Zahlen, bitte!

Illustration Zahlen, bitte!
Illustrationen (C) Miriam Mone
Die Krise wird teuer, und im Gegensatz zur Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 sollten die Arbeitnehmer*innen diesmal auf getrennte Rechnung bestehen.
Kaum dreht man das Radio auf, den Fernseher oder die bevorzugte Social-Media-App, purzeln Rekorde heraus: Rekord-Arbeitslosigkeit, Rekord-Rezession, Rekord-Budgetdefizit. Selbst wenn die Pandemie – den Lockerungen und der schrittweisen Rückkehr der Normalität zum Trotz – noch nicht überstanden ist, drängt sich eine Frage immer stärker in den Vordergrund: Wer soll das bezahlen?

Die letzte Rechnung – die der Banken in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 – bezahlten nämlich überwiegend die Arbeitnehmer*innen und nicht unbedingt die Verursacher der Krise. Das Bankenpaket kostete von 2009 bis 2017 in Summe 14,1 Milliarden Euro. Geld, das für den Sozialstaat gefehlt hat. Jetzt schon ist absehbar: Diese Krise war im Vergleich zu heute ein Schnäppchen. Auch der Einbruch der Wirtschaftsleistung fiel deutlich geringer aus.

Es geht abwärts

Die Prognosen des WIFO gehen davon aus, dass das österreichische Bruttoinlandsprodukt 2020 schrumpft – zwischen 5,2 und 7,5 Prozent: eine Rekord-Rezession also. Rezession gab es auch 2009, allerdings „nur“ 3,9 Prozent. Das BIP allein zeigt nur ein Gesamtbild und sagt nichts darüber aus, welche Bereiche der Wirtschaft besonders betroffen sind. Für die Corona-Krise kann aber gesagt werden: Es trifft praktisch alle Bereiche, wenn auch unterschiedlich stark, am stärksten Hotellerie, Gastronomie, Kunst und Kultur. Ein leichtes Wachstum – Homeoffice & Co sei Dank – verzeichnet lediglich der Bereich Information und Kommunikation.

Für den Bundeshaushalt ergeben sich damit zwei Probleme: Auf der einen Seite muss Geld für Kurzarbeit, höhere Arbeitslosigkeit und Konjunkturpakete in die Hand genommen werden. Auf der anderen Seite bedeuten höhere Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit für den Staat Einnahmenverluste – das Aufkommen aus der Lohnsteuer und den Sozialversicherungsbeiträgen sinkt genauso wie das aus der Umsatzsteuer. Hier rächt sich, dass der Staatshaushalt so stark auf die Beiträge von Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen angewiesen ist.

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Das kostet

28 Milliarden Euro und damit 7,4 Prozent des BIP wird das Budgetdefizit heuer betragen – dieses Rekorddefizit berechnete das WIFO in einem Szenario, das von Expert*innen als eher optimistisch kritisiert wird. Philipp Gerhartinger, Leiter der Abteilung Steuerrecht in der Arbeiterkammer Wien, sieht drei Möglichkeiten: Ausgaben zu senken (die Frage stellt sich dann, wo genau), Einnahmen zu erhöhen (was die Frage aufwirft, wer zur Kasse gebeten wird) oder aber auch Kredite aufzunehmen – die Zinslage ist schließlich ausgesprochen günstig – beziehungsweise Staatsanleihen aufzulegen.

Vor einem warnt Gerhartinger eindringlich: „Es ist sowohl für die Menschen als auch für die Volkswirtschaft als Ganzes gefährlich, bereits 2021 wieder ein ‚Nulldefizit‘ als Ziel der Budgetpolitik zu definieren.“ Und er formuliert seine Sorge pointiert: „Ein enges Nulldefizit-Sparkorsett schnürt uns die Luft ab, wir müssen aber atmen können, um aus dieser Krise herauszukommen.“

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Die falschen Köder

Was jedenfalls klar ist: Der Wirtschaftskreislauf muss wiederbelebt werden. Was zu diesem Zweck immer wieder auf den Debattentisch geworfen wird, ist eine Senkung des Gewinnsteuersatzes, der Körperschaftsteuer. Eine niedrige KÖSt mache den Wirtschaftsstandort attraktiv, so die Annahme.

Aber daraus ergeben sich mehrere Probleme: Senkt Österreich den Gewinnsteuersatz, ziehen andere Länder nach – der Effekt des Steuerwettbewerbs in der EU wird beschleunigt. Das kann nur auf europäischer Ebene gelöst werden, beispielsweise durch EU-weite Mindeststeuersätze. Gleichzeitig profitieren von einem niedrigeren KÖSt-Satz zu 80 Prozent lediglich die fünf Prozent der größten Unternehmen – und zum Beispiel kaum die von der Krise schwer angeschlagenen KMUs. Und vor allem: Dem Budget fehlen weitere direkte Einnahmen in Milliardenhöhe.

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Das IHS hat untersucht, welche Maßnahmen zur Reduktion der Körperschaftsteuern am besten greifen, um der Wirtschaft Impulse zu versetzen: eine Senkung des allgemeinen KÖSt-Satzes, höhere Investitionsfreibeträge oder großzügigere Abschreibungsmöglichkeiten; konkret: Um wie viel Euro erhöht sich das BIP pro Euro, der dem Staat an Körperschaftsteuer entgeht?

Susanne Forstner, Senior Researcher am IHS, fasst die Ergebnisse der Studie zusammen: „Entlastungen in der Körperschaftsbesteuerung, die direkt auf die Förderung von Unternehmensinvestitionen abzielen, wären etwa zweimal so kosteneffektiv wie eine Senkung des allgemeinen KÖSt-Satzes.“ Einfach gesagt: Unternehmen sollten dazu gebracht werden, schnell und viel zu investieren, und nicht dazu, einfach nur weniger Gewinnsteuern zu zahlen.

Harte Einschnitte in den Sozialstaat müssen – nicht nur in einer Krise – verhindert werden. Ohne zusätzliche Einnahmen wird sich das nicht ausgehen. Wer kann also noch einen Beitrag leisten?

Wo ist das Geld?

Die sogenannten automatischen Stabilisatoren – Arbeitslosengeld (das erhöht werden sollte) und Kurzarbeit – sorgen dafür, dass die Konsumnachfrage, der Wirtschaftsmotor, nicht komplett einbricht. Konjunkturmaßnahmen bringen wieder Schwung in die Unternehmen. Harte Einschnitte in den Sozialstaat müssen zudem – nicht nur in einer Krise – verhindert werden. Ohne zusätzliche Einnahmen wird sich das nicht ausgehen. Wer kann also noch einen Beitrag leisten? Die Arbeitnehmer*innen sind es in den Zeiten von Rekord-Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit einmal nicht. Aber es gibt ja noch die Vermögenden.

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Der Anteil von Vermögenden zum Steuerkuchen ist mit 1,3 Prozent sehr bescheiden. Im OECD-Vergleich gehört Österreich zu den Schlusslichtern der Vermögensbesteuerung – und selbst die EU-Kommission, alles andere als eine sozialistische Hochburg, empfiehlt Österreich, Vermögende stärker in die Steuerpflicht zu nehmen.

Dazu gibt es in weiten Teilen der Bevölkerung in Österreich auch Zustimmung. Bereits 2018 zeigte eine repräsentative Befragung der Arbeiterkammer Wien: Die höhere Besteuerung von Immobilien und Grundstücken, von Unternehmen und größeren Vermögen sowie die Einführung einer Erbschaftssteuer zur Finanzierung des Sozialstaats befürworten 71 Prozent der Befragten. Eine Abfuhr hingegen gibt es für die Erhöhung von Massensteuern sowie die Kürzung öffentlicher Leistungen.

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Im Detail zeigt sich die Zustimmung zu vermögensbezogenen Steuern unterschiedlich. Vermögenssteuern finden allgemein eine breite Zustimmung. Schwieriger wird es bei der Erbschaftssteuer – hier hält sich hartnäckig der Mythos, dass die kleinen Häuslbauer*innen draufzahlen. Was aufgrund der hohen Freibeträge allerdings gar nicht zutrifft. Oder es wird dieses Argument in die Debatte geworfen: Das Erbe sei doch schon versteuert worden und man habe hart dafür gearbeitet. Allerdings nicht von den Erb*innen, für diese ist es ein leistungsloses Einkommen.

Und auch das bedeutet Verteilungsgerechtigkeit: dass leistungslose Einkommen wie Erbschaften einen Beitrag leisten. Schließlich stammen die großen Vermögen in Österreich überwiegend aus Erbschaften und sind kaum selbst erarbeitet. Das wäre nicht nur in der Krise ein Gebot der Stunde, aber die Krise könnte dafür die passende Gelegenheit bieten.

Drei Forderungen zur Finanzierung der Krise

Mittelfristig schlägt die Arbeiterkammer einen grundsätzlichen Umbau des Steuersystems vor. Einkommen aus Arbeit sollen geringer besteuert werden, große Vermögen und Erbschaften endlich mehr. Konzerne sollen stärker in die Pflicht genommen werden. Konkret geht es um die Einführung einer Millionärs- und Erbschaftssteuer über einer Million Euro. Die Steuerkontrollen von Konzernen sollen strenger gestaltet und zudem soll dem Steuerdumping in der EU durch Mindeststeuern für Unternehmen Einhalt geboten werden.

Zur Finanzierung der Krise bedarf es aber kurzfristiger, befristeter Maßnahmen.

  1. Befristete Vermögensabgabe
    Nach der Höhe gestaffelt sollen Vermögen einen Beitrag leisten: zwei Prozent über zehn Millionen Euro, drei Prozent über 100 Millionen Euro und vier Prozent über einer Milliarde Euro. Pro Jahr brächten diese Maßnahmen sieben Milliarden Euro, betroffen wäre lediglich das oberste Prozent der reichsten Haushalte.
  2. Erhöhung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden
    Im Jahr 2019 wurde eine Rekordsumme an Dividenden ausgeschüttet. In der Krise belasten Dividendenausschüttungen einerseits die Liquidität der Unternehmen. Andererseits sind sie bei Konzernen schwer zu vertreten, wenn diese gleichzeitig das Corona-Kurzarbeitsmodell oder andere Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen. Eine Anhebung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden von 27,5 Prozent auf 35 Prozent bringt 600 Millionen Euro pro Jahr
  3. Anhebung des Spitzensteuersatzes
    Im Durchschnitt verdienten ATX-Vorstände im Jahr 2019 das 57-Fache des Medianeinkommens. Der Spitzensteuersatz in Österreich beträgt 55 Prozent ab einem Jahreseinkommen von mehr als einer Million Euro. Eine Erhöhung auf 75 Prozent bringt 80 Millionen Euro im Jahr von etwa 300 betroffenen Spitzenverdiener*innen.

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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