Wintertourismus: Schnee von gestern

Ein Skiort mit nur leicht beschneiter Piste. Im Hintergrund ist ein Skilift zu sehen, im Vordergrund drei Menschen auf Skiern. Symbolbild für den Wintertourismus und seine Gefährdung.
„Das Winter-Wonderland wird es in manchen Gebieten in einigen Jahren wahrscheinlich nicht mehr geben“, ist sich Berend Tusch, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida, sicher. | © Johann Groder / EXPA / picturedesk.com
Viel Weiß war einmal. In niedrig gelegenen Skigebieten ist Schnee schon Mangelware – genauso wie die Fachkräfte. In welche Richtung wird sich der Wintertourismus entwickeln, der unser Land jahrzehntelang so prägte?
Wie ein weißes Band zieht sich der Schnee den Berg hinunter. Darauf sind in einiger Entfernung einige Punkte zu sehen. In einigen Skigebieten war dieser Anblick im Jänner nichts Ungewöhnliches – auch in Zauchensee in Salzburg, wo Anna mit ihren beiden Kindern ihren Skiurlaub verbringt. Obwohl es mit knapp zehn Grad für die Jahreszeit überdurchschnittlich warm ist, scheint das niemanden zu stören – auch die Wienerin nicht. „Die Piste ist zwar sehr schmal, aber es macht uns trotzdem Spaß“, sagt sie, während ihre Augen sehnsuchtsvoll die weißen Bergspitzen entlangwandern. Der Wintertourismus gerät immer mehr in Bedrängnis.

Wintertourismus: Schneedecke ade

„Generell betrachten wir zwei Szenarien, wie sich der Winter entwickeln wird“, sagt Klimaforscher Andreas Gobiet. Eine Erwärmung von nur zwei Grad sei für ihn ein sehr optimistisches Ziel. Weniger als zwei Grad seien kaum mehr schaffbar – eher mehr, gibt er zu bedenken. Für Österreich und dessen Schneereichtum würde das bedeuten, dass sich die Erwärmung massiv auf die Winter, den Tourismus, die Beschäftigten und die Betriebe auswirken werde. Der Wissenschaftler geht von sehr drastischen Einschnitten aus. Die durchgängigen Schneelagen in den Niederungen unter 500 Meter Seehöhe werden selbst im optimistischen Szenario um bis zu 40 Prozent zurückgehen. In 1.000 Meter Seehöhe rechnet der Klimaforscher in 30 Jahren mit einem Rückgang von 20 bis 30 Prozent.

Die Vegetation in den Alpen werde sich zusätzlich verändern, gibt Gobiet zu bedenken. Ohne weitere Klimaschutzmaßnahmen sei ein weiterer Rückgang der Schneedecke zu befürchten, was sich seiner Meinung nach sowohl auf die Natur als auch auf den Tourismus massiv auswirken wird. Allein für Skitourengeher:innen würde sich die Saison je nach Höhe um bis zu drei Wochen verkürzen, warnt Andreas Gobiet.

Kein zarter Schmelz

„Das Winter-Wonderland wird es in manchen Gebieten in einigen Jahren wahrscheinlich nicht mehr geben“, ist Berend Tusch, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida und Vorsitzender des Fachbereichs Tourismus, überzeugt, was auch einen Veränderungsprozess in den Bergregionen Österreichs auslösen werde. Für ihn wird die Klimaerwärmung nicht nur die Natur, sondern auch die Branche vor neue Herausforderungen stellen.

Porträt Berend Tusch
Berend Tusch spricht sich für die Gründung von Tourismuskassen
aus: Sie ermöglichen Mitarbeiter:innen, ihre Urlaubsansprüche
zur nächsten Anstellung mitzunehmen. | © Markus Zarahdnik

Niedrig gelegene Skigebiete werden schließen, was nicht nur die Betriebe, sondern auch die Beschäftigten hart treffen würde, warnt der vida-Tourismusgewerkschafter. In höheren Lagen wird es den Wintertourismus hingegen weiterhin geben, dessen Beschäftigte aber flexibel sein müssen. Einige Betriebe schwenken bereits um und setzen auf neue Angebote, um Gäste anzulocken und zu binden. Verändern werde die Klimaerwärmung auch die gewohnte Wintersaison an sich. Bisher sei der Winter für viele Betriebe der Retter des gesamten Geschäftsjahres gewesen. Doch der Schnee schmelze immer schneller weg, und es zeige sich einmal mehr, dass man sich auf Gewohntes nicht mehr verlassen werde können. „Jede Krise bietet aber eine neue Chance“, meint Berend Tusch, „die jedoch eine gemeinsame Kraftanstrengung zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen voraussetzt“.

Wenig geändert habe sich hingegen die Situation der Beschäftigten in den Salzburger Betrieben, sagt Florian Preisig, Referent für Arbeitsmarktpolitik in der Abteilung Wirtschaft der Arbeiterkammer Salzburg. Viele Beherbergungsbetriebe hätten die ausgezahlten COVID-Förderungen nicht in eine bessere Entlohnung investiert, sondern in den Ausbau der Hotels oder Pensionen, kritisiert er. Trotz der steigenden Nächtigungszahlen werden die Beschäftigten nach wie vor nur nach Kollektivvertrag bezahlt, und an den Dienstplänen wird nicht gerüttelt. Zwei Drittel des Personals kommen daher mittlerweile aus dem Ausland – allen voran aus den neuen EU-Ländern wie Ungarn, Slowakei, Kroatien und Rumänien. Diese Beschäftigten akzeptieren auch die Bedingungen – ebenso die ukrainischen Flüchtlinge.

Die Schneekanonen-Offensive

Die Klimaerwärmung werde sich auf die Entwicklung des Wintertourismus in Salzburg kaum auswirken, ist Experte Florian Preisig von der Arbeiterkammer Salzburg überzeugt. Diesen werde es weiterhin geben – trotz der Schneeunsicherheit, die durch Schneekanonen ausgeglichen werden könne. Fragen zum Übertourismus sowie zum nachhaltigen Tourismus werden zwar immer wieder diskutiert, Maßnahmen dagegen aber kaum ergriffen. Viele Betriebe würden nach wie vor auf Quantitäts- statt auf Qualitätstourismus setzen, was wenig zukunftsträchtig oder nachhaltig sei. Auch bei den Gästen vollzieht sich seit Jahren ein Wandel: Während die Zahl der heimischen Gäste zurückgeht, da diese sich den Winterurlaub und die hohen Liftpreise nicht mehr leisten können und wollen, kommen ausländische Tourist:innen, die mittlerweile einen Großteil der Nächtigungen ausmachen.

Dem Tourismus werde im Bundesland derzeit aber zu viel Bedeutung beigemessen, meint Florian Preisig. Dieser mache jedoch nur 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Salzburg (2018) aus, was zwar doppelt so viel ist wie etwa im benachbarten Oberösterreich. Das sei aber dennoch verhältnismäßig wenig, findet der Experte. Tatsache ist, dass der Großteil der Wirtschaftsleistung in den anderen Branchen generiert wird. Sollte der Wintertourismus zurückgehen, wären die Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung des Bundeslandes eher gering. Es sei davon auszugehen, dass – wie in den vergangenen Jahren feststellbar – allfällige Verluste im Wintertourismus durch kräftige Zugewinne im Sommertourismus kompensiert werden können, so Preisig im Gespräch.

Die Bahn gibt uns Berge

Ein wesentlicher Teil der durch den Tourismus verursachten CO₂ – Emissionen werde durch An- und Abreise verursacht, heißt es von CEOs FOR FUTURE, einem gemeinnützigen Verein zur Förderung und Beschleunigung der nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Denn über 40 Prozent der internationalen Gäste kommen nach wie vor mit dem Flugzeug in die Skiregionen und über 32 Prozent mit dem PKW. Allein über 70 Prozent der inländischen Gäste reisten etwa 2019 mit dem PKW ins Skigebiet. Nur knapp 10 Prozent aller Gäste kamen mit der Bahn an, was viel zu wenig sei, findet der in Wien ansässige Verein, der zahlreiche Initiativen zu Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Biodiversität und Energiewende setzt.

Die durchgängigen Schneelagen in den
Niederungen unter 500 Meter Seehöhe
werden selbst im optimistischen Szenario
um bis zu 40 Prozent zurückgehen. 

Andreas Gobiet, Klimaforscher

Unterstützt werden die Aktivitäten des Vereins von über 60 Topmanager:innen und Mitgliedsunternehmen aus unterschiedlichen Branchen. Notwendig seien eine bessere internationale Abstimmung von An- und Abreise mit der Bahn, lokale und regionale Mobilitätskonzepte und eine verstärkte Information der Gäste, um auf umweltfreundliche Verkehrsmittel umzusteigen, aber auch zu E-Car-Sharing, E-Bike-Verleih oder Shuttle-Services. „Die Anreise mit der Bahn zum Urlaubsort ist 50-mal klimafreundlicher als mit dem Flugzeug und 30-mal grüner als mit dem Auto“, ist Klaus Garstenauer, Vorstand der ÖBB Personenverkehr AG, eines der Mitgliedsbetriebe von CEOs FOR FUTURE, überzeugt. Für ihn werde die Erreichbarkeit der Tourismusorte per Bahn daher entscheidend für den Tourismusstandort Österreich sein.

Wandern statt Wedeln

„Wer Ski fahren will, wird weiterhin Ski fahren gehen können“, sagt Berend Tusch. Das erfordere aber Rahmenbedingungen hinsichtlich des Klimaschutzes sowie spezielle soziale Standards für die Beschäftigten in der Branche. Da es bestimmte Skiregionen nicht mehr geben könnte, brauche es für diese jede Menge Ideen und Konzepte, mit denen Gastronomie und Beherbergungsbetriebe weiter profitabel bestehen können. Unter anderem kann sich der Gewerkschafter eine Ausweitung des Wandertourismus vorstellen, wenn die Wintersaison statt fünf nur mehr zwei Monate dauert.

Jede Krise bietet eine neue Chance,
die jedoch eine gemeinsame Kraftanstrengung zwischen Arbeitgeber:innen
und Arbeitnehmer:innen voraussetzt. 

Berend Tusch, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida

Sorgen bereiten Berend Tusch nicht nur die Veränderung der Saison, sondern auch die Zahl der Arbeitskräfte, die der Tourismus jedes Jahr bitter benötigt: Von den über 220.000 bis 230.000 verlässt rund die Hälfe jedes Jahr nach der Saison die Branche, was viel über die vorherrschenden Arbeitsbedingungen aussagt. Diese Situation erschwere auch die Gründung von Betriebsräten, sagt Tusch, der sich außerdem für die Gründung sogenannter Tourismuskassen ausspricht, die die Urlaubsansprüche, welche die Mitarbeiter:innen wie einen Rucksack mitnehmen könnten, abdecken. Für die Unternehmen würde das eine finanzielle Entlastung bringen, da sie Rückstellungen für Urlaubsansprüche umgehend auflösen könnten. Als Startkapital für die Tourismuskassen sollten 200 Mio. Euro von der öffentlichen Hand kommen. Die Betriebe sollten sich daran schrittweise beteiligen, fordert der vida-Gewerkschafter.

Gesamtkonzept statt Flickwerk

Zusätzlich zu den Tourismuskassen spricht sich Berend Tusch für eine Beschäftigung der Mitarbeiter:innen über eine Dachholding aus, die von den Betrieben finanziert wird. Die Beschäftigten müssten sich dann nach der Wintersaison nicht mehr arbeitslos melden und könnten so das ganze Jahr über in der Region gehalten werden. Auch könnte über diese Form der Anstellung eine sich abzeichnende verkürzte Wintersaison ausgeglichen werden. Das sei im Sinne vieler Mitarbeiter:innen und würde zu weniger Arbeitslosigkeit führen, da dadurch auch Auslastungsspitzen in der Branche besser und schneller bewältigt werden könnten. Das sei für ihn eine Lösung im Interesse aller, so Berend Tusch, „der Tourismus unter anderen Bedingungen braucht ein Gesamtkonzept und kein Flickwerk“.

Besser wird’s nimmer

„Die Klimaerwärmung ist irreversibel“, warnt Wissenschaftler Gobiet, der bereits heute eine um zwei Grad erhöhte Temperatur in Österreich feststellt. Bestenfalls komme noch ein Grad hinzu, schlimmstenfalls vier Grad. „Wir müssen uns damit abfinden und damit leben lernen.“ Deswegen sei es umso wichtiger, den Klimaschutz ernst zu nehmen – besonders in den Alpen. Viel Zeit sei in der Vergangenheit verloren gegangen, meint Andreas Gobiet. Denn bereits in den 1980er-Jahren beobachtete die Wissenschaft einen sich abzeichnenden Klimawandel. Doch eine Reaktion lässt sich vermissen – auch seitens der Politik.

Porträt Andreas Gobiet
Andreas Gobiet fordert einmal mehr dazu auf, den Klimaschutz
ernst zu nehmen, denn in der Vergangenheit sei viel Zeit
zum Handeln verloren gegangen. | © Markus Zarahdnik

Dort steige langsam das Problembewusstsein, und es sei auch ein Umdenkprozess im Gange. Was sich der Wissenschaftler jedoch nicht wünscht, ist ein Worst-Case-Szenario, das von einer Erwärmung von bis zu sechs Grad gegen Ende des Jahrhunderts ausgeht. Dieses werde eintreten, wenn keine Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden. „Wegschauen dürfen wir nicht, sondern wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken“, betont Gobiet. Jede:r müsse von der Notwendigkeit des Klimaschutzes überzeugt werden – auch die Tourist:innen, die jedes Jahr mit dem Auto oder dem Flugzeug in die Skiregionen reisen.

Der Teufel im Detail

Anna und ihre Kinder schnallen ihre Skier ab und watscheln in eine Skihütte. Die Preise seien im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, murmelt sie genervt, bevor sie für sich und ihre Kinder einige Speisen bestellt. Mehrere Mitarbeiter:innen schwirren durch die charmante Holzhütte, während im Hintergrund Musik zum Mitschunkeln einlädt. Der Stress macht ihnen sichtlich zu schaffen. „Die Arbeitsbedingungen passen nicht“, weiß Berend Tusch. Zwischen Überstunden und Teildiensten, Arbeitsverdichtung und Dienstplanunsicherheit habe man „kein Leben neben dem Beruf“. Darüber hinaus seien die Gehälter zu niedrig, was zu einem Arbeitskräftemangel führe. Verantwortlich dafür sei auch die mangelnde Flexibilität der Arbeitgeber:innen in der Branche.

Infografik: steigende Temperatur im Gebirge

„Wenn jemand nur 20 Stunden arbeiten möchte, wird er sich schwertun, im Tourismus eine Arbeit zu finden“, gibt Berend Tusch zu bedenken. Auch hier vermisst er ein übergreifendes Handeln zwischen den Sozialpartnern, um diese Probleme effektiv angehen und lösen zu können. Durch die Verkürzung der Wintersaison würden neue Beschäftigungsmodelle immer interessanter. Die Auszahlung eines Flexibonus müsse die höhere Flexibilität der Arbeitnehmer:innen honorieren. Nichts zu tun sei für den Gewerkschafter jedenfalls die schlechteste Option für den „Faktor Mensch“.

Besenkammerl im Hotel

Um Beschäftigte mit Familie in Zukunft im Tourismus zu halten und neue dafür zu begeistern, brauche es für sie neue Angebote, ist Berend Tusch überzeugt. Denn die wenigsten seien bereit, wegen einer Arbeit den Wohnort zu wechseln und von Wien nach Tirol zu ziehen, wie es das AMS immer wieder fordere. Das werde auch in Zukunft nicht funktionieren. Denn niemand würde für eine relativ kurze Saisonzeit gleich seinen Lebensmittelpunkt verlagern und eine Wohnung im Wintersportort suchen, die ihn zusätzlich Miete kostet. Oft sei auch die Unterbringung bei dem:der Arbeitgeber:in nicht ideal, so der Gewerkschafter: „Viele müssen sich häufig mit einem besseren Besenkammerl abfinden.“

Weder Eis noch Schnee

Es ist bereits später Nachmittag. Die untergehende Sonne taucht die Steinfeldspitze in ein märchenhaftes Licht. Ob Anna mit ihren Kindern auch nächstes Jahr hier wieder ihren Skiurlaub verbringen werde, stehe für sie in den Sternen. Das mache sie von den Kosten und der Schneelage abhängig, erzählt sie abschließend und wird nachdenklich: „Weil in Stein gemeißelt ist für mich nichts.“

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.