Arbeitsbedingungen in Serbien: Mission Possible

Ein Mann mit Schutzbrille arbeitet mit einem Winkelschleifer.
Schwache Gewerkschaften, geringer Arbeitsschutz: Die Arbeitsbedingungen lassen in Serbien oft zu wünschen übrig. | © Adobestock/yurakrasil
Die serbische Regierung rollt ausländischen Unternehmen seit Jahren einen roten Teppich aus. So hat sich das Land zur verlängerten Werkbank der EU entwickelt. Damit Arbeitnehmer:innenrechte nicht auf der Strecke bleiben, stärken Österreichs Betriebsrät:innen den Beschäftigen in Serbien den Rücken.
Neoliberale Niedriglohnstrategie, minimaler Arbeitsschutz, fragmentierte Gewerkschaften: Bettina Stadler und Georg Adam analysierten für die Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) die Arbeitsbedingungen in den Niederlassungen österreichischer Unternehmen am Westbalkan. Die Arbeitsbedingungen in Serbien beschreiben sie in ihrem 2022 veröffentlichten Forschungsbericht generell als problematisch. Investoren sollen durch eine „neoliberal inspirierte Niedriglohnstrategie“ ins Land geholt werden. Häufig werde nur wenig über dem Mindestlohn bezahlt, der aber in der Regel die Lebenshaltungskosten nicht abdecke. Innovationsanreize, halten sie in ihrem Report fest, gebe es dagegen kaum. Der Arbeitsschutz sei gering ausgeprägt, das Arbeitsvertragsrecht mangelhaft, Gewerkschaften seien schwach und fragmentiert, und wenn Kollektivverträge abgeschlossen werden, dann vor allem auf betrieblicher Ebene.

Ein Auto wird von Maschinen gebaut, daneben sind Werkzeuge zu sehen. Symbolbild für die Arbeitsbedingungen in Serbien.
Namhafte österreichische Automobilzulieferer fertigen in Serbien, sie locken die billigen Arbeitskräfte an. | © Miriam Mone

Österreich ist mit einem Investitionsvolumen von über vier Milliarden Euro nach Deutschland zweitwichtigster Investor in dem Land am Westbalkan. Österreichische Unternehmen beschäftigen rund 25.000 Arbeitnehmer:innen in Serbien. Gewerkschaftsvertreter:innen und Betriebsrät:innen reisten nun diesen März für eine Fact-Finding-Mission nach Serbien. Sie wollten dabei aus erster Hand erfahren, wie es um die Arbeitsbedingungen tatsächlich bestellt ist. Wie um Arbeitnehmer:innenrechte und Mitbestimmung? Sie wollten aber auch ausloten, was Betriebsrät:innen der Unternehmensstandorte in Österreich beitragen können, um den Beschäftigten in Serbien den Rücken zu stärken.

Gute Arbeitsbedingungen? Mangelware.

„Wir sehen hier schon seit einigen Jahren“, sagt Martina Schneller, die die Internationale Abteilung der Produktionsgewerkschaft PRO-GE leitet, „dass namhafte österreichische Automobilzulieferfirmen in Serbien Fertigungen aufbauen.“ Überraschend sei das nicht, wenn man weiß, wie die serbische Regierung agiere: „Da regnet es großzügige Anreize für Ansiedlungen, von steuerlichen Vergünstigungen bis zu billigen Grundstücksmieten.“ Verlockend sind aber vor allem billige Arbeitskräfte. „Die Löhne werden faktisch von der Regierung verhandelt“, schildert Schneller. Der Mindestlohn liege bei 40.000 Dinar netto, das seien rund 340 Euro, auch in Serbien reiche das nicht zum Leben. Der Durchschnittslohn liege bei netto 700 Euro. In den Gesprächen sei zudem von langen Arbeitszeiten und massiver Arbeitsverdichtung berichtet worden.

Gegen all das hätten Arbeitnehmer:innen allerdings kaum Handhabe, schildert Schneller nach den Gesprächen mit Betroffenen: „Es ist sehr schwierig, eine Betriebsgewerkschaft zu gründen, das wird meist vom Management verhindert. Und gibt es eine, kann sie nur über einen betrieblichen Kollektivvertrag verhandeln, wenn mindestens 15 Prozent der Beschäftigten in dem Unternehmen Mitglied sind. Aber auch dann ist es schwierig – es gibt keinen Kündigungsschutz, der Druck ist groß und auch die Gewerkschafter:innen sind sehr eingeschüchtert.“ Als PRO-GE wolle man zudem nicht einfach zusehen, wie à la longue immer mehr Arbeitsplätze von Österreich nach Serbien abwandern.

Sozialpartnerschaft exportieren

„Wir kämpfen für gute Arbeitsbedingungen und den Schutz von Arbeitnehmer:innenrechten entlang der gesamten Lieferkette“, ergänzt Isabelle Ourny, sie ist Internationale Sekretärin im ÖGB und war ebenfalls Teil der Delegation, die nach Serbien reiste. Da Serbien zwar EU-Beitrittskandidat, aber eben noch kein Mitglied der Europäischen Union sei, greifen EU-Richtlinien nicht. Wenn es um österreichische Unternehmen gehe, die auch in Serbien aktiv sind, könne man aber versuchen, über die Betriebsrät:innen in Österreich auch die Belegschaft vor Ort zu stärken.

„Wir haben zwei Betriebe besucht und gemerkt, wie viel Angst Menschen schon nur davor haben, Mitglied in einer Gewerkschaft zu sein, sich zu organisieren“, erzählt Ourny. Das hätten auch Vertreter der zwei großen Gewerkschaften, dem Bund der selbstständigen Gewerkschaften Serbiens (SSSS) und der Vereinigten Branchengewerkschaft Nezavisnost in Gesprächen bestätigt. „Da könnten österreichische Betriebsrät:innen beim Management darauf hinweisen, dass es eine gute Tradition der Sozialpartnerschaft gibt und für eine Vertretung – dann durch eine Betriebsgewerkschaft – auch in Serbien eintreten.“

EU-Beitrittsprozess zermürbt

Was Schneller und Ourny in Serbien auch festgestellt haben: Der lange EU-Beitrittsprozess hat inzwischen viele Serb:innen mürbe gemacht. Die anfängliche Begeisterung ist einer breiten Skepsis bis sogar Ablehnung der Europäischen Union gewichen. „Je länger man das hinauszögert, umso mehr Frustration ist da“, sagt die PRO-GE-Vertreterin. Dabei wäre ein Beitritt auch aus europäischer Sicht wünschenswert. „Es würde dann ja der gesamte Rechtsbestand im Sozialbereich übernommen, ich denke da etwa an die Arbeitszeitrichtlinie. Das wäre ein Sprung nach vorne.“

Serbien hat sich zuletzt allerdings außenpolitisch anders positioniert – in Richtung Russland. Mit dem seit mehr als einem Jahr andauernden Ukraine-Krieg ist das von besonderer Brisanz. Aber auch mit China gibt es beste Beziehungen, es siedeln sich auch immer mehr chinesische Firmen in Serbien an, so können sie vor den Toren Europas fertigen, lange Transportwege entfallen.

Serbien ist kein Mitglied der Europäischen Union, daher greifen EU-Richtlinien nicht. Über Betriebsrät:innen in Österreich könne man auch die Belegschaft
in Serbien stärken, hoffen Martina Schneller (li.) und Isabelle Ourny. | © Markus Zahradnik

Ein bisschen Auftrieb

„Am Ende wird der EU-Beitritt aber geopolitisch entschieden werden“, ist Ourny überzeugt. Ihr ist dabei wichtig: „Falls es plötzlich schnell gehen soll, weisen wir jetzt schon als Gewerkschaften darauf hin: Nein, man kann das Kapitel soziale Rechte nicht einfach über Bord werfen. Serbien hat, was Gewerkschaften, was Sozialpartnerschaft, was Demokratie insgesamt anbelangt, großen Aufholbedarf.“

Die aktuelle Arbeitsmarktsituation könnte den Gewerkschaften im Land ein bisschen Auftrieb geben. Ursprünglich hofierte die serbische Regierung ausländische Investoren, um die hohe Arbeitslosigkeit im Land zu bekämpfen. Inzwischen gibt es aber auch in Serbien einen „Fachkräftemangel“, Betriebe buhlen um Arbeitskräfte. Ein guter Zeitpunkt also, um zumindest in Zweigstellen österreichischer Unternehmen auch in Serbien das Bewusstsein für die Wichtigkeit betrieblicher Mitbestimmung zu schärfen – beim Management und bei den Arbeitnehmer:innen. Dabei kommt den österreichischen Betriebsrät:innen dieser Firmen eine wichtige Rolle zu.

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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