Jahr und sehen die Betriebe in der Verantwortung. Laut einer IHS-Studie aus dem Jahr 2022 investieren Unternehmen immer weniger in die Schulungen ihrer Beschäftigten. Innerhalb von zehn Jahren sank ihr Anteil an den gesamten Weiterbildungskosten von 41 auf 31 Prozent. Der Anteil, den private Haushalte leisten, stieg von 29 auf 42 Prozent. Die AK schlägt daher einen österreichischen Weiterbildungsfonds vor, in den Unternehmen einzahlen sollen.
„Besonders wichtig ist es, ältere Mitarbeiter:innen im Transformationsprozess mitzunehmen“, betont Anna Raith aus der bildungspolitischen Abteilung der AK Wien. Beschäftigte über 50 Jahren sind stark von Kompetenzverlust betroffen. Ebenso laufen Personen, die maximal einen Pflichtschulabschluss haben, Gefahr, den Anschluss an die Anforderungen des Arbeitsmarktes zu verlieren. Nur ein Drittel der Personen mit Pflichtschulabschluss bekommt eine betriebliche Weiterbildung gewährt. Bei den Akademiker:innen sind es drei Viertel. „Da wäre es wichtig, Angebote zu machen, auch von staatlicher Seite“, betont Raith.
Steuerung notwendig
Ohne eine Steuerung durch staatliche Programme ist Bildung für alle nicht möglich, sagt Sabine Letz vom VÖGB. Die Regierung nimmt sich in ihrem Programm vor, eine Strategie zum lebenslangen Lernen umzusetzen und mehr Weiterbildungsangebote für Fachkräfte zu schaffen: im Mobilitätssektor, für pädagogische Berufe und im Rahmen der ökologischen Transformation. Auch die Level-Up-Initiative soll ausgebaut und langfristig abgesichert werden. Dieses Programm ermöglicht es Erwachsenen, den Pflichtschulabschluss sowie Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen nachzuholen. Österreichweit werden Kurse angeboten, finanziert aus Mitteln von Bund, Ländern und dem Europäischen Sozialfonds (ESF). „Das gehört auf die Lehrabschluss- und die Berufsreifeprüfung ausgeweitet“, fordert Letz.
Bei Weiterbildung gibt es immer die gleichen
Hürden: Zeit, Geld und Zugang.
Sabine Letz, Geschäftsführerin des VÖGB
Die Erwachsenenbildung an sich sei flexibel und könne nach Bedarf schnell neue Angebote auf die Beine stellen, sagt Letz. „Das ist unser Handwerkszeug. Kurse und Schulungen umzusetzen ist die leichtere Übung. Die schwierigere Übung ist die Finanzierung.“ Aufgrund der staatlichen budgetären Lage sei es schwer, zusätzliche Mittel für die Erwachsenenbildung zu bekommen. Das Weiterbildungsgeld, das es bisher im Rahmen der Bildungskarenz gab, wird ab 1. Jänner 2026 durch eine Weiterbildungsbeihilfe ersetzt. Anspruch und Nachweise werden künftig strenger kontrolliert. Das AMS prüft zunächst, ob Weiterbildungen „arbeitsmarktrelevant“ sind, es gibt keinen Rechtsanspruch. Wie hoch die Beihilfe ausfällt, hängt jeweils vom Einkommen ab. Ab einer gewissen Höhe müssen sich Unternehmen finanziell beteiligen.
Wissen weitergeben
Für Yvonne Leitner ist Lernbereitschaft eine der wichtigsten Kompetenzen in der Arbeitswelt. Seit über einem Jahr arbeitet sie als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin auf der Unfallchirurgie im AKH Wien. Weiterbildung gehören jetzt zu ihrem beruflichen Alltag. „Die Unfallchirurgie ist ein komplexer Bereich. Wir haben alles: von einem gebrochenen Zeh bis zur abgetrennten Gliedmaße. Wir müssen uns laufend fortbilden. Ich hatte zum Beispiel eine Reanimationsschulung und eine Schulung über Knochenbrüche“, berichtet sie. Zudem profitiere Leitner sehr viel vom Wissen ihrer jüngeren Kolleg:innen.
Alarmsignal vom #Arbeitsmarkt: Die Erwerbslosigkeit von #Frauen ist zuletzt deutlich schneller als die der Männer gestiegen. Grund: Kündigungen in frauendominierten Branchen. Autorin Paula Rossi fordert auf dem @aundw.bsky.social eine geschlechtersensible Arbeitsmarktpolitik 👇
— @Arbeiterkammer (@arbeiterkammer.at) 1. Oktober 2025 um 09:13
„Während des Studiums fiel mir das Lernen leichter, als ich erwartet hatte“, erzählt Yvonne Leitner. Sie habe sich anfangs an ihre Schulzeit erinnert gefühlt: „Vor Prüfungen war ich extrem nervös, aber mit der Zeit bin ich gut hineingerutscht.“ Wie niederschwellig der Einstieg ins Lernen sein kann, schildert Sabine Letz vom VÖGB anhand eines Projekts. Die Teilnehmenden waren Frauen, die in einem Betrieb am Fließband arbeiteten. Nach Gesprächen mit dem Betriebsrat war klar, dass die Mitarbeiterinnen eine Rückenfit-Schulung brauchten. „Was, für uns gibt es eine Weiterbildung?“, lautete die Rückmeldung der Frauen. Weiterbildungen sind nicht zuletzt ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber Beschäftigten. Laut Letz sollten Bildungsangebote bei den Lebensrealitäten der Beschäftigten ansetzen. So könne man viele Menschen erreichen und das Lernen auch viele Jahre nach der Schulzeit wieder aktivieren.