Wiens roter Oktober

Inhalt

  1. Seite 1 - Rot war das politische Symbol der Oktoberkämpfer
  2. Seite 2 - Das Ideal der politischen und sozialen Gleichberechtigung aller BürgerInnen
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ArbeiterInnen kämpften 1848 bis zum Schluss für die demokratische Revolution, aber nur wenige Studenten und Akademiker.

Dreifache Rettung

Die ArbeiterInnen dagegen retteten dreimal die Revolution. Zum ersten Mal im März, wenn auch nur indirekt: Der Feuerkranz um Wien, den sie mit heraus­gerissenen Gaskandelabern legten, beschleunigte die Entscheidung des kaiserlichen Hofs, die von BürgerInnen und Studenten geforderte Pressefreiheit zu gewähren und eine Verfassung zuzusagen. Im Mai griffen die ArbeiterInnen zweimal direkt ein: Sie verhinderten damit erstens die von der Regierung geplante Auflösung der „Akademischen Legion“, zweitens einen Rückzieher bei der Zusage demokratischer Wahlen in die verfassunggebende Versammlung. Sie und nicht die Studenten bauten die Barrikaden, die dem alten Regime Widerstandsbereitschaft signalisierten. Aber sie wurden betrogen. Die Arbeiter (von Frauenwahlrecht war noch lange keine Rede) erhielten zwar das Recht, ihre Stimme abzugeben. Aber sie durften keine eigenen Kandidaten nominieren. Zudem wurde die Wahl so organisiert, dass sie praktisch keine Chance hatten, ihre Stimme abzugeben.

Die ArbeiterInnen des Revolutionsjahres werden oft als wilder Haufen dargestellt, noch unfähig, sich zu organisieren. Das Urteil von Karl Marx nach seinem Wienbesuch im August und September 1848, das Proletariat sei hier noch nicht reif für die Revolution, trug sicher zu diesem Image bei. Es stimmt, dass die Mitglieder des revolutionären „Ersten allgemeinen Arbeitervereins“ mit dem Vortrag von Marx über „Lohnarbeit und Kapital“ wenig anfangen konnten. Aber sie konnten sich sehr wohl organisieren. Selbst die „MaschinenstürmerInnen“ der ersten Revolutionsphase wählten Sprecher, die sie gegenüber Fabrikherren und Bürgermeistern vertraten, und viele Berufsgruppen schlossen sich zusammen, um ihre soziale Lage zu verbessern.

10-Stunden-Tag

Die tausend Maschinenarbeiter der Wien-Gloggnitz-Eisenbahngesellschaft, die „Kerntruppe der Demokratie“ in den Mai- und Oktoberkämpfen, erreichten vor den ArbeiterInnen vieler anderer Branchen den Zehnstundentag.

Die Maurer setzten neben einer Lohnerhöhung auch die Verwaltung ihrer Bruderlade ohne Einmischung der Unternehmer durch. Die Buchdrucker erreichten schon einen Kollektivvertrag für das ganze Kaiserreich und die Lehrlinge das Erlassen der Schulgebühren. Das sind nur wenige Beispiele von vielen Erfolgen durch solidarischen Zusammenschluss. Im Jahr 1848 beginnt die Geschichte der modernen österreichischen Gewerkschaftsbewegung.

Als immer mehr BürgerInnen der Revolution den Rücken kehrten, das kaiserliche Regime beschloss, das demokratische Experiment mit Gewalt zu beenden und der Wiener Gemeinderat die VerteidigerInnen im Stich ließ, war das Ende abzusehen. Die Reihen der VerteidigerInnen hatten sich außerdem stark gelichtet: In der Nationalgarde waren nur mehr die ärmeren Bürger verblieben, die „Akademische Legion“, die im Frühjahr noch 6.000 Mann zählte, war auf 900 Mann geschrumpft.

Die Hauptlast des blutigen Abwehrkampfs lag auf den ArbeiterInnen, die auch durch übergelaufene kaiserliche Soldaten unterstützt wurden. Ein Augenzeuge erinnerte sich an einen Arbeiter, der nach der Niederlage „blass und verwundet die Alserstraße herabkam“ und murmelte: „Es ist alles umsonst, wir sind wieder verraten und verkauft.“

Einschüchterungsterror

Die Rache der Sieger war grausam, doch der Einschüchterungsterror funktionierte nicht vollständig. Während der folgenden Jahre kam es immer wieder zu – wieder verbotenen – Streiks für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Das ebenfalls verbotene Gedenken an die Opfer der Revolution lebte trotz Strafdrohung im Untergrund weiter. Es wurde später nur mehr von der jungen ArbeiterInnenbewegung hochgehalten, sie machte die Märzfeiern zu ihrem größten Feiertag. Adelheid Popp, die Pionierin der politischen und gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen, beschrieb, wie viele Gefühle und Hoffnungen bei diesen Feiern mitschwangen: „Auch wenn es vorkam, wie beispielweise 1893, dass man auf dem weiten Weg über die Simmeringer Hauptstraße Schneemassen und Eisschollen zu überwinden hatte und wenn der Wind eisig tobte, man ließ sich nicht zurückhalten, bei dem Märzgefallenen-Obelisk zu erscheinen und mit zu geloben, die Ideale, für welche die unter dem Obelisk Begrabenen ihr Leben gelassen, weiter zu pflegen und in Ehren zu halten.“

Nicht umsonst berief sich die provisorische Nationalversammlung 1918 auf diese Ideale: politische und soziale Gleichberechtigung aller BürgerInnen.

Literaturtipp:
Wolfgang Häusler, Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848.

Von
Brigitte Pellar
Historikerin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/18.

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Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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