Neue Seidenstraße: Der Reiz der dicken Brieftasche

Illistruation Xi Jinping vor einer China-Flagge. Er hebt die Hand. Symbolbild für China Neue Seidenstraße.
Xi Jinpings Strategie geht auf: Die Neue Seidenstraße ermöglicht China einen starken geopolitischen Einfluss auf die EU. | © Miriam Mone
Wer zahlt, schafft an: Mit der Neuen Seidenstraße möchte China nicht nur die Welt verbinden, sondern auch Geopolitik betreiben. Das löst zunehmend Skepsis aus. Auch und vor allem in Europa.
Zuerst einmal löst Chinas Seidenstraßen-Projekt wunderbare Assoziationen aus. Vielleicht von Gewürzen oder Seide, verstaut in Pferdekutschen. Exotische Waren und Wohlstand breiten sich entlang einer der ältesten Handelsrouten der Welt wieder aus. Natürlich ist so ein Projekt perfekt dafür, um damit in das neue Jahrtausend zu starten. China möchte sich so mit der Welt verbinden und dafür Schienen- und Straßennetze ausbauen und neue Routen für Schiffe und Flugzeuge ermöglichen. Doch ganz so romantisch ist die Neue Seidenstraße nicht. Es geht dabei nämlich auch und zuerst um Kredit-Diplomatie, Rohstoffe, Gewinnmargen und Geopolitik. Streitfelder, die längst auch in Europa ausgetragen werden.

Der Hundert-Länder-Plan

Der Begriff „Neue Seidenstraße“ sei irreführend, erklärt Felix Lee. Er ist Buchautor und Experte für die Volksrepublik beim politischen Fachportal Table.Media in Berlin. In China selbst würde das Projekt „One Belt, one Road“ heißen. Damit ist eine Ansammlung globaler Infrastrukturprojekte gemeint. Sie sollen dazu beitragen, dass China im Jahr 2049 – also zum 100-jährigen Bestehen der Volksrepublik – die wichtigste Wirtschaftsmacht der Welt ist. Für diese Projekte sind etwa 900 Milliarden US-Dollar an Investitionen vorgesehen, die von eigens gegründeten Entwicklungsbanken kommen.

Aktuell sind etwa hundert Länder über diverse Projekte beteiligt. Zum Beispiel der Hafen in Dschibuti (Hauptstadt des gleichnamigen Landes), den China per Bahnstrecke an Addis Abeba (Hauptstadt von Äthiopien) angebunden hat, weil Äthiopien selbst keinen Zugang zum Meer hat. Die Volksrepublik schickt Arbeiter:innen und das benötigte Baumaterial in die Region. So schafft China im eigenen Land Arbeit und wird die Überproduktion an Rohstoffen zu guten Konditionen los. Vor Ort findet quasi keine Wertschöpfung statt. Dem Land bleibt aber immerhin die Infrastruktur. Und ein Kredit, der mit fünf Prozent verzinst ist. Zusätzlich erwartet die chinesische Einheitspartei, dass sich die Länder politisch auf die Seite Chinas schlagen.

Skepsis macht sich breit

Auch in Europa hat sich die Volksrepublik bereits eingekauft, und das sogar mit Unterstützung der EU. „Die Europäer wollten erst alle dabei sein und waren teilweise sogar Gründungsmitglieder der Entwicklungsbanken. Mit den zunehmenden geopolitischen Konflikten sind sie aber zurückhaltender geworden“, so Lee. Und weiter: „Aus europäischer Sicht gibt es zunehmend Skepsis. Nachdem viel an chinesische Investoren verkauft wurde, hat man erkannt, dass es zu noch mehr Abhängigkeiten führt.“

Griechenland ist das beste „schlechte“ Beispiel dafür. Als das Land in eine Finanzkrise geriet, ordnete die Troika an, dass Infrastruktur privatisiert werden müsse. So sicherte sich das deutsche Unternehmen Fraport 14 Flughäfen in dem Land. Und die Firma China Ocean Shipping Company, kurz Cosco, die ohnehin bereits am Hafen von Piräus tätig war, erhöhte ihre Anteile, bis sie schließlich im Jahr 2016 die Mehrheit hatte. Der Hafen ist mittlerweile der größte am Mittelmeer und werde mittelfristig auch Hamburg und Rotterdam überholen, glaubt Lee.

Seitdem beschweren sich die Beschäftigten und Gewerkschaften über die prekären Arbeitsbedingungen – im Jahr 2021 kam es sogar zu einem Todesfall. Örtliche Behörden und Umweltorganisationen beklagen außerdem, dass geltende Auflagen umgangen werden.

Es geht um Einfluss und Kontrolle

Auch in Serbien können die EU-Mitglieder sehen, wie die Volksrepublik arbeitet. Etwa neun Milliarden Euro hat China dort seit dem Jahr 2010 investiert. Beispielsweise in der Stadt Bor, wo die Zijin Mining Group eine Kupfermine übernommen hat. Die Stadt gilt mittlerweile als die Gegend mit der schlechtesten Luft in dem Land. Chinesische Staatsunternehmen bauten in Serbien mit chinesischen Arbeiter:innen und chinesischen Rohstoffen Autobahnen, Zugverbindungen und Brücken. „In Serbien ist es eine Reaktion darauf, dass aus den europäischen Versprechungen nichts wurde. Da haben sie sich an China gewandt und ausgenutzt, dass sie eben nicht von Europa abhängig sind“, analysiert Lee.

Die Infrastrukturmaßnahmen sind aus Sicht der Volksrepublik nur ein erster Schritt. „Die Chinesen rechnen anders. Politik und Wirtschaft werden nicht getrennt voneinander betrachtet. Selbst wenn sich ein Projekt erstmal nicht rentiert, kann es sich langfristig eben doch lohnen, weil es auch um Einfluss und Kontrolle geht“, erklärt Lee. Beispielsweise durch technologische Standards, die bei chinesischer Infrastruktur eben inkludiert seien. In Serbien gibt es umfangreiche Kamerasysteme aus China, die mit modernster Gesichtserkennung ausgestattet sind. Der Ausbau des 5G-Netzes mit chinesischer Technologie löste innerhalb der EU große Diskussionen und Verbote aus.

Durchgesetzt hat sich die Erkenntnis, dass chinesische Investitionen problematisch sein können, allerdings noch nicht. „Man sieht es in jedem europäischen Land. Einerseits sagen die Parteien, man könne nicht so weiter machen wie bisher und müsse eine kritische Haltung gegenüber China einnehmen, aber sobald es um konkrete Geschäfte geht, weicht diese Position wieder auf“, kritisiert Lee.

Großherzogtum auf China-Kurs

Tatsächlich steht das nächste große Investitionsprojekt bereits fest – Luxemburg. Das Land ist schon seit langem die wichtigste Drehscheibe Chinas für Finanzgeschäfte in Europa. In naher Zukunft soll das Land zu einem Waren-Drehkreuz ausgebaut werden. „Weltweite Logistikhubs sind eine Marktlücke. In China kann alles innerhalb von 24 Stunden auch in das hinterste Eck geliefert werden. Der Plan ist, dass dies weltweit innerhalb von 48 Stunden möglich ist“, beschreibt Lee die Ziele der Volksrepublik.

Vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern stockt die Strategie allerdings gerade, wie eine Analyse von Forscher:innen von AidData, der Harvard Kennedy School, dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und der Weltbank zeigt. 60 Prozent der Kredite seien von einem Ausfall bedroht. China muss daher Anschluss- und Rettungskredite vergeben (unter anderem an Ägypten, Argentinien, die Türkei und die Ukraine), weil die tatsächliche Entwicklung nicht den Plänen der Regierung entspricht.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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